Schwarzer Freitag für Siemens Energy: Die Aktie des Produzenten von Gaskraftwerken und Windturbinen kommt bis zum Mittag um fast 15 Prozent unter die Räder. Dies drückt den Börsenwert unter die Höhe des bilanziellen Eigenkapitals des Konzerns. Mit anderen Worten: Siemens Energy wird unter Buchwert gehandelt. Die Perspektiven für ein wertschöpfendes Wirtschaften in der Zukunft? Nach Ansicht der Investoren nicht vorhanden.
Siemens Gamesa wird wohl erneut Verlust machen
Grund für das Debakel ist eine weitere Gewinnwarnung der Tochter Siemens Gamesa, an der Siemens Energy 67 Prozent hält. Gamesa steckt schon lange in der Krise und hat in jedem der zurückliegenden Geschäftsjahre gleich mehrfach die Jahresziele revidiert. Nun tun die Spanier das erneut – im ersten Quartal des gerade erst begonnenen Geschäftsjahres. Die erst jüngst aufgestellte Prognose hielt gerade einmal einige Wochen.
Der Jahresauftakt bei Siemens Gamesa war miserabel: Der Umsatz ist im Vergleich zum ersten Quartal des vorangegangenen Geschäftsjahres von 2,3 auf 1,8 Milliarden Euro eingebrochen. Das Ebit vor Kaufpreisallokation, Integrations- und Restrukturierungskosten sank von minus 121 auf minus 309 Millionen Euro. Projektverzögerungen und Probleme mit einer neuen Turbinengeneration lasten schwer auf dem Windanlagenbauer.
Die nun neu aufgesetzte Jahresprognose ist noch trüber als die bisherige: Der Umsatz könnte laut Siemens Gamesa nun um bis zu 9 Prozent zurückgehen – bisher standen maximal minus 7 Prozent in Aussicht. Und operativ wird der weltgrößte Anbieter von Offshore-Windturbinen wahrscheinlich Verluste schreiben: Die bereinigte Ebit-Marge soll nun zwischen minus 4 und plus 1 Prozent liegen statt den geplanten plus 1 bis 4 Prozent. Die Konsequenz: Mit zeitweise über 11 Prozent brach die Gamesa-Aktie anfangs genauso stark ein wie das Papier des Mutterkonzerns. Allerdings erholte sich die Gamesa-Aktie gegen Mittag hin wieder leicht und reduzierte das Minus auf 6 Prozent.
JP Morgan fordert „Veränderungen“ bei Siemens Energy
Obwohl sie in das operative Geschäft von Siemens Gamesa nicht eingebunden sind, geht es seit heute auch für Siemens-Energy-Chef Christian Bruch und dessen Finanzchefin Maria Ferraro ans Eingemachte. „Jetzt muss sich etwas ändern“, fordert ein Analyst der einflussreichen Investmentbank JP Morgan unmissverständlich.
Und er macht auch klar, dass sich Siemens Energy in einer Zwickmühle befindet: „Die Windkraftbranche ist derzeit nicht investierbar.“ Trotzdem könnte es passieren, dass Siemens Energy gerade jetzt im großen Stil investieren muss. „Nach einem voraussichtlich dritten operativen Verlustjahr in Folge richtet sich der Blick immer stärker auf die Bilanz von Siemens Gamesa“, warnt JP Morgan.
Dort stand zuletzt zwar „nur“ eine Nettofinanzverschuldung von 207 Millionen Euro zu Buche. Aber dieser Wert verschlechtert sich zusehends. Gleichzeitig geht das Ebitda als Bezugsgröße immer weiter zurück. Es zeichnet sich ab, dass der Leverage Net Debt/Ebitda im Lauf der nächsten Quartale in Richtung 2x ansteigen könnte. Dies wäre brenzlig, da die Errichtung von Windkraftanlagen sehr kapitalintensiv ist und die Anbieter finanzielle Puffer benötigen, um schlecht kalkulierte Aufträge oder Bauverzögerungen abfedern zu können.
