Es könnte einer der spannendsten Distressed-Debt-Deals der nächsten Jahre werden: Air-Berlin-Insolvenzverwalter Lucas Flöther will die Milliardenforderungen gegen den früheren Großaktionär Etihad verkaufen, im Raum steht ein Volumen von bis zu 2 Milliarden Euro.
Das Besondere dabei: Die Kaufinteressenten wissen derzeit noch nicht einmal, wem sie bei der Durchsetzung der Forderungen letztlich gegenüberstehen würden. Denn ob Etihad für die Schäden durch die Air-Berlin-Insolvenz in Anspruch genommen werden kann, ist gerichtlich noch gar nicht geklärt.
Zahlt Etihad für Folgen der Insolvenz?
Im Zentrum steht die Frage, ob Etihad damals für Air Berlin eine harte oder eine weiche Patronatserklärung abgegeben hat. Verfasst wurde diese in einem englischsprachigen „Comfort Letter“ – und dieser ist offenbar nicht eindeutig formuliert. „Eine harte Patronatserklärung begründet einen ausdrücklichen Anspruch des Begünstigten gegen den Aussteller. Der Gesellschafter verpflichtet sich beispielsweise dazu, sämtliche Verluste in einem bestimmten Zeitraum auszugleichen“, erklärt Insolvenzrechtler Bernd Meyer-Löwy von Kirkland & Ellis, der den Verkaufsprozess der Forderungen für Insolvenzverwalter Flöther begleitet.
Im „Comfort Letter“ von Air Berlin ist dieser Anspruch nicht so eindeutig gefasst: Dort ist nur von einer „Intention“, die Rede, der deutschen Airline die notwendige Unterstützung zuteilwerden zu lassen.
Was nach semantischer Haarspalterei klingt, hat einen Verkauf der Air-Berlin-Forderungen lange Zeit nahezu ausgeschlossen – denn Ansprüche allein gegen Etihad wären am Markt wohl kaum auf Interesse gestoßen, so lange nicht geklärt ist, ob Etihad aufgrund der Patronatserklärung tatsächlich für die Insolvenzschäden einzustehen hat. Je nachdem, wie diese Gerichtsentscheidung ausfällt, hätten die Erwerber der Forderungen entweder einen extrem guten oder einen extrem schlechten Verhandlungsstandpunkt. Es wäre extrem schwierig, auf dieser Basis einen für alle Seiten akzeptablen Preispunkt für den Forderungsverkauf zu finden.
Ex-Air-Berlin-Management rückt in den Fokus
Den Weg zu einem möglichen Distressed-Debt-Deal geebnet hat Flöther eine kürzlich getroffene BGH-Entscheidung von Mitte Juli dieses Jahres. Sie betrifft eine Auseinandersetzung zwischen dem Flugrechteportal Airdeal und dem ehemaligen Air-Berlin-CEO Thomas Winkelmann. Airdeal will Forderungen von Kunden geltend machen, deren bereits bezahlte Flüge aufgrund der Insolvenz der Fluggesellschaft nicht mehr ausgeführt wurden. Dem früheren CEO wirft das Portal vor, den Insolvenzantrag zu spät gestellt zu haben.
Während Winkelmann sich gegen den Vorwurf zunächst erfolgreich wehren konnte, hat der BGH die Entscheidung nun zur erneuten Verhandlung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Eine entscheidende Aussage aus der Begründung lautet: „Eine weiche Patronatserklärung kommt als Mittel zur Vermeidung der rechnerischen Überschuldung nicht in Betracht. Wenn sich in der Ertrags- und Finanzplanung bereits Liquiditätslücken abzeichnen, lässt sich eine positive Fortführungsprognose bei einer bereits in der Krise befindlichen Gesellschaft damit nur ausnahmsweise begründen.“
Das heißt im Klartext: Wenn der „Comfort Letter“ von Etihad als weiche Patronatserklärung eingestuft wird, stellt sich die Frage, ob die Airline nicht doch früher insolvenzreif gewesen sein könnte. Damit stünde wieder eine mögliche Haftung des Ex-Managements im Raum.
BGH-Urteil liefert Hedgefonds ein Backup
Für die Hedgefonds, die nun auf die Forderungen von Insolvenzverwalter Flöther bieten, gibt es damit nach dem BGH-Urteil zwei Varianten. Variante eins: Das britische Gericht stuft den „Comfort Letter“ von Etihad in dem noch ausstehenden Urteil als harte Patronatserklärung ein – damit wäre Etihad der richtige Adressat für die Ansprüche.
Variante zwei: Das Gericht ist der Meinung, dass Etihad nicht in Anspruch genommen werden kann – dann wäre dies ein Hinweis auf eine weiche Patronatserklärung, was dem jüngsten BGH-Urteil zufolge auf eine Insolvenzverschleppung hindeuten könnte. Wenn Etihad also nicht der richtige Adressat sein sollte, würden die Käufer ihre Forderungen alternativ gegen das Management und dessen D&O-Versicherung sowie den damaligen Air-Berlin-Wirtschaftsprüfer KPMG richten können. „Die Käufer haben dadurch ein Backup“, erklärt Jurist Meyer-Löwy – wenn auch wohl kein umfassendes, denn eine Milliardenforderung ließe sich vermutlich kaum in vollem Umfang gegenüber einem Management, der D&O-Versicherung und einem Wirtschaftsprüfer durchsetzen.
Verkauf mit Earn-out-Modell möglich
Verwalter Flöther und sein Team können sich beim Verkauf der Forderungen auch ein Modell vorstellen, das sich am Prinzip der Earn-outs aus dem M&A-Bereich orientiert: „Es wäre denkbar, dass ein Käufer zunächst einen Basispreis bezahlt und nach einer erfolgreichen Durchsetzung seiner Ansprüche noch einmal eine zweite Zahlung leistet“, sagt Meyer-Löwy. Die Höhe könne sich dann beispielsweise auch danach richten, wie aufwendig die (gerichtliche) Durchsetzung für den Forderungskäufer war.
Der Charme des Verkaufs für den Insolvenzverwalter: „Mit einer Veräußerung der Forderungen kann er das Risiko und die Kosten für die noch ausstehende gerichtliche Klärung auf den Käufer übertragen. Zugleich kann er erste Erlöse für die Insolvenzmasse verbuchen“, erklärt Meyer-Löwy.
Erste Gespräche mit Interessenten führe er bereits. „Es haben sich alle großen Namen, die Forderungen aus der Insolvenz aufkaufen, bereits gemeldet“, sagt er. Eine harte Deadline für den Verkauf gibt es nicht, doch der Prozess soll zügig vonstattengehen – die Beteiligten denken offenbar eher in Wochen als in Monaten.