Kunde statt Investor werden

In der Fabrik des großen Automobilherstellers gab es ein Problem: Um die fertigen Autos vom Band zu fahren, wurden zu viele Ressourcen gebunden. Außerdem kam es häufiger zu Unfällen oder Schäden, wenn die Mitarbeiter die Wagen vom Band fuhren. So kam man auf die Idee, diesen Prozess zu automatisieren. „Wenn ich zum Beispiel bei zweieinhalb Millionen Autos jeweils 10 Minuten zum Parken benötige, bin ich schnell bei 25 Millionen Minuten und einem zwei bis dreistelligen Millionenbetrag, den ich einsparen könnte. Das ist ein Problem Worth Solving“, erklärt Gregor Gimmy, der seit 2023 als Partner die Venture-Clienting-Beratungseinheit namens 27pilots bei Deloitte leitet und den Begriff des Venture Clienting geprägt hat. „Kunde wird man schneller als Investor” In einem Fall wie oben empfiehlt Gimmy Unternehmen, nach Start-ups zu suchen, die geeignete Technologien für eine Problemstellung liefern können. Doch anders als beim bekannten Corporate-Venture-Capital-Ansatz rät er dazu, nicht als Investor und Anteilseigner bei dem jeweiligen Start-up einzusteigen, sondern zuerst als Wagnis-Kunde, als „Venture Client“. Das hält er für effizienter, weil man sich so den „sechs- bis zwölfmonatigen Investmentprozess spart.“ Weiterhin gebe es nicht das Problem, dass sich das Start-up möglicherweise keinen Konzern als Investor und damit auch Anteilseigner ins Boot holen wolle. Der Venture Client, also der Großkonzern mit Interesse an der Technologie eines bestimmten Start-ups, „spart sich den Prozessschritt des Investors und die damit einhergehenden Finanztransaktionskosten sowie ein enormes Kapitalrisiko“, habe aber dennoch den strategischen Vorteil. „Ich kann als Venture Client zu einem Start-up gehen und sagen: Ich würde gern diese Technologie in meiner Fabrik verbauen, weil ich dadurch meine Prozesse oder mein Produkt verbessere.“ Gimmy hat den Begriff Venture Clienting geprägt Gregor Gimmy hat zahlreiche Venture-Clienting-Projekte durchgeführt. Foto: 27pilots Ab 2012 war Gimmy als Innovationsmanager bei BMW, 2015 hat er das Venture-Client-Modell konzipiert und die erste Venture Client Unit ins Leben gerufen: die BMW Startup Garage. 2018 gründete er 27pilots, um Unternehmen beim Aufbau und Betrieb von Venture-Client-Einheiten zu beraten. Nachdem 27pilots bei verschiedenen Konzernen – wie Bosch, Siemens Energy, Holcim und Airbus – Venture Clienting erfolgreich eingeführt hatte, wurde es 2023 von Deloitte akquiriert. Mit Corporate Venture Capital könne ein Unternehmen laut Gimmy im Schnitt nur in fünf bis zehn Start-ups pro Jahr investieren. In der Regel führe lediglich eine von zehn Investitionen zu einer strategischen Partnerschaft. Mit einer Venture Client Unit könnten es „über 100 pro Jahr sein“. Wenige Wochen statt Jahre bis zur Lösung Gimmy beziffert die Ersparnis vor allem in Zeit: „Von der Fragestellung bis zum Pilotprojekt mit dem Start-up dauert es Wochen, in längeren Fällen ein paar Monate. Ohne Venture Clienting liegt diese Zeitspanne bei zwei oder drei Jahren.“ Das Konzept des Venture Clienting wurde auch vor der Einführung dedizierter Venture-Client-Einheiten bereits von vielen Unternehmen praktiziert, jedoch ohne strategischen Ansatz und ohne auf Venture Clienting spezialisierte organisatorische Ressourcen. „Im schlimmsten Fall hat der Einkauf mal nach Start-ups gegoogelt“, sagt Gimmy. Venture Capital ist Kriterium für Venture Clienting Das sieht der Deloitte-Partner jedoch kritisch. „Venture Clienting muss problemgetrieben sein”, betont Gimmy. „Wie groß ist die Aufgabe und warum kann die Firma diese nicht selbst lösen? Und wenn es gelöst wird, was ist der strategische Vorteil?