Deutschland ist das am stärksten bilanzbelastete Land Europas

Die finanzielle Stabilität europäischer Unternehmen hat sich 2024 weiter verschlechtert. Dabei ist Deutschland das am stärksten belastete Land, zeigt der neue Distress Alert von Alvarez & Marsal. Dieser bewertet die Stabilität der Bilanzen und Erträge von tausenden Unternehmen und identifiziert jene mit schwacher Kapitalstruktur oder unzureichender Leistung. Rund 17 Prozent der deutschen Unternehmen gelten demnach als finanziell angeschlagen, 22,4 Prozent weisen Schwächen in ihrer finanziellen oder operativen Leistung auf – ein deutlicher Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Die Entwicklung geht auf die schwache globale Nachfrage, die hohe Energiekosten sowie die politische Instabilität zurück.
Christian Ebner, Managing Director im Financial Restructuring Advisory Team von Alvarez & Marsal ergänzt: „Viel Bürokratie, eine marode Infrastruktur, Lieferkettenschwierigkeiten und unsere längst nicht mehr profitable Exportwirtschaft befeuern den Restrukturierungsbedarf in Deutschland.“ Nach zwei Jahren wirtschaftlicher Schrumpfung drohe Deutschland die längste Wachstumsstagnation seit dem Zweiten Weltkrieg, heißt es im Alert.
In den Benelux-Länder dreht sich der Wind
Eine Trendwende in 2025 sieht der Restrukturierer nicht: „Ich sehe momentan, dass Deals, die schon längst durchverhandelt schienen, derzeit wieder ‚on hold‘ sind.” Viele Ankerinvestoren spürten zunehmend mangelnde Sicherheit und Transparenz. „Das liegt im Wesentlichen daran, dass Geschäftspläne aktuell nicht mehr länger als sechs Monate belastbar sind, weil sich die Gegebenheiten derzeit zu schnell verändern“, erklärt Ebner.
Auch in anderen europäischen Märkten kriselt es. Sieben der neun analysierten Märkte, darunter Großbritannien und Frankreich, verzeichnen höhere Belastungen. Während sich Benelux dem Trend 2024 noch weitestgehend entziehen konnte, zeichnet bereits das erste Quartal 2025 ein anderes Bild, weiß der in München tätige Berater: „Die Benelux-Länder stoßen in 2025 mittlerweile ebenfalls auf immer mehr Restrukturierungsfälle.“ Um diesem Trend entgegenzuwirken, empfiehlt Ebner unter anderem robuste Liquiditätsplanung und transparentes Reporting für die an einer konsensuellen Lösung interessierten Stakeholder. Das schaffe frühzeitiges Vertrauen.
Sausalitos ist insolvent
Sausalitos, Deutschlands größte Cocktailbar-Kette, hat Insolvenz angemeldet – und das nach einer Reise durch die europäische Private-Equity-Szene: 2008 stieg EQT (Schweden) ein, verkaufte 2014 seine Anteile an Ergon Capital (Belgien), die wiederum verkauften 2023 an Arcmont Capital (UK). Die Münchner Holding und drei weitere Unternehmen der Gruppe sind betroffen. Michael Schuster (Jaffé) wurde als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt. Rund 40 Standorte mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden sind betroffen, der Restaurantbetrieb soll jedoch vorerst weiterlaufen. Franchisenehmer-Standorte sind nicht direkt involviert, heißt es in der Meldung der Kette.
Die Insolvenzursachen der 1994 eröffneten Restaurantkette liegen in den anhaltenden Auswirkungen der Corona-Pandemie, die zu einem geänderten Kundenverhalten und Gästerückgängen führten. Besonders die getränkeorientierte Bedien-Gastronomie leidet unter diesen Veränderungen. Zudem hatte die makroökonomische Situation seit 2020 die Rentabilität der Unternehmensgruppe negativ beeinflusst. Ziel sei es nun, zeitnah einen Investor für das Systemgastronomie-Konzept zu finden.
