Noch nie stand das Geschäft mit Beratungsdienstleistungen in Deutschland so stark im Fokus von KPMG, Deloitte, PwC und EY wie im vergangenen Jahr. Die sogenannten Big Four haben zum Teil sogar mit Wachstumsraten überrascht, von denen etablierte Beratungen nur träumen können. Die vier Häuser, die eigentlich traditionell aus der Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung kommen, sind spätestens seit dem vergangenen Jahr eine veritable Konkurrenz für etablierte Strategieberater wie McKinsey, Bain oder Roland Berger sowie für spezialisierte Häuser wie Accenture geworden.
Das ist vor allem deswegen bemerkenswert, weil die Big Four erst seit einigen Jahren massiv in den Beratungsmarkt vorstoßen. Ausgelöst wurde diese Offensive durch die Situation, dass sich im traditionellen Geschäft mit der Prüfung kaum noch etwas verdienen lässt. Für Beratungsleistungen können die Big Four hingegen wesentlich höhere Tagessätze verlangen.
Die finanziellen Folgen sind erheblich: Alle Vier haben 2017 in Deutschland erstmals mehr mit der Beratung (Steuerberatung ausgenommen) als mit der Wirtschaftsprüfung umgesetzt. Wachstumstreiber sind vor allem Projekte zur digitalen Transformationen.
Deloitte hat KPMG auf den vierten Platz verwiesen
Doch nicht alle Vier haben sich gleich stark entwickelt. Ein genauer Blick in die Zahlen macht deutlich, wer noch aufs Tempo drücken muss. Auf Deloitte trifft das nicht zu. Die Münchener sind enorm stark gewachsen, besonders im Bereich Financial Advisory, wo Deloitte die Gesamtleistung um 51 Prozent auf 253 Millionen Euro ausbaute.
Auch im Consulting ist Deloitte mit 35 Prozent auf 439,8 Millionen Euro stark gewachsen. Zusammengenommen flossen Deloitte aus der Corporate- und Strategieberatung knapp 700 Millionen Euro zu. Nicht nur prozentual hat Deloitte 2017 das stärkste Wachstum unter den Big Four hingelegt, sondern auch in absoluten Zahlen.
Damit ist das Haus – bezogen auf die Beratung – erstmals nicht mehr die ewige Nummer vier hinter den Konkurrenten PwC, KPMG und EY, sondern hat KPMG auf den vierten Platz verwiesen. Auch PwC und EY sind nicht mehr weit entfernt. Allerdings sind die Zahlen nicht eins zu eins vergleichbar, da jede der Big Four unterschiedliche Leistungen im Geschäftsbereich Beratung zusammenfasst.
Deloitte kommt zugute, sich nie vom Beratungsgeschäft getrennt zu haben.
Hinzu kommt, dass Deloittes Wachstum komplett organisch war. Das wird sich 2018 ändern, denn Deloitte hat im vergangenen Jahr einige kleinere Beratungshäuser hinzugekauft, deren Umsätze sich in den Zahlen für das aktuelle Jahr widerspiegeln werden, unter anderem den Analytics-Spezialisten SCDM Germany und die Digitagentur Acne.
Deloitte kommt zugute, sich nie vom Beratungsgeschäft getrennt zu haben. Anders die Konkurrenten: Nach Bilanzskandalen Anfang des neuen Jahrtausends hatten PwC, KPMG und EY ihre Beratungsarme abgespalten und bauen dieses Geschäft jetzt nach und nach mühevoll, aber sehr ambitioniert wieder auf.
EY kauft zahlreiche Beraterhäuser
Auch EY hat 2017 ein ordentliches Wachstum im Beratungsgeschäft hingelegt, das aber bei weitem nicht so stark ausfiel wie bei Deloitte. Die Transaktionsberatung ist um 34 Prozent auf 392 Millionen Euro gewachsen, auch die Managementberatung kann sich mit einem Anstieg von 19 Prozent sehen lassen. Dort setzt EY inzwischen 331 Millionen Euro um. Insgesamt generierte EY 2017 mit seinen Beratungsleistungen 723 Millionen Euro Umsatz und landet damit in diesem Feld hinter PwC auf dem zweiten Platz, noch knapp vor Deloitte.
EY hat 2017 mehrere Zukäufe getätigt: Im Dezember holte EY ein großes Prozessberatungsteam von Kienbaum an Bord, im September kaufte man die IT-Beratung für Personalprozesse Kivala-HR, im Juli die Digitalberatung Etventure. Die Umsätze der Neuzugänge werden sich erst 2018 in den Zahlen niederschlagen.
