Missmanagement und schlechtes sportliches Abschneiden haben den Hamburger SV in eine tiefe Schuldenkrise gestürzt. Hoffnung könnten dem finanziell klammen Verein jetzt die abstrus hohen Ablösesummen machen, die englische Vereine bereit sind zu bezahlen. Kurz vor Transferschluss verkaufte etwa der VfL Wolfsburg seinen Mittelfeldstar Kevin de Bruyne für satte 74 Millionen Euro an den Premier-League-Klub Manchester City. Damit ist der Belgier der teuerste Bundesliga-Transfer aller Zeiten. Wolfsburg hatte im Januar 2014 etwas mehr als 20 Millionen Euro für de Bruyne bezahlt und erzielte mit dem Verkauf einen ordentlichen Profit.
Auch dem Hamburger SV spült der Geldregen aus England indirekt neue Gelder in die klamme Kasse. Bundesliga-Konkurrent Bayer Leverkusen verkaufte ebenfalls Ende August für 30 Millionen Euro den ehemaligen HSV-Star Heung Min Son an die Tottenham Hotspurs. HSV- CFO Frank Wettstein wird der Transfer gefreut haben: Insgesamt soll der Bundesliga-Dino aus dem Son-Transfer 2,5 Millionen Euro überwiesen bekommen haben.
Der Betrag kommt durch eine Vertragsklausel zustande, die Ex-Vorstandsboss Carl Jarchow beim Verkauf ausgehandelt hatte. Diese sicherte dem HSV 10 Prozent des Gewinns aus einem Weiterverkauf Sons. Leverkusen hatte seinerzeit 10 Millionen Euro an den HSV überwiesen, somit stehen den Hanseaten von dem Transfergewinn 2 Millionen Euro zu. Hinzu kommt eine Ausbildungsentschädigung in Höhe von 500.000 Euro, weil Son in der HSV-Jugend ausgebildet wurde.
HSV will Lasogga noch nicht verkaufen
Diese Summe dürfte die HSV-Finanzen, die sich in den vergangenen Monaten ein kleines bißchen verbessert haben, weiter entspannt haben. Und in den kommenden Jahren könnten noch mehr Zuflüsse folgen. Medienberichten zufolge sollen Hakan Calhanoglu, der im Sommer 2014 seinen Wechsel vom HSV zu Bayer Leverkusen für 14,5 Millionen Euro forcierte, und Jonathan Tah, der in diesem Sommer für 7,5 Millionen Euro ebenfalls zur Werkself wechselte, ähnliche Klauseln wie Son in ihren Verträgen haben.
Calhanoglu hat laut Transfermarkt.de einen Marktwert von 18 Millionen Euro, englische Klubs dürften aber jetzt schon bereit sein, deutlich höhere Summen für den Freistoßspezialisten aufzurufen. Tahs aktueller Marktwert liegt mit 6 Millionen Euro noch unter seinem Verkaufswert. Anstehende Champions-League-Einsätze des erst 19-Jährigen könnten den Preis des Spielers jedoch schnell in die Höhe treiben. Falls Leverkusen nach Son in einer der nächsten Transferperioden auch Tah und Calhanoglu an europäische Topklubs verkaufen sollte, würde dies dem HSV weitere Millionen in die Kassen spülen, mit denen der HSV seinen Schuldenberg ein Stück weit abtragen könnte.
Jede Möglichkeit, die Bilanz schnell wieder ins Lot zu bringen, will das HSV-Management aber offensichtlich nicht nutzen. Kurz vor Ende des englischen Transferfensters soll der Premier-League-Klub Newcastle United 10 Millionen Euro für den oft verletzten HSV-Stürmer Pierre-Michel Lasogga geboten haben – fast doppelt so viel wie sein damaliger Marktwert. Doch die Hamburger schlugen die Offerte aus, verlangten angeblich mindestens 14 Millionen Euro für den Stürmer. Newcastle soll das Interesse nicht verloren haben und will Presseberichten zufolge im Winter einen erneuten Angriff auf Lasogga starten.
