Top-Headhunter: „Manche Manager verlieren die Bodenhaftung“

Info Anm. d. Red.: Das Gespräch fand statt, bevor die Ampel-Koalition zerbrochen ist. Er ist einer der letzten seiner Art: Heiner Thorborg ist selbständiger Headhunter auf Top-Ebene. Seit beinahe einem halben Jahrhundert platziert er Vorstände und Aufsichtsräte sowohl bei börsennotierten Konzernen als auch bei Familienunternehmen. Vor kurzem hat Thorborg seinen 80. Geburtstag gefeiert, doch aufhören will er nicht – im Gegenteil: Lange hatte der Headhunter sein Büro im edlen Frankfurter Wohngebiet Lerchesberg. Vor einigen Monaten ist er in den Opernturm an der Frankfurter Taunusanlage gezogen, zwischen Bankentürmen und Westend. Dort sitzt er nun im 16. Stock. Die Nähe zur Finanzwelt ist praktisch: Am Tag vor diesem Gespräch war Thorborg bei Jens Weidmann, Aufsichtsratschef der Commerzbank. Mit FINANCE hat Thorborg sich verabredet, um über die Lage des deutschen Top-Managements zu sprechen und darüber, wie sich die Rolle des CFO in seiner Zeit als Personalsucher verändert hat. Thorborg serviert Espresso mit Wasser und nimmt sich rund zwei Stunden Zeit. FINANCE: Herr Thorborg, die deutsche Wirtschaft ist in eine Rezession gerutscht, die Regierung wird von vielen kritisch gesehen. Deutsche Kernindustrien wie die Automobilbranche kränkeln. Wer ist momentan schlechter: Deutschlands führende Politiker oder Top-Manager?Thorborg: Die Top-Manager in Deutschland sind auf jeden Fall besser als die derzeitige Regierung. Ich habe, seit ich wählen kann, noch keine so miese Regierung erlebt, wo es so viel um Persönlichkeiten ging und so wenig um die Sache an sich. Da gibt es viel zu wenig Kompetenz, das höre ich an fast jeder Stelle aus der Wirtschaft. Es gibt tiefe Gräben zwischen Politik und Wirtschaft. Headhunter sieht Wirtschaftsstandort positiv FINANCE: Das klingt schlecht.Thorborg: Ja, wobei ich die Schwarzmalerei des Wirtschaftsstandorts nicht teile. Auch in den Medien wird übertrieben, das ist zumindest meine Ansicht. Wir stehen nicht vor dem Abgrund, die Unternehmen werden nicht plötzlich alle flüchten. Alternativen wie China oder USA haben ja auch Nachteile. Wir haben schon schwere Rezessionen hier im Land erlebt und sind dadurch eigentlich immer stärker geworden. FINANCE: Ist es auch in Unternehmen häufig ein Problem, wenn es eher um persönliche Eitelkeiten als um das Wohl des Konzerns geht?Thorborg: Ja, auf jeden Fall. Das sieht man immer wieder. Viele halten sich für besser, als sie sind. Leider verlieren Menschen in den obersten Funktionen manchmal die Bodenhaftung, dann erreicht man sie nicht mehr. Info Heiner Thorborg, 1944 in Buxtehude geboren, wuchs der heute 80-Jährige im Nachkriegs-Hamburg auf, sein Vater betrieb einen Supermarkt in der Hansestadt. 1979 heuerte Thorborg bei dem Unternehmer Egon Zehnder an und baute die Frankfurter Präsenz auf. 1989 machte er sich selbständig und vermittelt seither Vorstände und Aufsichtsräte an Deutschlands größte Konzerne. FINANCE: Ist das Ihnen mit Klienten auch passiert?Thorborg: Leider ja, da kann man nichts mehr machen. FINANCE: Sie platzieren seit über vier Jahrzehnten Executives in Unternehmen, darunter auch CFOs wie Helene von Roeder (aktuell Merck) oder Rachel Empey (ehemals Fresenius). Worauf achten Sie, wenn Sie jemandem begegnen und schauen, ob diese Person für die Position geeignet ist?Thorborg: Wenn der Lebenslauf schlüssig ist, muss ich nicht prüfen, ob die Person Treasury oder Controlling kann. Auf diesem Niveau nehme ich es als gegeben hin, dass die Managerinnen und Manager die Qualifikationen mitbringen. Ich achte sehr stark auf die Persönlichkeit. Ein ganz wichtiger Punkt ist die Fähigkeit zur Empathie. „Wenn der Lebenslauf schlüssig ist, muss ich nicht prüfen, ob die Person Treasury oder Controlling kann.