Heraeus will seine IT verschlanken. Das ist nicht leicht in einem Unternehmen mit einer langen Geschichte und Aktivitäten in höchst unterschiedlichen Geschäftsfeldern. Das Projekt mit dem Codename „Magellan“ ist daher schon seit längerem geplant. Angekündigt hatten es CEO Frank Heinricht und CFO Jan Rinnert bereits im Jahresbericht 2011. Von CIO Martin Ackermann richtig angegangen wird das Berichten zufolge auf mindestens 7 Jahre angelegte Programm aber offenbar in diesen Tagen. Ackermann ist als CIO nicht Mitglied im Heraeus-Vorstand, sondern des erweiterten Executive Committee. Damit hängt das Programm – wie viele IT-Projekte – auf Vorstandsebene bei CFO Rinnert.
Der 42-jährige Rinnert hat bei Heraeus seit seinem Einstieg 2004 eine steile Karriere hingelegt. Als Schwiegersohn des Aufsichtsratsvorsitzenden Jürgen Heraeus wird er von vielen als nächster CEO gehandelt. Aber nicht nur deshalb muss er sich beim Mammutprojekt IT-Verschlankung besonders bewähren. Auch aus Sicht als Finanzvorstand hat er bei dem Projekt viel zu verlieren. Die Kosten für gescheiterte IT-Projekte können in die Millionen gehen – und es scheitern viele.
CFO Schulte-Langenbeck scheiterte bei Otto
Für eine Studie untersuchten Forscher der Universität Oxford 2011 weltweit über 1.400 IT-Projekte mit einem Gesamtvolumen von gut 240 Milliarden Dollar. Sie stellten fest, dass in 3 von 4 Fällen die Projekte bei den Kosten im Schnitt um 27% und bei den Zeitvorgaben um 55% über das Ziel hinausschossen. Das ist noch vertretbar. Doch die Gefahr eines echten IT-Desasters ist ausgesprochen hoch. In 1 von 6 Fällen (17%) lief die Umsetzung mit mehr als 200% Mehrkosten und einer Zeitverzögerung von mehr als 70% über Plan komplett aus dem Ruder.
Die Otto Gruppe bietet ein aktuelles Beispiel. Im September verkündete das Handelsunternehmen mit gut 11 Milliarden Euro Umsatz, dass es sein groß angelegtes Programm zur Zentralisierung und Verschlankung der IT-Struktur unverrichteter Dinge beenden werde. Das Vorhaben sei einfach zu komplex gewesen. Bis dahin hatte CFO Jürgen Schulte-Langenbeck schon mehrere Millionen Euro in das Projekt gesteckt, an dem bis zu 130 Personen arbeiteten. Otto setzt jetzt aus der Not heraus voll auf Dezentralisierung. Tochterunternehmen dürfen eigene IT-Lösungen entwickeln und implementieren und müssen sich dabei nur an den von der Gruppe definierten Mindeststandards orientieren. Die Entscheidung war ein bitterer Rückschlag für CFO Schulte-Langenbeck.
CFO und CIO ein Team
Heraeus ist mit seinen 7 Geschäftsfeldern und weltweit über 110 Gesellschaften sicherlich nicht weniger komplex als Otto. Der mit 20 Milliarden Euro mit Abstand größte Umsatzanteil liegt bei Heraeus auf dem Edelmetallhandel, andere Sparten wie medizinische Implantate oder die Herstellung von Quarzglas bringen zusammen gut 5 Milliarden Euro Umsatz. Über die Jahre haben die meisten Geschäftsfelder eigene IT-Strukturen vom Einkauf bis zur Buchhaltung entwickelt. Daher wollen CFO Rinnert und CIO Ackermann Berichten zufolge gar nicht erst versuchen, alle Systeme irgendwie zu integrieren, sondern haben sich wohl für eine Greenfield-Lösung mit komplett neuer IT-Struktur entschieden. Das Projekt soll mindestens 7 Jahre laufen, aber das Unternehmen will sich zu konkreten Meilensteinen, Zeiträumen und auch Einsparungserwartungen nicht äußern, um keine Erwartungshaltung zu schüren, an der sich „Magellan“ dann messen muss. Der Codename soll bereits auf die Unwägbarkeiten hinweisen, die das Projekt begleiten werden. Bleibt nur zu hoffen, dass die Parallelen zur Weltumsegelung des berühmten Seefahrers nicht zu weit gehen: Ferdinand Magellan wurde auf den Philippinen getötet und erlebte damit nicht das glorreiche Ende seiner mühsamen Reise.