Es ist ein ungeschriebenes Gesetz: Die Umstellung der Rechnungslegung auf neue Bilanzierungsstandards ist fast immer viel aufwendiger, länger und damit auch teurer als zuvor gedacht. Das gilt vor allem für die internationalen Regeln IFRS, deren Änderungen nicht selten grundlegende Geschäftsvorfälle betreffen und Folgen für den gesamten Konzern haben.
Umso mehr sollten sich kapitalmarktorientierte Versicherungskonzerne eigentlich über eine Verlautbarung des International Accounting Standards Board (IASB) freuen: Wie im November bekannt wurde, hat das Board die Einführung des neuen Standards IFRS 17, der die Bewertung von Versicherungsverträge regelt, um ein ganzes Jahr auf den 1. Januar 2022 verschoben.
Höhere Kosten und Grundsatzdiskussionen bei IFRS 17
Eine Befragung der Beratungsgesellschaft Bearing Point bei deutschen, österreichischen und Schweizer Versicherungen zeigt jedoch: Die Unternehmen begrüßen die Verschiebung zwar, betonen aber überwiegend, dass sie auch den bisherigen Einführungstermin eingehalten hätten. Und: Sie wollen auf keinen Fall eine weitere Verzögerung bei der Einführung.
Zum einen bindet das große Projekt ohnehin schon sehr viel Budget und Kapazitäten – nicht selten zu Lasten von Maßnahmen zur Digitalisierung im CFO-Bereich, wie Bearing Point hervorhebt. Alle Befragten erwarten durch die spätere Einführung von IFRS 17 Mehrkosten. Zum anderen fürchten sie neue Grundsatzdiskussionen und damit einhergehend die Gefahr weiterer Verzögerungen.
IFRS 17: Verbände forderten sogar zwei Jahre mehr Zeit
Die Diskussion um IFRS 17 kam diesen Herbst so richtig ins Rollen, als Vereinigungen der Finanz- und Versicherungswirtschaft gefordert hatten, die Einführung sogar um zwei Jahre zu verschieben. Die Verbände waren der Meinung, dass in einigen wichtigen Punkten noch Klärungsbedarf bestehe. Das IASB entschied sich nun aber für eine Verschiebung um nur ein Jahr.
Gleichzeitig wird auch der Anwendungszeitpunkt für den neuen Standard IFRS 9 für Versicherer um ein Jahr verschoben. Die befragten Versicherer erachten das als konsequent, betonen aber, dass für sie die Umsetzung von IFRS 9 keinen Treiber für die Verschiebung von IFRS 17 darstelle.
Komplexestes Projekt seit Solvency II
Die Umstellung auf IFRS 17 ist für viele Versicherer das größte Projekt seit der Einführung von Solvency II, der Vorschrift zur Eigenkapitalausstattung von Versicherungsunternehmen, die seit 2016 in Kraft ist. Das gilt auch für Deutschlands größten Versicherer Allianz, wie Roman Sauer, Head of Group Accounting & Reporting bei dem Unternehmen, noch im FINANCE-Interview im Sommer berichtete. Er rechnet mit einem Aufwand in Höhe eines niedrigen dreistelligen Millionenbetrags für die Umstellung.
Eine der zentralen Änderungen von IFRS 17 ist, dass sich die Methode zur Bewertung von Verträgen verändert. Aktuell sind die Daten zu Beginn der Laufzeit ausschlaggebend. Künftig sollen Verträge dagegen nach IFRS 17 stärker anhand von zukünftigen Zahlungsströmen bewertet werden – eine Art Discounted-Cashflow-Modell. Allianz-Experte Sauer sieht deshalb in IFRS 17 nicht weniger als „eine Revolution der Accounting-Regeln“.
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Allianz will keine weitere Verschiebung
Eine Verschiebung des Standards um zwei Jahre würde allerdings auch die Allianz nicht begrüßen, wie Roman Sauer in einem Gespräch mit der Börsenzeitung betonte: Der Konzern würde dann entweder eine Projekt-Pause eingelegen oder aber die Rechnungslegungssysteme noch länger parallel fahren – beides würde zu Mehrkosten führen. Die Allianz sei gut im Plan, auch das ursprüngliche Einführungsdatum 2021 zu schaffen, betont er: „Wir haben alle Meilensteine erreicht.“
Die Befragten der Bearing-Point-Studie wollen das zusätzliche Jahr nun insbesondere zur Qualitätssteigerung der Umstellung nutzen. Sie hoffen, dass in dem Jahr offene Fragen beziehungsweise Regelungslücken im Standard geschlossen werden können.
„Die Versicherer haben aus der Verschiebung von Solvency II gelernt und bekräftigen, dass man die IFRS 17-Umsetzung nicht verzögern oder gar unterbrechen werde“, sagt der Bearing-Point-Partner Ralf Meyer. „Manche Befragte räumten aber auch ein, dass die Umsetzung nun geordneter erfolgen könnte.“
Info
Es herrscht viel Bewegung bei den internationalen Bilanzierungsregeln IFRS. Welche Neuerungen gibt es, welche Unternehmen sind besonders betroffen und wie gehen CFOs die Umstellungen am besten an? Bleiben Sie auf dem Laufenden mit der FINANCE-Themenseite zu IFRS.
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.