SGL Carbon ist zurück im Krisenmodus: Nach der überraschenden Gewinnwarnung aus der vergangenen Woche und dem Rücktritt von CEO Jürgen Köhler hat der Kohlefaserproduzent jetzt angekündigt, einen neuen Chef außerhalb des Unternehmens suchen zu wollen. Übergangsweise rückt nun SGL-CFOMichael Majerus an die Firmenspitze.
Michael Majerus trat 2014 als Sanierer an
Majerus kam im Sommer 2014 als Sanierer zu der damals schwer angeschlagenen und viel zu hoch verschuldeten früheren Hoechst-Tochter. Majerus führte eine harte Restrukturierung durch und platzierte schon kurz nach seinem Amtsantritt eine Kapitalerhöhung über mehr als 260 Millionen Euro, die SGL die nötige Luft zum Atmen verschaffte.
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In den Jahren danach stieß Majerus zahlreiche Konzernbereiche ab, was die Verschuldung weiter drückte und das Unternehmen eigentlich wieder besser steuerbar machen sollte.
Auf den Wachstumskurs kam SGL dadurch noch nicht zurück, aber die Lage schien sich zumindest stabilisiert zu haben.
Bis zur vergangenen Woche, als SGL Carbon mit einer völlig überraschenden Gewinnwarnung aufwartete: Der bereinigte operative Gewinn vor Sondereinflüssen (Ebit) soll nun in diesem Jahr nicht mehr auf dem Vorjahresniveau von 65 Millionen Euro verharren, sondern 10 Millionen Euro niedriger ausfallen.
Schlimmer noch war, dass SGL auch die Mittelfristziele strich – aufgrund mangelnder Visibilität. Denn Grund für die Gewinnwarnung war das Aufdecken schwerer Fehler im Controlling. Ein Großauftrag mit einem Windturbinenhersteller wurde falsch kalkuliert, was SGL bis zum Jahresende Verluste einbrocken wird. Erst danach hofft das Management, den Vertrag nachverhandeln zu können.
SGL-Aktie fällt in die Nähe des Allzeittiefs (1-Jahres-Chart)
Aktie auf Talfahrt, Investitionen in Gefahr?
Die Börse reagierte heftig mit einem Kursrutsch von über 30 Prozent bis in die Nähe des Allzeittiefs der in den Neunzigerjahren an die Börse gekommenen SGL-Aktie. Mittlerweile hat sich das Papier wieder etwas erholt. Aber der Kurs von aktuell 4,40 Euro wirft – genauso wie die Fehlerquelle Controlling – auch einen Schatten auf Majerus selbst. Immerhin notierte das Papier 2014, als der 58-Jährige zu SGL Carbon stieß, noch bei über 20 Euro.
Zumindest droht SGL offenbar keine Finanzierungskrise: Nach Berechnungen der Privatbank Berenberg wird der Leverage trotz der Gewinnwarnung unter 2,5x Ebitda bleiben – ein beherrschbarer Wert. Allerdings dürften die Investoren wenig gewillt sein, bei dem Dauerrestrukturierungsfall SGL einen noch höheren Verschuldungsrahmen als diesen zu tolerieren.
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Sollte der Leverage wider Erwarten doch nach oben ausbrechen, könnte der noch zu findende neue SGL-Chef dazu gezwungen sein, ein groß angelegtes, geplantes Investitionsprogramm zu beschneiden. Mit dessen Hilfe wollten Majerus und Ex-Chef Köhler das Unternehmen eigentlich wieder zurück auf den Wachstumskurs steuern.
Info
Mehr über die Karriere des SGL Carbon-CFOs erfahren Sie auf dem FINANCE-Köpfe-Profil von Michael Majerus. Die Hintergründe der langjährigen Ertragskrise des Kohlenstoffproduzenten können Sie auf der Themenseite zu SGL Carbon nachverfolgen.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.