Neuer Galeria-Eigner kämpft selbst mit der Wirtschaftskrise
Der neue kanadische Galeria-Miteigner Hudson’s Bay von Investor Richard Baker hat in Kanada Gläubigerschutz beantragt. Baker, der seit Sommer letzten Jahres die Hälfte von Galeria Karstadt Kaufhof besitzt, sieht sich mit wirtschaftlichen Herausforderungen konfrontiert, die durch veränderte Einkaufsgewohnheiten und Handelskonflikte mit den USA verschärft wurden. Die Hudson’s Bay Company, eines der ältesten Handelsunternehmen Nordamerikas, prüft derzeit strategische Alternativen, um das Geschäft zu stabilisieren.
Diese Entwicklung wirft Fragen zur Zukunft von Galeria auf, das nach mehreren Insolvenzen zuletzt von Baker und Bernd Beetz übernommen wurde. Die finanzielle Lage von Hudson’s Bay könnte auch Auswirkungen auf die Kaufhauskette Galeria haben, deren Umsatzziele für das Geschäftsjahr 2024 und 2025 in Gefahr sind. Trotz rückläufiger Erlöse sieht die Führung von Galeria keinen unmittelbaren Grund zur Beunruhigung. Dennoch bleibt die Unsicherheit bestehen, wenn die finanzielle Stabilität eines der neuen Eigentümer in Frage steht.
Weitere Insolvenz- und Sanierungsverfahren
Dem Insolvenzplan der Maro Genossenschaft wurde einstimmig zugestimmt.
Der Plan sichert nun die Zukunft der Maro 2.0 mit stabilen Mieteinnahmen. Alle Wohnanlagen bleiben erhalten, und die Bewohner können bleiben. Die Sanierung ist ein Novum in der Branche, meint der Insolvenzverwalter Ivo-Meinert Willrodt (Pluta). Rechtsanwältin Marlene Scheinert erklärte, dass das Verfahren planmäßig fortgesetzt werde, mit einer ersten Ausschüttung in den kommenden Wochen. Die Insolvenzquote werde voraussichtlich 50 Prozent betragen.
Die Geschäftsführung der Omeras Oberflächenveredelung und Metallverarbeitung hat ein Sanierungsverfahren in Eigenregie gestartet. Der Geschäftsbetrieb mit den rund 150 Mitarbeitern läuft weiter, während Sanierungsoptionen geprüft werden. Unterstützt wird Omeras von Reinhard Klose (Flöther & Wissing). Ziel ist es, das Unternehmen und Arbeitsplätze zu erhalten. Rüdiger Bauch (Schultze & Braun) begleitet das Verfahren als vorläufiger Sachwalter.
Die Krise im Wohnmobilsektor hat nun auch FreewayCamper aus München getroffen, die Insolvenz beantragt haben. Max Liebig (Liebig Insolvenzverwaltung Restrukturierung) wurde als vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. FreewayCamper bietet Wohnmobilvermietungen und -verkäufe an und hatte zuletzt mit hohen Finanzierungskosten und verändertem Buchungsverhalten zu kämpfen. Gespräche mit Investoren laufen, um eine Sanierung oder einen Verkauf zu ermöglichen.
Insolvenz
Welche Formen der Insolvenz gibt es? Welche Unternehmen sind betroffen? Die wichtigsten Praxistipps und aktuelle Fälle in der Übersicht.
Die Konradin-Druck aus Leinfelden-Echterdingen hat Insolvenz angemeldet. Tobias Wahl (Anchor) wurde zum vorläufigen Insolvenzverwalter ernannt. Trotz der Krise, die durch die Insolvenz eines großen Kunden und die Probleme in der Automobilzulieferindustrie verschärft wurde, läuft der Geschäftsbetrieb vorerst weiter. Gespräche mit Kunden und Lieferanten sollen die Lage stabilisierten. Eine mögliche Sanierungslösung könnte der Einstieg eines Investors sein.
Auch die Boryszew Kunststofftechnik Deutschland kämpft mit den Folgen der Krise in der Automobilindustrie und hat einen Insolvenzantrag gestellt. Das Amtsgericht Stendal hat Silvio Höfer (Anchor) als vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten bleibt die Produktion an den Standorten Gardelegen und Idar-Oberstein mit 495 Beschäftigten stabil.
