Die Insolvenz von German Pellets ist eine der größten Pleiten der vergangenen Jahre am deutschen Kapitalmarkt. Bis zu 760 Millionen Euro Anlegergelder könnten verbrannt sein. Offenbar hat Firmengründer Peter Leipold ein zu großes Rad gedreht, indem er den Umsatz in nur fünf Jahren von 160 auf rund 600 Millionen Euro nach oben trieb.
Als sich der Kapitalmarktzugang schloss, ging German Pellets binnen kürzester Zeit das Geld aus. Nicht nur die betroffenen Investoren fragen sich jetzt, ob das Strategie-, Finanz- und Organisations- Controlling bei German Pellets gut genug gewesen ist, um der Komplexität des Wachstums die alles entscheidende Transparenz zu verleihen.
German Pellets hatte Vielzahl von strategischen Zielen
Aus der Praxis wissen wir, dass schnell wachsende Unternehmen oft zu viele Ziele gleichzeitig ins Visier nehmen. Wenn ich in meinen Studenten das Leitbild vom Wertmanagement vorstelle, benutze ich manchmal das Bild eines Colts, um zu verdeutlichen, dass Unternehmen maximal sechs Schüsse feuern können, um ihren Wert nachhaltig zu steigern. Bei Managern von Firmen wie German Pellets, die in mehreren Dimensionen gleichzeitig expandieren, verändert sich mit der Zeit das Verhalten oft so, dass sie gar nicht merken, wie sie immer öfter zur Schrotflinte greifen – in der Hoffnung, mit einer einzigen Ladung so viel Jagdwild zu treffen wie möglich.
Von der Qualität des Controllings von German Pellets wissen wir nicht viel. Hinweise geben uns aber die Bonitätseinschätzungen der Ratingagentur Creditreform. Liest man diese Reports, wundert man sich über die Vielzahl von strategischen Zielen, mit denen German Pellets sich beschäftigt hat.
Dies muss es Leibold zusehends erschwert haben, ein Wertmanagement strategisch zu verwirklichen. Wenn ich es richtig verstanden habe, war es das definierte Ziel, Folgendes zu kombinieren: 1) die Eroberung neuer Marktanteile in einem sich schnell entwickelnden Markt, 2) Kostenführerschaft und Ebitda-Performance, 3) Internationale und nationale Neuerschließung von neuen Rohstoff- und Absatz-Standorten, 4) F&E-getriebene Technologieführerschaft, und 5) Auf- und Ausbau eines Handelsgeschäfts für Holzpellets.
Meines Erachtens schafft dies nur die eierlegende Vollmichsau, denn im realen Leben trifft uns immer wieder die Qual der Wahl. Gerade deshalb fokussieren auf Wertemanagement fokussierte Unternehmer und Investoren stets auf ein Ziel – sei es Wachstum, Marktanteile, Kosteneffizienz oder etwas anderes.
Aus dem Sägewerk in den Konzern
Seit 2009 hatte German Pellets massiv zugekauft und Beteiligungen erworben. 2015 produzierte German Pellets an18 Standorten weltweit. Gleichzeitig entstand ein Lagernetzwerk von insgesamt 48 Standorten, von denen drei in den USA angesiedelt sind.
Es ist bekannt, dass das Investment in zwei Produktionswerke in den USA mit mehr als 100 Millionen Euro von der Mutterfirma mitfinanziert wurde, aber auch dritte Investoren Geld gaben – offenbar auch der US-Finanzinvestor KKR. Alle Aktivitäten in den USA werden von einem Team koordiniert, das vor Ort in den Bereichen Technik, Einkauf, Verkauf, Finanzen und Projektleitung selbständig agiert. Aus Sicht des Controllers stellt sich die Frage, wie genau die Rollen zwischen Firmenzentrale und Tochtergesellschaften aufgeteilt waren. Hat die Zentrale aus der Gesamtheit der Einheiten Synergien und Werte geschöpft? Genau dies sollte ja die zentrale Frage einer Konzernstrategie sein.
Darüber hinaus wäre es interessant zu wissen, welche Ziele die beim Ausbau der Produktion verfolgt wurden. German Pellets hat es geschafft, manche Werke so auszurüsten, dass sie neben Sägespänen auch Holzstämme verarbeiten konnten. Strategisch gesehen war dies schlau, aber Umstellungen in der Produktion bringen immer auch Veränderungen in der Kostenstruktur mit sich, beispielsweise indem fixe Produktionskosten steigen. Solange der Absatzmarkt dynamisch wächst, ist das kein Problem. Aber spätestens mit dem Ölpreis-Crash war das bei Holzpellets nicht mehr der Fall. Gerade deshalb ist es aus Sicht des Wertmanagements hier eminent wichtig, auf das sogenannte EVA-Momentum und die EVA-Marge zu achten.
Niels Dechow bei FINANCE-TV
Konnte German Pellets Supply Chain Controlling?
Ein anderes wichtiges Thema ist die Kennzahlenerhebung. Nur weil German Pellets sich eine produktionsbasierte Marktführerrolle erwerben konnte, heißt das noch lange nicht, dass das Unternehme in dieser Industrie automatisch auch die gesamte Wertschöpfungskette vom Lieferanten bis zum Endkunden beherrschen konnte.
Aus Controller-Sicht ist eine solche Komplexität alles andere als wünschenswert, denn sie erfordert ein Controlling, dass quer durch die gesamte Wertschöpfungskette den Überblick bewahren muss. Es muss sowohl technisch als auch reflexiv weit mehr leisten, als nur den Rohertrag zu messen. Traditionell galt bei der materialkostenlastigen German Pellets der Rohertrag als eine der wichtigsten Steuerungsgrößen. Doch Holz ist ein Rohstoff, und Rohstoffpreise schwanken.
