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Sechs Antworten zum Insolvenzverfahren

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Wie das Insolvenzverfahren in der Regelinsolvenz abläuft, erklärt der erste Teil unserer Serie. Foto: Ralf Geithe/iStock/Thinkstock/Getty Images
Wie das Insolvenzverfahren in der Regelinsolvenz abläuft, erklärt der erste Teil unserer Serie. Foto: Ralf Geithe/iStock/Thinkstock/Getty Images

Wann muss ein Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen?

Als Insolvenzgründe gelten Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit. Allerdings ist ein Unternehmen nicht erst dann zahlungsunfähig, wenn gar kein Gläubiger mehr Geld erhält, sondern schon weit davor: „Bereits wenn ein Unternehmen 10 Prozent seiner fälligen Forderungen in absehbarer Zeit nicht wird begleichen können, spricht man von einer Zahlungsunfähigkeit“, erklärt Michael Pluta von der gleichnamigen Kanzlei, der als Insolvenzverwalter derzeit unter anderem den angeschlagenen Automobilzulieferer Allgaier begleitet.

Von einer Überschuldung sprechen Sanierer, wenn das Vermögen eines Unternehmens nicht mehr ausreicht, um bestehende Verbindlichkeiten zu decken. Grundlage für die Bewertung möglicher Insolvenzgründe ist die sogenannte Fortbestehensprognose. Fällt diese negativ aus, ist ein Insolvenzantrag zwingend. Die Fristen dafür sind in der Insolvenzordnung geregelt. Dort heißt es, dass der Antrag spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen ist.

Ausnahmen bei der Insolvenzantragspflicht gab es im Zusammenhang mit der Coronakrise und zuletzt mit dem Sanierungs- und insolvenzrechtlichen Krisenfolgenabmilderungsgesetz (SanInsKG), das im November 2022 in Kraft getreten war. Die Ausnahmeregelungen sind zum 31. Dezember 2023 ausgelaufen.

Wie läuft die Regelinsolvenz nach dem Insolvenzantrag?

Im Unterschied zu einer Insolvenz in Eigenverwaltung, bei der der Schuldner weiterhin am Steuer bleibt, liegen die Geschicke bei der Regelinsolvenz in den Händen eines Insolvenzverwalters. Er verfügt über das Vermögen des Schuldners.

Nach dem Insolvenzantrag befindet sich das Unternehmen zunächst in einem vorläufigen Insolvenzverfahren, das in der Regel etwa drei Monate dauert. Während des vorläufigen Insolvenzverfahrens ermittelt ein Sachverständiger – in der Regel ist dies der vorläufige Insolvenzverwalter – im Auftrag des Gerichts, ob das Unternehmen die Voraussetzungen für die Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfüllt.

„Manche Insolvenzverfahren ziehen sich über Jahre.“

Michael Pluta, Insolvenzverwalter

Wie lange das Insolvenzverfahren schließlich dauert, ist sehr unterschiedlich: „Manche Unternehmen können nach wenigen Monaten verkauft werden und haben dann eine neue Perspektive. Andere Insolvenzverfahren ziehen sich über Jahre“, berichtet Pluta. Vielfach bleibe den Verwaltern auch keine andere Option, als das Unternehmen zu liquidieren.

Was sind die ersten Schritte nach dem Insolvenzantrag?

Zunächst muss der Insolvenzverwalter klären, ob das Unternehmen durch eine Restrukturierung wieder auf die Beine kommen kann oder ob es liquidiert werden muss. Vorrangiges Ziel ist es, die Interessen der Gläubiger zu schützen. Die wirtschaftliche Situation des Schuldners darf sich daher durch die Weiterführung des Betriebs nicht verschlechtern. Sind die Produktionsstrukturen noch intakt, und gibt es nach wie vor einen Markt für das Produkt, steigen die Chancen auf eine Fortführung. „Diese Entscheidung trifft der Insolvenzverwalter oft am ersten Tag seines Mandats“, berichtet Pluta.

Wenn es weitergeht, muss das Unternehmen für die Mitarbeiter Insolvenzgeld über die Agentur für Arbeit beantragen. Dieses wird für maximal drei Monate gezahlt. Im vorläufigen Insolvenzverfahren wird das Insolvenzgeld meist über eine Bank vorfinanziert, die im Gegenzug die Ansprüche der Mitarbeiter gegenüber der Arbeitsagentur als Sicherheiten bekommt. „Mit der Arbeitsagentur und den Banken sollte man daher von Anfang an einen offenen Dialog führen“, rät Pluta.