Die Münchner Immobilienbank Obotritia ist nach anhaltenden Schwierigkeiten insolvent. Das Amtsgericht München hat das Insolvenzverfahren eröffnet und die Finanzaufsicht Bafin informiert, dass die Bank die Einlagen von rund 1.300 Kunden nicht mehr zurückzahlen könne. In diesem Fall würde die gesetzliche Einlagensicherung greifen. Michael Jaffé, bekannt durch Wirecard, übernimmt die Verwaltung der Vermögenswerte.
Distressed M&A
Ein Team von Heuking um Georg Streit, Marc Scheunemann und Rüdiger Schnug hat die neun insolventen Gesellschaften der zahlungsunfähigen Cogitanda-Gruppe beim Verkauf an eine Tochtergesellschaft der DGC beraten. Der Spezialist für Cyber-Risiken bietet Cyberversicherungen und Schadenmanagement an. Der Verkauf erfolgte durch eine übertragende Sanierung, nachdem Philip Schober (Brinkmann & Partner) als Insolvenzverwalter bestellt wurde.
Der Anlagenbauer Richard Kablitz hat einen strategischen Investor gefunden. Dr. Wieselhuber & Partner begleitete das M&A-Verfahren im Rahmen der Eigenverwaltung, um das Unternehmen, das auf umweltfreundliche Energieerzeugung spezialisiert ist, zu sichern. Engitec Technologies übernimmt und sichert damit Arbeitsplätze sowie internationales Wachstum.
Im Insolvenzverfahren der Dammeyer Bauunternehmen hat Ingo Thurm (Pluta) eine zukunftsfähige Lösung gefunden: Die MTB aus Nordstemmen hat den Geschäftsbetrieb sowie 21 Mitarbeitende und sämtliche Vermögensgegenstände zum März übernommen. Die geschäftlichen Aktivitäten werden unter MTB fortgeführt, der Firmensitz in Harsum bleibt erhalten.
Weitere Restrukturierungen und Branchen-News
Gleiss Lutz hat Martin Hörmann (Anchor) als Insolvenzverwalter der Alno-Gruppe bei Organhaftungsangelegenheiten beraten. Die Alno-Gruppe, einst einer der größten Küchenhersteller weltweit, stellte 2017 Insolvenzanträge. Gleiss Lutz unterstützte bei der Aufarbeitung und Durchsetzung von Organhaftungsansprüchen und erzielte einen Vergleich mit den D&O-Versicherern, wodurch Verfahren in Bielefeld und Dessau-Roßlau endeten. Das Team um Marcus Reischl und Andreas Spahlinger begleitete die Prozesse umfassend in den Bereichen Compliance, Versicherungsrecht und Insolvenzrecht.
Die Zahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland ist im Februar erneut gestiegen, wie das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) berichtet. Mit 1.436 Insolvenzen lag der Wert 7 Prozent über dem Januar und 20 Prozent über dem Vorjahreszeitpunkt. Im Februar waren dadurch fast 19.000 Arbeitsplätze betroffen.
Trotz der steigenden Zahlen gebe es erste Anzeichen für eine Trendwende: Frühindikatoren des IWH deuten darauf hin, dass die Insolvenzzahlen in den kommenden Monaten stagnieren oder leicht zurückgehen könnten. Laut Steffen Müller, Leiter der IWH-Insolvenzforschung, könnte die jahrelange Phase steigender Insolvenzen vorerst beendet sein, da die Nachholeffekte aus der Pandemie und der Niedrigzinsphase abklingen.
Esra Laubach ist Redakteurin bei FINANCE und widmet sich schwerpunktmäßig den Themen Transformation, Restrukturierung und Recht. Sie ist Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin. Vor FINANCE war sie rund fünf Jahre als Legal-Journalistin für den Juve Verlag in Köln tätig, wo sie auch ihr journalistisches Volontariat absolvierte. Esra Laubach arbeitete während ihres Studiums multimedial u.a. für das ARD-Morgenmagazin, mehrere Zeitungen und moderierte beim Hochschulradio Kölncampus.
