Es kriselt schon seit längerem im Vorstand von ProSiebenSat.1. Nun kommt es zu einem Machtwechsel: Wie das Münchener Medienhaus gestern Abend nach Börsenschluss mitteilte, scheidet Vorstandschef Max Conze „mit sofortiger Wirkung“ aus dem Unternehmen aus. Der bisherige CFO des Unternehmens, Rainer Beaujean, übernimmt dafür die Rolle des Vorstandssprechers zusätzlich zu seiner Funktion als Finanzchef. Neu in den Vorstand stoßen zudem Wolfgang Link, verantwortlich für das Segment Entertainment, und Christine Scheffler für den Bereich Personal.
Auffallend ist, dass Beaujean nicht als Vorstandsvorsitzender sondern als Sprecher auf Conze folgt. „Der Vorstandssprecher ist ein ‚Primus inter pares‘: Das Management agiert und entscheidet jetzt als Team, und nur der Sprecher wird die Entscheidungen des Vorstands nach innen wie nach außen kommunizieren“, erklärt ein ProSieben-Sprecher dazu. Damit sind die Hierarchien im ProSiebenSat.1-Management aufgelockert.
Zu den Gründen von Conzes Weggang äußert sich ProSiebenSat.1 auf Nachfrage nicht. In dem Führungsgremium hatte es seit Monaten Querelen gegeben, Conze stand zunehmend in der Kritik. Erst Mitte März wurde bekanntgegeben, dass Vize-Chef Conrad Albert das Unternehmen nach 15 Jahren zum 30. April verlassen wird. Auch hier gibt es keine öffentlich genannten Gründe. Er hatte sich zuvor in einem Interview kritisch über den Konzern geäußert und den Begriff „Vorstands-Soap-Opera“ gebraucht.
Rainer Beaujean kam von Gerresheimer
Für Finanzchef Rainer Beaujean kommt der Aufstieg zum Vorstandssprecher nach weniger als einem Jahr bei dem Medienkonzern. Er ist erst seit Juli 2019 CFO von ProSiebenSat.1. „Mit Rainer Beaujean übernimmt ein sehr analytischer und umsetzungsstarker Manager die Sprecherfunktion“, kommentiert Werner Brandt, Aufsichtsratsvorsitzender der ProSiebenSat.1. „Seine 20 Jahre Vorstandserfahrung werden dem Unternehmen gerade in dieser kritischen Zeit sehr zugute kommen“, so Brandt weiter.
Vor seiner Zeit bei ProSiebenSat.1 war Beaujean für den Verpackungshersteller Gerresheimer tätig, wo er seit Anfang 2013 das Finanzressort leitete und 2018 auch für einige Monate die Position des CEOs innehatte. Zu seinen weiteren CFO-Stationen gehören der Kranhersteller Demag Cranes sowie der Messtechniker Elster Group. Seine Karriere startete der 51-Jährige bei der Deutschen Telekom und durchlief verschiedene Stationen, unter anderem als Leiter des Vorstandsstabs Finanzen und Leiter Controlling für alle Auslandsbeteiligungen. Später war er zudem für ein Jahr CEO der Sparte T-Online.
FINANCE-Köpfe
ProSiebenSat.1 gibt neue Strategie bekannt
Mit der Neuaufstellung des Managements geht auch eine umfassende Strategieänderung einher: ProSiebenSat.1 will das operative Geschäft wieder stärker auf den Entertainmentsektor in der DACH-Region konzentrieren. Während der Amtszeit von Max Conze war das Ziel, ProSiebenSat.1 zu einem umfassenden Medien- und Digitalkonzern zu entwickeln, der nicht nur reine Entertainmentformate anbietet, sondern auch an zahlreichen E-Commerce-Plattformen – wie an dem Parfümversandhändler Flaconi – beteiligt ist.
Von dieser Strategie will das Medienhaus nun abrücken: Der Schwerpunkt liege jetzt wieder auf lokalen und Live-Formaten, „auch in einer Kooperation mit Red Arrow Studios und Studio 71“. Hier fasst ProSiebenSat.1 seine Produktion, den Programmvertrieb und die Formatentwicklung zusammen. Im Rahmen der neuen Strategie soll auch die Streaming-Plattform Joyn ausgebaut werden.
Joint-Venture Nucom bleibt wichtig für ProSieben
Nucom, wo ProSiebenSat.1 sein Digitalgeschäft bündelt, bleibe aber weiterhin eine „synergetisch wichtige Säule“ des Konzerns. Erst Anfang des Monats kauften die Münchener für die Nucom Group die Dating-Plattform The Meet Group zu.
Die bestehenden Beteiligungen, die unter anderem von Werbung auf den Entertainment-Plattformen profitieren, werden „werthaltig weiterentwickelt und im Zuge einer aktiven Portfoliopolitik zu gegebener Zeit veräußert“, teilen die Münchener mit. Zu den Beteiligungen von ProSiebenSat.1 gehören unter anderem die Dating-Plattform Parship sowie das Vergleichsportal Verivox.
„Wir werden uns jetzt wieder stärker auf unser Kernsegment Entertainment und auf nachhaltig profitables Geschäft konzentrieren“, bekräftigt Rainer Beaujean. „Die Corona-Pandemie stellt uns vor eine sehr große Herausforderung. Ich bin aber fest davon überzeugt, dass wir gestärkt aus dieser Krise hervorgehen werden und wieder Wert für unsere Aktionäre schaffen können“, kommentiert der CFO, der aufgrund der Corona-Pandemie nach wie vor im Homeoffice arbeitet.
Vorstandswechsel und neue Strategie beflügeln ProSieben-Aktie
Beaujean ist außerdem überzeugt, dass der Konzern weit mehr Potential habe, als ihm derzeit „extern beigemessen“ werde. Die Aktionäre von ProSieben zeigten sich jedenfalls erfreut über die Veränderungen im Vorstand sowie die angekündigte Fokussierung auf den Sektor Entertainment. Das Papier, das auch von den Auswirkungen des Coronavirus getroffen wurde, legt am heutigen Vormittag um mehr als 8 Prozent auf 7,35 Euro zu.
Der TV-Werbemarkt bleibt für Medienunternehmen ein schwieriges Umfeld. Im Geschäftsjahr 2019 konnte der Konzern seinen Umsatz zwar um 3 Prozent auf rund 4,1 Milliarden Euro steigern. Das bereinigte Ebitda sank allerdings um 14 Prozent auf 872 Millionen Euro. Eine Entwicklung, die der Konzern mit aufwandswirksamen Investitionen in die Zukunft des Geschäfts sowie den herausfordernden TV-Werbemarkt erklärt.
Info
Mehr über den Karriereweg des ProSieben-CFOs und Vorstandssprechers erfahren Sie auf dem FINANCE-Köpfe-Profil von Rainer Beaujean.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.