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Wichtig ist es auch, zu sortieren, welche Werte möglicherweise bereits als Sicherheiten an Lieferanten, Vermieter oder Banken abgetreten wurden. Auch Gläubiger, deren Forderungen im Falle einer Insolvenz besichert wären, können aus einer Fortführung Vorteile ziehen, sagt der Insolvenzverwalter: „Hat etwa eine lokale Sparkasse besicherte Forderungen gegen ein Unternehmen, würden diese im Insolvenzfall zwar abgelöst. Allerdings gingen in der Region einige Arbeitsplätze verloren, und die Sparkasse müsste an anderer Stelle den Ausfall von Konsumentenkrediten oder Hausfinanzierungen fürchten.“

Was versteht man unter Masseunzulänglichkeit?

Wenn abzusehen ist, dass die Insolvenzmasse nicht einmal die Kosten des Insolvenzverfahrens decken würde, wird dieses gar nicht erst eröffnet. Sanierer sprechen in diesem Fall von „Masseunzulänglichkeit“.

Das Problem: „Viele Verfahren bewegen sich nur knapp oberhalb dieser Schwelle, und dann müssen sie eröffnet werden“, sagt Pluta. Von der Insolvenzmasse werden dann zunächst die Gerichts- und Verwaltungskosten sowie die Arbeitsstunden des Insolvenzverwalters und seines Teams bezahlt. Der häufig überschaubare Rest geht an die Gläubiger. Die Insolvenzquote, die die Gläubiger zurückerhalten, liegt bei Unternehmensinsolvenzen in Deutschland regelmäßig nur im einstelligen Prozentbereich.

Wer wählt den Insolvenzverwalter aus?

Den vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt zunächst das Gericht. Der Insolvenzverwalter soll eine fachkundige, von den Verfahrensbeteiligten unabhängige Person sein – genauer ist die Tätigkeit nicht definiert. „In der Praxis sind Insolvenzverwalter überwiegend Juristen, die zudem kaufmännische Kenntnisse mitbringen“, sagt Pluta, der ebenfalls Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht ist. In der Regel arbeiten angehende Insolvenzverwalter mehrere Jahre bei einem erfahrenen Kollegen mit, um die Abläufe kennenzulernen. Gerade an größeren Insolvenzverfahren arbeiten oft größere Teams mit Dutzenden Mitarbeitern.

„Gläubiger machen von der Möglichkeit der Mitbestimmung aktiv Gebrauch.“

Michael Pluta, Insolvenzverwalter

Die Gläubiger haben bei der Auswahl des Insolvenzverwalters ein Mitspracherecht: Spätestens drei Monate nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss eine Gläubigerversammlung stattfinden, auf der die Gläubiger auch über den vom Gericht bestellten vorläufigen Insolvenzverwalter abstimmen können. Sind sie mit ihm nicht einverstanden, können sie einen anderen Verwalter bestimmen. „Von dieser Möglichkeit der Mitbestimmung machen die Gläubiger auch aktiv Gebrauch“, sagt der Anwalt.

Welche Folgen hatte die Coronakrise?

Während der Coronakrise gab es weniger Insolvenzen als befürchtet, was sich laut Pluta auf mehrere Ausnahmeregeln zurückführen lässt. Das wirkt sich bis heute aus: „Einige Insolvenzen wurden zeitlich nach hinten verlagert. Nun sehen wir die Nachholeffekte“, sagt der Sanierer. Für die Insolvenzverwalter bedeutet dies in der aktuellen Krisenstimmung laut Pluta vor allem eines: „Die Zahl der Insolvenzen wird weiter steigen.“

Im Jahr 2023 habe es bundesweit etwa 18.000 Unternehmensinsolvenzen gegeben, rund 4.000 mehr als im Vorjahr. Damit lagen die Insolvenzzahlen dennoch deutlich unter denen des Krisenjahres 2009, in dem rund 33.000 Unternehmen Insolvenz anmeldeten. Pluta betont: „Mit dem Sanierungsrecht haben wir vielfältige Möglichkeiten, um Unternehmen zu retten.“ Eine Insolvenz bedeute nicht zwingend das Ende eines Betriebs – zumindest, wenn die Firmen wettbewerbsfähig sind.

Info

Erika von Bassewitz ist Redakteurin bei FINANCE. Sie hat Philosophie und Französisch an der Humboldt-Universität in Berlin sowie an der Université de Genève studiert und mit einem Magister Artium abgeschlossen. Vor FINANCE war sie mehr als acht Jahre Redakteurin in der Multimediaredaktion des Medienhauses der EKHN. Davor war sie unter anderem Redakteurin beim HR-Magazin von monster, freie Autorin bei Deutsche Welle TV und freie Mitarbeiterin bei der Westdeutschen Zeitung.