“ Dabei muss das Problem groß genug sein: „Wir empfehlen, sich nur auf Fragestellungen zu fokussieren, die mindestens 1 Million Euro an finanziellen Vorteilen generieren, im Sinne von Cost Savings oder Revenue Increase.“ Im Anschluss werde geprüft, ob es bereits ausreichend Venture Capital in dem gesuchten Technologie-Cluster gebe. Erst dann folge die Suche nach relevanten Start-ups – weltweit. Bei den ausgewählten Zielunternehmen überprüft eine Venture-Client-Einheit auch die Finanzierung, das bestehende Venture Capital und auch die Investoren der Start-ups. Sollte es zu wenig Venture Capital geben oder die vorhandenen Investments zweifelhaft sein, scheide das Start-up aus. „Dann bleiben in der Regel fünf bis 25 übrig, abhängig vom Aufgabenfeld. Und aus diesen wird dann in einer direkten Analyse der spezifischen Anforderungen dasjenige ausgesucht, das am besten passt.“ Venture Clienting schließt Venture Capital nicht aus Im letzten Schritt erfolge die direkte Beauftragung des Start-ups. Der Konzern werde also sofort Venture-Kunde und verliere dadurch weder Zeit noch Geld damit, das Start-up zu integrieren. Der Auftrag an das Start-up sei zunächst eine Art Testkauf, im Fall der BMW Startup Garage die „Validierung der Technologie durch eine Pilotierung in einem Real Use Case, zum Beispiel in der Fabrik in Dingolfing oder im Forschungs- und Innovationszentrum in München“. Bei Erfolg wird das Einkaufsvolumen erhöht – oder aber der Venture Client akquiriert das Start-up, wenn er der einzige Kunde bleiben will. Venture Clienting kann somit auch zu einem Venture-Capital-Investment führen. So lohnt sich Venture Clienting Eine Venture-Client-Unit mit einem Team von drei bis fünf Personen kann laut Gimmy pro Jahr zehn bis zwanzig Aufgabenstellungen lösen. Die Pilotierung koste um die 25.000 Euro pro Projekt. „Das ist eine einfache Rechnung: Der strategische Nutzen liegt vielfach um das Zehnfache über den Kosten“, so Gimmy. Der Venture-Clienting-Ansatz lohne sich auch für die Start-ups, wie etwa Embotech, ein Schweizer Anbieter, der Lösungen für automatisiertes Fahren entwickelt und im Juli 2022 in der BMW Startup Garage in die Pilotphase startete. Gemeinsam mit dem koreanischen Start-up Seoul Robotics sorgen die Schweizer dafür, dass die fertig produzierten Fahrzeuge selbständig zu einem Parkplatz in der Dingolfinger Fabrik fahren. Das Venture Clienting führte Embotech „zu kerninitialen Kunden, die zum Erfolg dieser Firma beitragen“, sagt Gimmy. Das bestätigt das Management von Embotech auf Nachfrage von FINANCE: „Die Startup Garage ermöglichte es uns, innerhalb der Organisation Fuß zu fassen, was schließlich zu einer langfristigen Zusammenarbeit zwischen den beiden Unternehmen führte.“ Die Schweizer sehen es als „absoluten Vorteil“, dass sie keine Anteile abgeben mussten. Gleichzeitig, so eine Sprecherin, „hilft es ungemein, einen bekannten Namen wie BMW als Kunden nennen zu können, wenn wir bei anderen Geschäftspartnern einen Fuß in die Tür bekommen wollen.“

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