Siemens Gamesa ist bei mehreren gigantischen Offshore-Windparks als Lieferant beteiligt, deren Investitionsvolumen in die Milliarden geht. Bei solchen Projekten können Fehlentwicklungen schnell tiefe Löcher in die Kasse reißen.
Geht Siemens Energy bei Gamesa „all-in“?
Welche Entscheidungen kommen nun womöglich auf CEO Bruch und CFO Ferraro zu? Zum einen werden die Rufe nach einer Komplettübernahme und Vollintegration von Gamesa immer lauter. Nur dann könne die Holding bei den Spaniern durchgreifen, glauben viele Investoren. Regelmäßig kursieren am Markt Gerüchte, dass Siemens Energy genau dies plane. Als möglicher Termin für einen Strategiewechsel wird der Kapitalmarkttag des Unternehmens im Mai genannt. Die Investmentbank Bernstein hält einen solchen Deal inzwischen für „den einzigen Weg in die Freiheit“.
Wegen des anhaltenden Kursverfalls der Gamesa-Aktie wird eine mögliche Übernahme immer billiger: Aktuell kostet der ausstehende 33-Prozent-Anteil an der Börse nur noch 3,7 Milliarden Euro. Vor einem Jahr war es noch doppelt so viel. Doch bei einer scheinbar außer Kontrolle geratenen Tochter finanziell „all-in“ zu gehen, wird mit jeder Gewinnwarnung von Gamesa riskanter.
Könnte CFO Ferraro eine Gamesa-Übernahme finanzieren?
Und Ferraro müsste für einen solchen Deal eine neue Finanzierung einfädeln. Die derzeit von Siemens Energy noch ungenutzte Konsortialkreditlinie über 3 Milliarden Euro wäre einerseits zu klein für eine Gamesa-Übernahme, zum anderen braucht auch Siemens Energy einen großen Finanzpuffer für das eigene, ebenfalls kapitalintensive Geschäft im Großanlagenbau. Der Kapitalmarkt dürfte eine Gamesa-Übernahme als riskant einschätzen und entsprechend hohe Zinsaufschläge für eine Finanzierung fordern.
Ein zweiter – eher bitterer, aber nicht so riskanter – Weg wäre eine Rekapitalisierung von Siemens Gamesa, um die Spanier, die von einem deutschen Manager geführt werden, wieder finanzstark zu machen. Dies könnte dort eine tiefgreifende Restrukturierung ermöglichen. Zu einer Kapitalerhöhung in Höhe von 1 Milliarde Euro müsste Siemens Energy gemäß seines Aktienanteils aber mindestens 660 Millionen Euro beisteuern, als potentieller Underwriter wahrscheinlich sogar noch mehr – wertvolle Mittel, die beim Umbau des Gas- und Stromgeschäfts fehlen würden und die in der bisherigen Finanzplanung von CFO Ferraro auch nicht eingeplant sein dürften.
CFO Maria Ferraro sitzt fest im Sattel
Trotz der sich zuspitzenden Krise bei Gamesa dürften Bruch und Ferraro aber zumindest ihre Posten sicher haben, denn im übrigen Geschäft von Siemens Energy läuft es besser als erwartet: In der Sparte Gas & Power liegt der Umsatz des ersten Quartals zwar unter den Analystenschätzungen, dafür aber Auftragseingang und Gewinn deutlich darüber. Siemens Energy spricht von einem „sehr soliden Jahresstart“ in der GP-Sparte.
Dabei galt diese Säule, in der Siemens zu den Weltmarktführern beim Bau und Service von Gaskraftwerken und Stromnetzen zählt, beim Börsengang im September 2020 als das eigentliche Sorgenkind. Manche hielten GP sogar für nicht mehr sanierbar. Bruch und Ferraro beweisen gerade das Gegenteil. Aber den Markt interessiert das wenig: „Die erneut guten Resultat von GP werden von den Problemen bei Siemens Gamesa überschattet“, schreibt JP Morgan.