Kurz nach dem Durchsickern des erschütternden „Wambach-Berichts“, der möglicherweise schwere Mängel bei der Prüfung von Wirecard durch EY offenbart, kommt der nächste Schlag für das Big-Four-Haus: EY droht im Wirecard-Bilanzskandal nun eine Klage durch Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé. Das berichtet das „Handelsblatt“.
Konkret hat Jaffé den Wirtschaftsprüfer Martin Jonas von Warth & Klein Grant Thornton damit beauftragt, Schadenersatzansprüche gegen EY zu prüfen. Jonas soll untersuchen, ob EY bei der Prüfung und Testierung des Wirecard-Abschlusses Fehler unterlaufen seien, und falls dies der Fall sei, wie schwerwiegend diese gewesen seien.
Die Antworten auf diese Fragen bestimmen, ob EY überhaupt haften muss und falls ja, in welcher Höhe. Kommt Jonas in seinem Bericht zu einem ähnlichen Ergebnis wie Wirtschaftsprüfer Martin Wambach in seinem Report für den Bundestags-Untersuchungsausschuss, gilt eine Klage des Insolvenzverwalters als wahrscheinlich.
EY und die Aufklärung des Wirecard-Skandals
Die drohende Klage dürfte für EY nicht überraschend kommen, schließlich hatte Jaffé laut „Handelsblatt“ bereits im Mai dieses Jahres mitgeteilt, dass Schadenersatzansprüche gegen EY im Raum stünden und dass diese voraussichtlich „streitig“ ausgetragen werden würden.
Die Klage hat außerdem noch weitere Dimensionen neben den Schadenersatzansprüchen der Gläubiger, denn EY soll sich bei der Aufarbeitung des Bilanzskandals nicht kooperativ gezeigt haben. So verwies Jaffé darauf, dass EY „jede Mitwirkung bei der Aufklärung verweigert“ und die Bitten um Unterstützung bei der Aufklärung des Falls „mehrfach und klar zurückgewiesen“ habe, so die Zeitung.
EY kontert die Einschätzungen von Jaffé: „Es ist oberste Priorität von EY Deutschland, zur Aufklärung des Falles Wirecard beizutragen und verloren gegangenes Vertrauen bei Mandanten und anderen Stakeholdern wieder herzustellen. Anderslautende Vorwürfe weisen wir entschieden zurück“, zitiert das „Handelsblatt“ einen Unternehmenssprecher. Das Prüfungsteam habe „sämtliche Hinweise und Vorwürfe jederzeit erst genommen und sei diesen gezielt nachgegangen“, heißt es in dem Bericht weiter.
EY soll wichtige Unterlagen zurückgehalten haben
Doch das sind noch nicht alle Vorwürfe gegen das Big-Four-Haus: Auch habe EY laut „Handelsblatt“ ein Software-Tool abgeschaltet, in das Daten und Unterlagen eingespeist waren. Deshalb habe der Insolvenzverwalter EY auf die Herausgabe von Unterlagen verklagt. Das Vorgehen des Insolvenzverwalters sei nach Ansicht von EY allerdings „weder dem Grunde nach noch seinem Umfang nach von den bestehenden rechtlichen Vorgaben gedeckt“, so der Bericht.
Darüber hinaus habe Jaffé auch eine Nichtigkeitsklage gegen die Jahresabschlüsse der Jahre 2017 und 2018 erhoben, mit dem Verweis darauf, dass diese „erheblich fehlerhaft“ seien, schreibt das „Handelsblatt“. Sollte dieser Vorstoß erfolgreich sein und die entsprechenden Abschlüsse annulliert werden, wäre eine weitere Voraussetzung für eine Klage geschaffen.
Wofür müsste EY haften?
Besonders ärgerlich für EY: Nach dem neuen „Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität (FISG)“ können Wirtschaftsprüfer kapitalmarktorientierter Unternehmen künftig mit bis zu 16 Millionen Euro haftbar gemacht werden. Dies gilt allerdings nur bei leichter Fahrlässigkeit. Handelt es sich hingegen um grobe Fahrlässigkeit oder gar Vorsatz, gibt es keine Haftungsobergrenze. Prüfer haften dann uneingeschränkt.
Ob einer dieser Tatbestände EY juristisch nachgewiesen werden kann, ist offen. Unklar ist auch, ob in einem solchen Fall der Fall EY schon nach dem neuen Gesetz – das erst im Juni dieses Jahres in Kraft getreten ist – oder noch nach dem alten, deutlich milderen sanktioniert werden würde.
Speziell die Gläubiger von Wirecard dürften daran interessiert sein, Schadenersatzansprüche bei EY geltend zu machen, schließlich konnte Insolvenzverwalter Jaffé durch den Verkauf der Einzelteile des Zahlungsdienstleisters nur eine vergleichsweise geringe Summe einsammeln. Insgesamt erlöste er rund eine halbe Milliarde Euro, die Gläubigeransprüche belaufen sich aber auf über 12 Milliarden Euro.
olivia.harder[at]finance-magazin.de
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Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.