„Hier am Frankfurter Flughafen arbeiten wir gerade in einer unwirklichen Welt. In unseren Terminals fühle ich mich wie in einem dystopischen Film! Ich laufe durch riesige Hallen, in denen kaum ein Mensch zu sehen ist. Alle Geschäfte sind zu. Es ist eine gigantische Infrastruktur, allein die Terminalflächen umfassen über 1,3 Millionen Quadratmeter. Und kaum jemand nutzt sie, außer ein paar wenigen, zu denen ich auch gehöre.
Ich fliege noch, zuletzt beispielsweise nach Berlin. Ein Airbus A 320 neo-Jet mit Platz für 180 Menschen war mit vielleicht 20 Passagieren besetzt. In Berlin bekam das Flugzeug eine Vorfeldposition, und wir liefen zu Fuß zum Terminal. Es ist grotesk: Selbst die wenigen Flüge, die noch gehen, sind so leer, dass das Flugzeug abstandstechnisch im Moment wahrscheinlich das Corona-sicherste Verkehrsmittel nach dem Fahrrad ist.
FINANCE-Köpfe
Fraport ist die Nummer Eins in Europa
Durch die Corona-bedingten Einschränkungen der Mobilität haben wir unser Geschäftsmodell temporär fast komplett verloren, da innerhalb eines Monats rund 95 Prozent unseres Geschäftsvolumens weggebrochen sind. Natürlich hatten wir auch mögliche Pandemien in unseren Risikoanalysen immer berücksichtigt. Aber dass eine Pandemie zu solchen Rückgängen führen würde, zu weltweiten Einreisebeschränkungen in 95 Prozent aller Länder, hatte keiner auf der Rechnung.
Derzeit fliegen weniger als 10.000 Menschen am Tag aus und nach Frankfurt, fast 200.000 weniger als in den Vorjahren. Trotzdem haben wir damit Paris, Amsterdam und London-Heathrow überholt. Ironisch betrachtet, sind wir im Moment der bewegungsstärkste Flughafen Europas – was für ein Erfolg!
„Das ganze Unternehmen hat sich dem Thema Liquidität unterzuordnen, es herrscht das Primat der Finanzen.“
Aber ob Sie es glauben oder nicht, trotz alledem bin ich tiefenentspannt. Denn wenn eine Situation derart extrem ist, fallen die ganzen Schnittstellen- und Reibungsthemen plötzlich weg, die Sie in Firmen immer haben. Wenn kein Geld mehr reinkommt, werden die Diskussionen ganz einfach und kurz. Es geht nur noch darum, den Abfluss von Geldern so weit wie nur irgend möglich zu reduzieren und parallel dazu frisches Geld über den Kapitalmarkt hereinzuholen. In so einer Zeit hat sich das ganze Unternehmen dem Thema Liquidität unterzuordnen, es herrscht das Primat der Finanzen.
„Es gibt nichts zu planen und wenig zu controllen“
Das faktische „Grounding“ des Fluggeschäfts hat zur Folge, dass fast alle Fraport-Mitarbeiter in Kurzarbeit sind. Den Großteil unseres Betriebs haben wir in eine Art künstliches Koma versetzt, vor allem was den Passagierbetrieb betrifft. Die Fracht läuft demgegenüber weiter auf Hochtouren. Das ist auch extrem wichtig für die Versorgung Deutschlands etwa mit medizinischen Gütern und hilft, unterbrochene Land- und See-Lieferketten kurzfristig wiederherzustellen.
In der Verwaltung gibt es aber insbesondere einen Bereich, der mit Volllast arbeitet, und das ist die Finanzabteilung. Im Controlling allerdings ist der Arbeitsumfang deutlich geringer, da es derzeit nichts zu planen und weniger zu controllen gibt. Da keiner weiß, ab wann der Flugbetrieb wieder hochläuft, ist die Ermittlung von Vorschauergebnissen nicht sinnvoll.