PwC grenzt sich durch Strategy& ab
Dank seines Wachstums ist EY inzwischen sehr nah an PwC heran gerückt. Dort hat sich das Beratungsgeschäft mit einem Anstieg von 18,1 Prozent im vergangenen Jahr zwar auch gut entwickelt, die Gesamtleistung liegt mit 781,3 Millionen Euro aber nicht mehr weit vor der von EY.
Auch bei PwC sind neben den klassischen Themen – etwa der Beratung bei Bilanzierungsfragen oder Prozessoptimierungen und M&A-Deals – andere Services in der Agenda nach oben gerückt. Dazu gehören IT- und Digitalisierungsthemen, insbesondere Cyber Security, Industrie 4.0, Robotics und Künstliche Intelligenz.
Abgrenzt von der Konkurrenz hat sich PwC durch den Kauf der großen Strategieberatung Strategy& (ehemals Booz) im Jahr 2014. Zwar gab es auch bei den Wettbewerbern Überlegungen, große Strategieberater zu kaufen (unter anderem Roland Berger), umgesetzt hat dieses Vorhaben bislang aber nur PwC. Während die vergangenen Jahre noch durch Herausforderungen bei der Integration geprägt waren – viele Mitarbeiter hatten Strategy& nach der Übernahme durch PwC verlassen – sollte sich 2018 nun endlich auch in den Zahlen zeigen, dass sich der große Zukauf auch gelohnt hat.
KPMG stagniert in der Beratung
KPMG hat viel Geld in den Ausbau von Beratungsdienstleistungen investiert.
Im Vergleich zu PwC, EY und Deloitte schnitt KPMG 2017 überraschend schwach ab: Mit einem Anstieg von nur 1 Prozent stagnierte das Beratungsgeschäft de facto. Vor allem in den Bereichen M&A, Sanierung und Restrukturierung gingen die Umsätze zurück.
Das Geschäft mit der Strategie- und Unternehmensberatung ist immerhin um 6 Prozent gewachsen und konnte die Einbrüche an anderen Stellen etwas ausgleichen. Zusammengenommen hat KPMG mit der Beratung 575 Millionen Euro umgesetzt.
Die schwache Entwicklung ist auch deshalb überraschend, weil KPMG viel Geld in den Ausbau von Beratungsdienstleistungen investiert, unter anderem in die Bereiche Risiko & IT, Data & Analytics und künstliche Intelligenz, Digital Labour und Robotics sowie Cyber Security.
Seit vergangenem Jahr können Kunden auch auf die digitale Beratungsplattform „Atlas“ zugreifen, wo sie Infos zu Industrie 4.0 und Robotics finden und sich in einem Benchmarking messen können. Daneben hat KPMG das Insights Center eröffnet, wo Themen wie Big Data für Kunden erlebbar gemacht werden sollen. PwC, Deloitte und EY haben inzwischen aber ganz ähnliche Leistungen auf den Markt gebracht.
Prüfmandate hemmen Beratungswachstum bei KPMG
Der entscheidende Grund, warum KPMG beim Beratungs-Boom außen vor bleibt, dürfte die starke Position des Unternehmens in der Wirtschaftsprüfung sein. KPMG prüft aktuell die mit Abstand meisten Unternehmen im Dax und darf bei diesen Konzernen daher gar nicht oder nur sehr begrenzt beraten.
Für KPMG, aber auch für PwC, die Nummer Zwei in der Wirtschaftsprüfung, ist die Prüferrotation, laut der alle kapitalmarktorientierten Unternehmen alle zehn Jahre ihr Prüfmandat neu ausschreiben müssen, daher eine große Chance auf Wachstum in der Beratung.
Die Führungsriegen von KPMG und PwC setzen darauf, mit Hilfe neuer Beratungsmandate die künftigen Umsatzverluste im Prüfgeschäft kompensieren zu können. Da die große Rotationswelle noch bevorsteht, sind die Rollen der Big Four im Beratungsmarkt daher noch lange nicht unverrückbar verteilt.
Info
Die Entwicklung der Big-Four-Gesellschaften beleuchtet FINANCE in einer Artikelreihe, die die Positionierung der Häuser in den Geschäftsbereichen Wirtschaftsprüfung, Unternehmensberatung und Steuerberatung nachzeichnet. Den Bericht zur Unternehmensberatung finden Sie hier, den zur Steuerberatung hier.
Weitere Artikel und Informationen zu KPMG, PwC, Deloitte und EY sowie die einzelnen Geschäftszahlen in aller Ausführlichkeit finden Sie im Big-Four-Report 2018 sowie auf unserer Themen-Seite zu den Big Four.
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.