Der HSV ist nur noch Zwischenhändler von Talenten
Dass die größten Transfererlöse dem HSV derzeit aber auf dem indirekten Weg winken, wirft ein Schlaglicht auf die finanziellen Folgen der sportlichen Talfahrt: Der HSV sitzt weit weg von den Fleischtöpfen der Premier League, die großen Gewinne werden wohl eher Vereine wie Bayer Leverkusen oder der VfL Wolfsburg einstreichen.
Denn vor wenigen Jahren konnte der HSV wechselwillige Stars wie Nigel de Jong, Vincent Kompany, Rafael van der Vaart oder Jerome Boateng noch direkt an Top-Vereine wie Real Madrid oder Manchester City verkaufen. Damals spielte der Klub noch international. Das verlieh den HSV-Spielern in den Augen der finanzstarken Klubs Format. Heute dient der Traditionsverein nur noch als Zwischenhändler, der Spieler wie Son, Calhanoglu, Tah und Lasogga ausbildet beziehungsweise von schwächeren Vereinen kauft, um sie nach starken Leistungen an einen Champions-League-Teilnehmer wie Bayer Leverkusen weiterzureichen.
Früher war das anders: Raubein Nigel de Jong kaufte der HSV beispielsweise 2006 für 1,5 Millionen Euro von Ajax Amsterdam. Drei Jahre später zahlte Manchester City 18 Millionen Euro für den Mittelfeldspieler. Zwar erzielte der HSV mit dem heute 21-jährigen Calhanoglu, den der HSV 2012 für 2,5 Millionen Euro gekauft hatte, auch einen sehenswerten Profit. Der Kaufpreis hätte jedoch vermutlich deutlich höher gelegen, wenn Calhanoglu international gespielt hätte und nicht Leverkusen, sondern ein Premier-League-Klub auf ihn aufmerksam geworden wäre.
TSG Hoffenheim zeigt, wie es geht
Wehmütig dürften die Klubverantwortlichen des HSV nach Hoffenheim schauen. Obwohl der dortige Bundesligist in den vergangenen Spielzeiten ebenfalls nicht international spielte, kaufte der FC Liverpool den Offensivkünstler Firmino für 41 Millionen Euro. Dass ein Team für einen international unerfahrenen Spieler so viel Geld auf den Tisch legt, ist aber auch in England noch die Ausnahme.
Die TSG Hoffenheim, bei der ebenfalls große Finanzlücken klaffen, hatte aber dennoch einen Vorteil gegenüber dem HSV: Hoffenheim verfügte in den vergangenen Jahren im Gegensatz zu den Hamburgern über ein funktionierendes Spielsystem, in dem Firmino seine Stärken zeigen konnte. Mit Markus Gisdol haben die Kraichgauer zudem einen Trainer, der Talente über einen längeren Zeitraum entwickeln darf. Diesen Luxus hatten die HSV-Youngster nicht. Deshalb entgehen dem HSV heute Millionen.
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Risikokurs bei Eintracht Frankfurt, Bayern-Attacke bei Borussia Dortmund und erste Zeichen der Vernunft beim Hamburger SV: Mehr Beiträge finden Sie auf dem FINANCE-Blog „3. Halbzeit“Dritte Halbzeit. Folgen Sie der 3. Halbzeit auch auf Facebook und diskutieren Sie mit.
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Wer ist der Mann, der um die Sanierung der HSV-Finanzen kämpft? Erfahren Sie mehr im FINANCE-Köpfe-Profil von HSV-Finanzchef Frank Wettstein.
Jakob Eich ist Redakteur der Fachzeitungen FINANCE und DerTreasurer des Fachverlags F.A.Z Business Media, bei dem er auch sein Volontariat absolviert hat. Eich ist spezialisiert auf die Themen Digitalisierung im Finanzbereich und Treasury. Durch seine Zwischenstation bei der Schwesterpublikation „Der Neue Kämmerer“ ist der 1988 geborene Journalist auch versiert beim Thema Kommunalfinanzen. Erste journalistische Erfahrungen hat der gebürtige Schleswig-Holsteiner in den Wirtschaftsmedien von Gruner+Jahr sowie in der Sportredaktion der Hamburger Morgenpost gesammelt.