Die Folgen der Corona-Pandemie sind dramatisch: Bei Unternehmen entstehen Liquiditätslücken und der Sanierungsdruck steigt. Durch den Krieg in der Ukraine kommen gleichzeitig enorme – und zum Teil kaum kalkulierbare – Belastungen hinzu. Da ist es schwer, konkrete Prognosen für das Geschäftsjahr aufzustellen, zumal ein Ende der geopolitischen Unsicherheiten derzeit nicht absehbar ist. Gestörte oder sogar unterbrochene Lieferketten kennzeichnen den operativen Alltag in den produzierenden Unternehmen.
Zudem gibt es mit Blick auf die Versorgungssicherheit mit Gütern und Rohstoffen viele offene Fragen. Nicht zuletzt sahen sich einige Industrieunternehmen gezwungen, ihr Osteuropageschäft komplett abzuschreiben. Was dies allein bei einem Umsatzanteil von 10 bis 20 Prozent bei gleichzeitig rapide gestiegenen Energiepreisen für die Deckungsbeiträge bedeutet, lässt sich leicht ausmalen. So rücken branchenübergreifend pragmatische Sanierungsoptionen – innerhalb und außerhalb einer Insolvenz – verstärkt auf die Agenda der Führungsebene.
Steuerrecht bietet Sanierungspotential
Neben finanz- und leistungswirtschaftlichen Instrumenten gibt es dabei auch steuerrechtliche Optionen, die für eine Sanierung relevant sein können. Oft steht die Vermeidung steuerlicher Nachteile im Fokus: So sollen beispielsweise durch zusätzliche Liquidität über Einlagen oder Darlehen oder bei einer Entschuldung durch Forderungsverzicht keine nachteiligen steuerlichen Effekte entstehen. Vor allem der Umgang mit Steuern bei möglichen Sanierungsgewinnen steht regelmäßig im Vordergrund.
Nur darauf zu achten, steuerliche Nachteile zu vermeiden, greift jedoch zu kurz. Vielmehr ist eine umfassende steuerliche Due Diligence des eigenen Unternehmens wichtig. Mit ihr können Unternehmen sämtliche Sanierungspotentiale des Steuerrechts identifizieren.
Auch Steuererstattungen sind Vermögenswerte
Was bedeutet das konkret? Im Vordergrund einer Sanierungsplanung steht zumeist die Verwertung klassischer Vermögenswerte wie Debitorenforderungen, Betriebs- und Geschäftsausstattung oder Immobilien. Im Gegensatz dazu werden bestehende Steuererstattungsansprüche oftmals nicht konsequent ermittelt und gegenüber dem Finanzamt durchgesetzt. Gründe hierfür dürften das komplexe Insolvenz- und Sanierungsrecht sowie das ähnlich komplexe Steuerrecht sein. Fragestellungen aus diesen Rechtsgebieten sind in der Praxis allein schon äußerst kompliziert, das Zusammenwirken mehrerer Bereiche erschwert die Bearbeitung zusätzlich.
Allerdings wäre es mit Blick auf den Sanierungserfolg fahrlässig, Steuererstattungsansprüche bei einer Sanierung zu vernachlässigen. Steuererstattungsansprüche können nennenswert dazu beitragen, steuerliche Verbindlichkeiten zu reduzieren und damit die Passivseite abzubauen. Zudem kann die Aktivseite durch Liquiditätszuflüsse wachsen, soweit sich steuerliche Erstattungsansprüche gegenüber dem Finanzamt realisieren lassen. Bildlich gesprochen sind damit beide Seiten einer Bilanz betroffen und relevant.
„In der Praxis können sich Erstattungsansprüche auf erhebliche Summen belaufen.“
In der Praxis können sich Erstattungsansprüche auf erhebliche Summen belaufen, abhängig von den jeweils offenen Veranlagungszeiträumen. Im Ergebnis stellen sie bei der notwendigen wirtschaftlichen Betrachtung reale, allerdings oftmals vernachlässigte Vermögenswerte dar.
Praxistipp: Wo entstehen Erstattungsansprüche?