Deshalb betreiben unsere Controller derzeit im Wesentlichen Ausgabensteuerung auf der Mikroebene: Sie geben Bestellanforderungen frei – oder meistens eben auch nicht, um den Mittelabfluss zu reduzieren. Ferner werden viele Szenarien gerechnet, wie sich in Abhängigkeit diverser Verkehrsannahmen die Finanzzahlen unter Berücksichtigung von Gegensteuerungsmaßnahmen entwickeln könnten. Aber keiner kann deren Wahrscheinlichkeit wirklich seriös berechnen.
„Wir rechnen Szenarien, deren Wahrscheinlichkeit aber niemand wirklich seriös einschätzen kann.“
„Wir haben 1 Milliarde Euro besorgt!“
Mein Finanzierungsteam hingegen hat in den letzten Wochen praktisch Tag und Nacht gearbeitet. Als das Grounding begann, haben wir uns das Ziel gesetzt, am Kapitalmarkt in vier Wochen etwa1 Milliarde Euro zu holen. Und wir haben es geschafft! Für 0,8 Prozent Zinsen im Durchschnitt, und das für lang laufende Kredite. Andere größere Unternehmen, die AA-geratet sind und etwa als Nahrungsmittelhersteller sogar von der Krise profitieren, mussten bei der Refinanzierung mehr bezahlen als wir. Jetzt haben wir rund 2,5 Milliarden Euro Liquiditätsreserven im Konzern und sind damit sehr gut gerüstet.
Der Prozess des Hereinholens dieser Milliarde war kleinteilig und zeitaufwendig. Deshalb haben mein Finanzteam und ich uns auch – trotz Corona – physisch im Büro treffen müssen. Natürlich haben wir dabei auf den nötigen Abstand geachtet, aber es war wichtig, dass alle Aufgabenstellungen und Absprachen untereinander schnell und auf kurzen Zuruf geschehen konnten. Nach der erfolgreichen Refinanzierung sitzen wir jetzt wieder alle in unseren eigenen Büros oder arbeiten von zu Hause aus, und das ist natürlich in diesen Zeiten auch besser so.
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„In unseren Runden geht es fast militärisch zu“
Jetzt diskutieren wir in unseren Führungskräfterunden gerade intensiv darüber, wie wir den Flughafen wieder hochfahren können: Abstandsmarkierungen, Spuckschutzwände, Mund-Nasen-Schutz und weitere erforderliche Hygienemaßnahmen. Das sind einige der Themen und völlig neue Herausforderungen, die wir da besprechen.
Aber das Schöne ist, dass sich auch hier der besondere Charakter einer solchen Krise offenbart. In unseren Runden geht es fast schon militärisch zu: Es wird offen diskutiert, klar entschieden und schnell umgesetzt. Ich bin wirklich gespannt, wie viel von diesen schlanken Prozessen wir in die Nachkrisenzeit mitnehmen können. Meine Hoffnung ist, dass diese enorme Krise insofern neben den ganzen negativen ökonomischen Folgewirkungen auch etwas langfristig Positives hat.
Zusammenfassend kann ich sagen: Dieses ganze Krisenmanagement hält einen extrem fokussiert. Ich habe gar keine Zeit zu hadern oder für düstere Gedanken – außer, wenn ich durch die Terminals laufe.
Info
In dieser Reihe begleiten wir in den nächsten Monaten mehrere CFOs auf ihrem Weg durch die Coronakrise. Sie berichten ganz persönlich von ihren Erlebnissen beim Kampf gegen die Folgen der Krise in ihren Unternehmen. Mit dabei sind die CFOs Carsten Bovenschen (Akasol), Ralf Brühöfner (Berentzen) und Matthias Zieschang (Fraport).
Alle bisherigen Erfahrungsberichte finden Sie auf unserer Themenseite CFO in der Coronakrise.