“ Heiner Thorborg FINANCE: Das ist wahrscheinlich schwierig festzumachen.Thorborg: Das spürt man, wenn man ein wenig Erfahrung hat. Natürlich mache auch ich Fehler, aber meistens liege ich richtig. Wenn Leute selbst viel reden und nicht richtig zuhören, ist es meistens ein schlechtes Zeichen. FINANCE: Warum ist Empathie so wichtig?Thorborg: Sie ist ein Schlüssel zu guter Führung, ist aber gerade auf der obersten Führungsebene nicht immer so stark ausgeprägt. Ich habe absolute Top-CFOs und -CEOs erlebt – die Namen kann ich natürlich nicht nennen –, die wirklich kein Mitgefühl hatten. Da ist es auf Dauer schwierig, sich in einem Unternehmen zu halten. Das Problem ist ja: Menschen ohne Empathie wissen nicht, dass ihnen etwas fehlt. Die denken, sie hätten das. FINANCE: Im Vorstand müssen aber schwierige Entscheidungen getroffen werden. Da kann man sich nicht zu stark von Gefühlen leiten lassen.Thorborg: Natürlich gibt es Sondersituationen wie Restrukturierungen, in denen Empathie nicht die wichtigste Fähigkeit ist. Da braucht es eine gewisse Brutalität. Wenn 15.000 Leute entlassen werden, dann müssen die entlassen werden. Manfred Knof von der Commerzbank hat das in den vergangenen Jahren sehr gut umgesetzt. Er ist weniger ein Stratege, hat aber bemerkenswerte Arbeit geleistet und die vorgegebene Strategie umgesetzt. CFOs sind besser geworden FINANCE: Wie haben sich CFOs in den vergangenen Jahrzehnten Ihrer Beobachtung nach entwickelt?Thorborg: Finanzvorstände waren früher sehr zahlengetrieben, das waren häufig typische Buchhalter. In den vergangenen 20 Jahren sind da Persönlichkeiten gekommen, die für sich entschieden haben, dass CFO zu sein zwar fein ist, aber am Ende des Tages wollen sie CEO werden. CFOs werden aber nur Chef im eigenen Unternehmen, das haben einige in der Vergangenheit vergessen. FINANCE: Also wenn ein CFO zu Ihnen kommt und sagt: „Machen Sie mich zum CEO bei einem anderen Konzern, ich komme hier nicht weiter“, dann gibt es ein klares Nein von Ihnen?Thorborg: Ja, das funktioniert nicht. Kein Aufsichtsrat eines Konzerns holt einen Finanzchef, den er nicht kennt, der noch nie CEO war – und macht ihn dann zum Konzernchef. „Kein Aufsichtsrat eines Konzerns holt einen Finanzchef, den er nicht kennt, der noch nie CEO war – und macht ihn dann zum Konzernchef.“ Heiner Thorborg FINANCE: Worauf achten Sie, wenn ein CFO zum Chef werden will?Thorborg: Auch da sind die Persönlichkeit und die Fähigkeit zur Empathie wieder sehr wichtig. Die Managerin oder der Manager muss zu dem Unternehmen passen, sonst sollte man die Finger davon lassen. FINANCE: Da braucht es aber auch eine ordentliche Portion Reflexionsfähigkeit, oder?Thorborg: Ja, man tut sich auch keinen Gefallen damit, wenn man in eine Situation geht, die nicht zu einem passt. Wenn CFOs das Unternehmen wechseln, dürfen sie sich nicht von der Größe der Aufgabe oder dem Gehalt blenden lassen, sondern müssen schauen, ob die Situation passt. Ich habe schon große Fehler gesehen, weil Managerinnen oder Manager nicht kritisch genug waren. Das kann eine ganze Karriere ins Stottern bringen. FINANCE: Sie haben sich schon früh der Förderung von Frauen verschrieben, etwa das Frauennetzwerk „Generation CEO“ gegründet. Haben Top-Managerinnen beim Thema Empathie einen Vorteil?Thorborg: Das würde