Anfang des Jahres sah sich der Schweizer Chemiekonzern Clariant mit Hinweisen über mögliche Falschbuchungen von Rückstellungen durch Mitarbeiter konfrontiert. Über diese Ungereimtheiten in der Bilanzierung stolpert nun CFO Stephan Lynen. „Um einen Neustart zu ermöglichen“, werde der Finanzchef zum 1. Juli seinen Posten räumen, erklärt Clariant. Lynens Nachfolger ist Bill Collins.
Um den Vorwürfen nachzugehen, hat Clariant Anfang des Jahres eine Untersuchung durch das Big-Four-Haus Deloitte sowie Gibson, Dunn & Crutcher eingeleitet. Diese ist nun abgeschlossen. Das Fazit: Der Jahresabschluss 2020 muss korrigiert werden. Auf die die Umsätze und liquiden Mitteln hätten die falschen Rückstellungen und Abgrenzungen jedoch keine Auswirkung.
Clariant korrigiert Ebitda-Marge für 2020
Die endgültige Bilanz können die Schweizer noch nicht vorlegen. Aber nach vorläufigen Zahlen kann Clariant für 2020 den Betriebsgewinn (Ebitda) sogar heraufschrauben: So ergibt sich in der korrigierten Bilanz ein Ebitda aus fortgeführten Aktivitäten in Höhe von 597 Millionen Schweizer Franken (CHF), zuvor wurden 578 Millionen CHF ausgewiesen. Entsprechend erhöht sich die Ebitda-Marge von 15 auf 15,5 Prozent. Für 2021 bleibt Clariant bei den ausgewiesenen Zahlen von 708 Millionen CHF Ebitda und einer Marge von 16,2 Prozent.
Nachdem der Wirtschaftsprüfer PwC sein Testat für die 2021er Bilanz zurückgehalten hatte, um den Abschluss der Untersuchung abzuwarten, hat Clariant eine Fristverlängerung für die Veröffentlichung der Finanzergebnisse beantragt. Nun soll der geprüfte Jahresabschluss bis zum 30. Mai veröffentlicht werden. Auch die Bilanz für das erste Quartal 2022 verschiebt sich, soll aber bis Ende Juni vorgelegt werden können – pünktlich, wenn der neue CFO anfängt.
Neuer CFO Bill Collins kommt von Engie
Der neue Finanzchef Bill Collins wechselt vom französischen Energiekonzern Engie zu Clariant. Zuletzt war er dort als CEO und Finanzchef für Nordamerika tätig. Clariant-CEO Conrad Keijzer schätze Collins Expertise, die sich „für die Leitung unserer Finanzorganisation und für unsere leistungsorientierte Kultur als ungemein wertvoll erweisen“ soll. Trotz unschöner Umstände von Lynens Weggang, der erst im April 2020 Finanzchef des Schweizer Chemiekonzerns wurde, bedankt sich Keijzer für den Einsatz und die Zusammenarbeit bei seinem Noch-Vorstandskollegen.
Die bilanziellen Auswirkungen sind minimal, schwerer dürfte der Vertrauensverlust wiegen. Schon als die Vorwürfe Anfang des Jahres bekannt wurden, versprach die Konzernführung, der Sache mit „größter Dringlichkeit und Sorgfalt“ auf den Grund zu gehen. Auch gelobt Keijzer Besserung bei den „ethischen Standards“ der Unternehmenskultur. Dieses Versprechen bekräftigt der Manager nun. Die Förderung der Unternehmenskultur habe „oberste Priorität“, und Clariant sei entschlossen, die Kontrollen und Prozesse weiter zu stärken, so Keijzer.
Am Kapitalmarkt scheinen Anleger Clariant die Bilanzprobleme verziehen zu haben. Die Aktie des Schweizer Chemieriesen machte am Mittwochvormittag einen Sprung von über 11 Prozent. Dazu beigetragen haben dürfte auch der Ausblick auf das laufende Jahr. Demnach ist Clariant trotz makroökonomischer Unsicherheiten erfolgreich in das Jahr 2022 gestartet. Angetrieben von einer starken globalen Nachfrage, Volumenzuwächsen und Preiserhöhungen rechnet das Unternehmen mit einem „guten Umsatzwachstum für das erste Quartal 2022“.
melanie.ehmann[at]finance-magazin.de
Melanie Ehmann ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen am M&A- und Private-Equity-Markt. Sie hat Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt studiert. Vor FINANCE arbeitete Melanie Ehmann sechs Jahre in der Redaktion des Platow Verlags, zunächst als Volontärin, später als Wirtschaftsjournalistin im Platow Brief und den Sonderpublikationen.