Indes: Statt auf Punktmessungen und starre Soll/Ist-Vergleiche zu setzen, geht es bei komplexen Geschäftsmodellen darum, relevante Controlling-Themen aus Beschaffung, Produktion und Absatz mit dem Finanzcontrolling zusammenzufassen. Der Grund: Eine hohe Komplexität in Produktion und Logistik kann die Liquidität einer Firma weit mehr beeinflussen, als wir es aus der externen Rechnungslegungslehre womöglich wahr haben möchten.
Ein Beispiel? Bei einer US-Firma aus dem Firmennetzwerk von German Pellets sollen sich Zinszahlungen auf eine Anleihe in Höhe von 6,1 Millionen US-Dollar verspätet haben, nur weil das Wetter so schlecht war, dass ein Schiff nicht aus Port Arthur ablegen konnte, um in den USA produzierte Pellets nach England zu liefern. Dies zeigt: In einem global organisierten Produktionsnetzwerk ist es gerade die Logistik, die die Liquidität bringt – oder sie abzieht.
Dem Finanzcontrolling von German Pellets fehlte tragfähiges Konzept
Zum Finanzcontrolling von German Pellets drängen sich deshalb Fragen auf, allen voran diese: Warum war es nicht in der Lage, die Emission von Anleihen mit den Zins- und Rückzahlungsterminen der Obligationen richtig zu synchronisieren? Warum wurde nicht früher eine Finanzrestrukturierung angegangen? Als das Unternehmen genau dies versuchte, war die Skepsis im Markt wegen des nahen Fälligkeitstermins schon so groß, dass der Deal scheiterte.
Zum richtigen Zeitpunkt, erfolgreich durchgezogen, hätte ein Sachverwalter in Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung dem Unternehmen durch die Verlängerung der Laufzeiten der nun fälligen 2016er-Anleihe eventuell Zeit kaufen können. Auch einen Debt-to-Equity Swap hätte German Pellets womöglich noch anstreben können. Doch nun ist die Insolvenzverwalterin da, und ich vermute, dass sie ihr ganz eigenes Okular verwenden wird. Eine Schrotflinte wird es eher nicht sein, und daher wird jetzt aus German Pellets etwas ganz anderes werden als von Leipold erhofft.
Möglicherweise werden manche auf die Mittelstandsanleihe einen kritischen Blick werfen wollen – dennoch ist sie nicht Schuld. Anleihen waren schon immer dafür da, die (Re-)Finanzierung kurz- bis mittelfristiger Verbindlichkeiten, die Diversifikation der Finanzierungs- und Kapitalstruktur und/oder spezielle Akquisitionsvorhaben möglich zu machen. Daher erlaube ich mir folgende Vermutung aufzustellen: Sicher sind bei German Pellets Fehler passiert, aber einen Wirtschaftskrimi muss man daraus nicht konstruieren. Auch die Pleite von German Pellets kann auf das grundsätzliche Verhalten vieler Mittelständler und Anleihegläubiger zurückgeführt werden. Eigentlich wollen Sie – in good times sowie in bad times – nichts miteinander zu tun haben, versuchen aber dennoch voneinander zu profitieren.
Was CFOs und Investoren aus der German-Pellets-Pleite lernen können
Ich möchte dazu anregen, dass Gesellschafter und Investoren sich mehr damit beschäftigen sollten, was in Zukunft die Kriterien für gutes Controlling im deutschen Mittelstand sein sollen. Aus wertorientierter Management-Sicht muss man nicht beschreiben, wie wir das Controlling und Berichtwesen als Funktion und Objekt gestalten. Vielmehr müssen wir uns damit auseinandersetzen, wie wir Finanzierung, Konzern- und Geschäftsstrategie als Controllingaktivitäten im Wertschöpfungs- management verankern können. Bei German Pellets lag dies ganz offensichtlich nicht im Fokus.
Aus Kapitalmarktsicht ist daher nicht uninteressant, wie die Creditreform das Thema Controlling bei German Pellets betrachtet hat. Der Ratingagentur zufolge soll das Controlling auf „einem durchdachten Kennzahlensystem“ basiert haben, entworfen vom geschäftsführenden Gesellschafter. Kennzahlen wurden im Rahmen einer geschäftlichen Soll/Ist-Analyse mit Hilfe von Mengen- und Wertangaben einzelner Produktionslinien monatlich ausgewertet. Produkte und Kunden konnten detailliert analysiert werden. Das hört sich gut an. Doch die Schilderung der Creditreform enthält keine Aussagen, ob dieses Kennzahlensystem in irgendeiner Form für das Konzern- Finanz- und Supply-Chain-Controlling von Nutzen war.
Mich überrascht das nicht. Immer wieder fällt mir auf, dass das Controlling in vielen deutschen Unternehmen beschrieben wird, als ob wir hier von einem Standard-Toolkit sprechen – Soll/Ist-Vergleiche, umfangreiches Reporting basierend auf üblichen Kennzahlen und so weiter. Was dabei vergessen wird: Controlling schafft von sich aus keinen Mehrwert. Nur wenn das Controlling so verwendet wird, dass es veranschaulicht, wo genau ein Unternehmen Geld verliert, findet das Controlling seine Wert-Relevanz.
Info
Niels Dechow, PhD, ist Professor für Unternehmensrechnungslegung und Controlling an der European Business School (ebs). Für FINANCE bloggt er regelmäßig zu den neuesten Trends im Controlling. Alle Beiträge seines Blogs „Controlling 2020“ finden Sie hier.