Steuerliche Erstattungsansprüche können sich insbesondere aus der körperschaftlichen oder einkommensteuerlichen Veranlagung ergeben. In diesem Rahmen können Unternehmen auch steuerliche Verlustabzüge geltend machen, um das zu versteuernde Einkommen und damit letztendlich die Steuerlast zu verringern. Das Finanzamt könnte zwar in Einzelfällen etwaige ältere Steuerverbindlichkeiten aufrechnen und keine Zahlungen leisten. Aber auch in solchen Fällen ist eine weitergehende steuerliche Aufarbeitung keinesfalls zwecklos, denn schließlich führt die Aufrechnung durch das Finanzamt unmittelbar zu einer Verringerung der bestehenden Verbindlichkeiten. Wichtig ist: Zusätzliche positive Effekte können sich im Rahmen eines Insolvenzverfahrens ergeben, da in diesem Fall die Aufrechnungsmöglichkeiten des Finanzamts gesetzlich beschränkt sind.
Steuerliche Entlastungseffekte können sich zudem im Bereich der Umsatzsteuer ergeben. Dies betrifft insbesondere Konstellationen, in denen vorher unberechtigt oder unrichtig Umsatzsteuer ausgewiesen wurde. Ein unberechtigter Steuerausweis ist etwa anzunehmen, wenn ein Unternehmer Leistungen abrechnet, die er nicht erbracht hat. Demgegenüber liegt ein unrichtiger Steuerausweis vor, wenn zum Beispiel der ausgewiesene Steuersatz zu hoch ist. Bis zur Rechnungskorrektur haftet der Rechnungsaussteller für die von ihm unzutreffend ausgewiesene Umsatzsteuer, die er dem Finanzamt schuldet.
Diese Folgen können gegebenenfalls durch eine Rechnungskorrektur beseitigt werden, so dass sich in Einzelfällen Steuererstattungen realisieren lassen. Auch hier gilt: Etwaige Aufrechnungsmöglichkeiten des Finanzamts können im Rahmen eines Insolvenzverfahrens beschränkt sein.
Mittelständler sollten genau hinschauen
Erstattungsansprüche können sich darüber hinaus im Zusammenhang mit einer umsatzsteuerlichen Organschaft ergeben. Das passiert oft, wenn sich ein mittelständisches Unternehmen aufspaltet. Ein Unternehmen, häufig eine Personengesellschaft oder ein Einzelunternehmen, ist Eigentümer der wesentlichen Betriebsgrundlagen, die dann an die operative Betriebseinheit, etwa an eine Kapitalgesellschaft verpachtet oder vermietet werden. Die Besitzgesellschaft muss dabei die Betriebsgesellschaft beherrschen.
Dabei gibt es zwei Besonderheiten. Einmal wird nur das Besitzunternehmen als umsatzsteuerlicher Unternehmer angesehen (Organträger), so dass dieses dem Finanzamt auch die Umsatzsteuer für die Betriebsgesellschaft (Organgesellschaft) schuldet. Eine solche Organschaft entsteht jedoch auch – möglicherweise sogar ohne den konkreten Willen der Beteiligten – bereits in dem Moment, in dem die rechtlichen Voraussetzungen dafür erfüllt sind. Das kann dazu führen, dass eine Organschaft entweder irrtümlich angenommen oder tatsächlich unentdeckt geblieben ist.
In beiden Konstellationen sind grundsätzlich steuerliche Erstattungsansprüche zugunsten desjenigen denkbar, der in der Vergangenheit die Umsatzsteuer geleistet hat. Auch können sich hier im Rahmen eines Insolvenzverfahrens Aufrechnungsbeschränkungen des Finanzamts ergeben.
Steuerliche Due Diligence ist wichtig
Das Fazit ist eindeutig: Im Rahmen einer umfassenden Sanierungsplanung – sowohl innerhalb als auch außerhalb einer Insolvenz – ist eine steuerliche Due Diligence enorm wichtig, um steuerliche Erstattungsansprüche zu identifizieren. Unternehmen sollten sämtliche offenen Veranlagungsjahre prüfen. Dies kann zu erheblichen Erstattungsansprüchen führen.