ich pauschal nicht sagen. Sie haben eine andere Art zu führen. Im Vergleich zu Männern mag es richtig sein, dass Frauen empathischer sind. Aber es gibt auch Männer mit viel Einfühlungsvermögen. Und es gibt auch Frauen, die kaltherzig vorgehen. FINANCE: In den vergangenen Jahren haben immer mehr Frauen CFO-Positionen übernommen. Stimmt Sie das zufrieden?Thorborg: Ja, auch weil die Qualität auf dem CFO-Posten durch Diversity zugenommen hat, das Niveau ist insgesamt höher. Einige Männer mögen das vielleicht nicht, aber qualifizierte und gute Manager haben damit weniger ein Problem. Es geht am Ende des Tages um Qualität, die sich unabhängig von Geschlecht oder Herkunft durchsetzen sollte. Info Shrek 5 Die Headhunting-Szene wird durch die Personalberatungskonzerne Spencer Stuart, Heidrick & Struggles, Russell Reynolds, Egon Zehn-der und Korn Ferry dominiert, die auch als „Shrek 5“ bezeichnet werden. Der Markt ist verschwiegen; die Personalvermittler wollen nicht, dass ihre Kunden wissen, ob sie für die Konkurrenz arbeiten. FINANCE: In der Restrukturierungsbranche sind Frauen immer noch eher selten gesehen.Thorborg: Früher hieß es immer, Frauen könnten solche Jobs wie Vorstandspositionen nicht ausfüllen. Wir sehen jetzt, dass es doch geht. Das wird auch in der Restrukturierungsbranche so sein. Warum sollen sie das nicht können? Es ist aber ein Prozess. Männer mussten sich in den vergangenen Jahren erst an starke Frauen im Unternehmen gewöhnen. Ich sage gern überspitzt: Früher kannten erfolgreiche Manager nur ihre Ehefrau, ihre Affäre und ihre Sekretärin. Eine Vorständin war für diese Menschen ein ganz neues Konzept. FINANCE: Das stelle ich mir als Frau nicht leicht vor.Thorborg: Nein, die ersten Top-Managerinnen mussten unheimlich aufpassen. Wenn sie einmal aus der Haut gefahren sind, galten sie sofort als zickig und hatten schon verloren. Ich habe eine Frau an einen deutschen Versandhändler vermittelt, die unglaublich gelassen war und alle Kommentare hat abperlen lassen. Die war klasse. Bei einem anderen Traditionskonzern wollte eine Managerin als erste Frau in der Geschäftsführung das Büro einer anderen Führungskraft, die war nach einem Jahr wieder weg. FINANCE: Sie legen gern den Finger in die Wunde bei Konzernen. Zuletzt haben Sie den Softwarekonzern SAP kritisiert. Technologie-Vorstand Jürgen Müller hatte sich auf einer Firmenfeier Fehlverhalten geleistet und legte sein Amt nieder. Mehr erfuhr die Öffentlichkeit aber nicht.Thorborg: Ja, das scheint ein krasses Fehlverhalten gewesen zu sein. Da muss der Konzern meiner Meinung nach klar sagen, was vorgefallen ist. Etwas so halb zu kommunizieren, das geht einfach nicht, das ist feige. Wenn er sich tatsächlich etwas geleistet hat, wie es im Raum steht, dann gehört er fristlos gekündigt. Vor allem, wenn man sich als Unternehmen gern mit seiner Corporate Governance rühmt. Was kommt noch für Headhunter Thorborg? FINANCE: Man merkt, die Themen bewegen Sie immer noch. Sie haben vor kurzem Ihren 80. Geburtstag gefeiert. Die Frage muss erlaubt sein: Was treibt Sie noch an und wie lange machen Sie noch?Thorborg: Zunächst einmal bin ich noch fit und fühle mich nicht wie 80. Ich habe gute Gene, viele Leute sagen mir, ich sehe eher aus wie 60. Ich bin mittlerweile in dritter Ehe, meine Frau ist Jahrgang 1977, dazu habe ich vier Kinder. Die halten mich auch jung. Ich mache mir schon Gedanken über die Zukunft, kann mir vorstellen, bald etwas kürzerzutreten. Ich habe aber auch noch einige Pläne.

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