Das Bild zur aktuellen Finanzlage des Hamburger SV verdichtet sich: Während der Klub seine angespannte kurzfristige Liquiditätslage offenbar in den Griff bekommen hat, ist das operative Geschäft immer noch ein Sanierungsfall. Neu ist die Erkenntnis, dass die von den Fans herbeigesehnte Wiederauferstehung des Bundesliga-Dinos wohl noch wesentlich schwerer wird als gedacht. Das zeigt die Jahresbilanz des HSV, die Finanzchef Frank Wettstein kurz vor dem Jahreswechsel auf die Klubseiten eingestellt hat.
Die Einnahmen-Ausgaben-Rechnung zeigt dabei vor allem eines an: Stillstand – und das auf prekärem Niveau. Der HSV hat in der zurückliegenden Saison über 62 Millionen Euro für Personalkosten ausgegeben, davon rund 50 Millionen für den Spielerkader. Das sind 55 Prozent vom Umsatz, mehr als bei den meisten anderen Bundesligaklubs. Von ihrem Vorhaben, die Personalkosten zu senken, hat sich die Vereinsführung inzwischen sogar offiziell verabschiedet.
Die Symbolkraft dieser Entscheidung ist groß: Ein konsequenter Sparkurs lässt sich in dem hyper-aufgeregten HSV-Umfeld offensichtlich nicht durchsetzen, so der Eindruck. Neues Ziel des Managements ist es, die Kaderkosten bei 50 Millionen Euro wenigstens ein paar Jahre lang einzufrieren, wie Wettstein vor wenigen Wochen in einem Interview erklärte.
Da der HSV aber erst im Sommer den Kader mit teuren Neuzugängen aufgerüstet hat, dann das Trainerteam auswechselte und jetzt in der Winterpause am Transfermarkt noch einmal nachlegen muss, dürften selbst konstante Personalkosten schwer zu erreichen sein. Im Finanzbericht bereitet der HSV seine Fans schon einmal darauf vor, dass die Personalkosten in der laufenden Saison wahrscheinlich noch weiter zulegen werden.
Der HSV wächst nicht mehr
Verschärft wird die Kostenproblematik durch den Umstand, dass der HSV seine frühere Wachstumsdynamik eingebüßt hat. Obwohl 2015/16 eine gute Saison war, lag der Umsatz mit 123 Millionen Euro um rund 4 Prozent unter der Vorsaison. Grund dafür ist der Rückgang der Transfererlöse um 8,5 Millionen Euro.
Der HSV hat aber auch in den stabileren Bereichen ein Einnahmeproblem: Der ligaweite Anstieg der TV-Erlöse geht am HSV vorbei, weil der Klub in der Fünfjahrestabelle immer weiter zurückfällt. Seit drei Jahren schon stagnieren die TV-Einnahmen bei knapp 29 Millionen Euro im Jahr. Auch der Verkauf von Eintrittskarten und Logenplätzen brachte in der Saison 2015/16 gut 5 Millionen Euro weniger ein als noch in der Vorsaison. Ein Aufwärtstrend zeigt sich dafür bei den Einnahmen aus Merchandising (8,1 Millionen Euro, plus 8 Prozent) und vor allem bei Werbung (29,2 Millionen Euro, plus 28 Prozent), weil der HSV neue Verträge mit Großsponsoren abschließen konnte. Die Marke hat also immer noch eine gewisse Zugkraft.
Doch angesichts stagnierender Erlöse und eines Schuldenbergs, der de facto die 100-Millionen-Euro-Marke schon wieder übersprungen hat, lebt der HSV mit einer Personalkostenquote von 55 Prozent immer noch auf viel zu großem Fuß. Die Konsequenz: Nach 22,5 Millionen Euro in der Saison 2014/15 steht auch nach der Saison 2015/16 nach Abzug von buchhalterischen Sondereffekten mit 19,1 Millionen Euro wieder ein dicker Verlust zu Buche – und das, obwohl der HSV einen außergewöhnlichen Forderungsverzicht über 4,5 Millionen Euro als Sonderertrag verbuchen konnte. „Den Turnaround haben wir nicht erreicht“, gibt Finanzchef Wettstein ganz offen zu. Die Sanierung des HSV beschreibt der CFO als langwieriges Unterfangen.
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Die Eventualverbindlichkeiten des HSV explodieren
Die gute Nachricht aus Sicht der HSV-Fans ist, dass es Wettstein mit seinen Umschuldungsaktionen gelungen ist, dem Klub wenigstens wieder eine gewisse Planungssicherheit zu verschaffen. Das im Spätsommer platzierte Schuldscheindarlehen reduziert nicht nur die Abhängigkeit von Geldgeber Kühne, sondern verschafft dem HSV auch eine Atempause. Die Stadionschulden von über 20 Millionen Euro mit kurzer Restlaufzeit ist der HSV damit losgeworden.
Dafür geben jetzt die Eventualverbindlichkeiten Anlass zur Sorge: Im aktuellen Lagebericht bereits benannt sind 3,5 Millionen Euro Miet- und Leasingverpflichtungen sowie 5,6 Millionen Euro aus künftigen „Bestellverpflichtungen“ im Transferbereich. Diese Verbindlichkeiten können noch dem operativen Geschäft zugeordnet werden.
Für zwei Besserungsscheine, die den HSV weitere 8,3 Millionen Euro kosten könnten, gilt das hingegen nicht. Die Vermarktungsfirma Lagardère hofft noch auf bis zu 3,3 Millionen Euro. Der HSV hatte Lagardère 2015 während der Ausgliederung des Profibereichs aus dem Gesellschafterkreis herausgekauft. Daneben bekäme auch ein nicht namentlich genannter Darlehensgeber bis zu 4,95 Millionen Euro, wenn der HSV bis 2019/20 bestimmte „außerordentliche Erträge“ erzielt, wahrscheinlich aus Spielerverkäufen oder Europacup-Partien. Die Vermutung, dass sich dahinter der ewige Mäzen Klaus-Michael Kühne verbirgt, dürfte nicht ganz abwegig sein.
Kühne hat dem HSV im Sommer 38 Millionen für neue Spieler spendiert
Bis hierhin summieren sich die Eventualschulden des HSV also auf bis zu 17,4 Millionen Euro. Doch das ist nur die Spitze des Eisbergs, denn in der Zwischenzeit ist ja auch noch der Kühne’sche Transferzuschuss dazugekommen. In seinem Lagebericht beziffert der HSV jetzt präzise die exakte Höhe des neuen Kühne-Darlehens: 38 Millionen Euro schuldet der HSV dem Unternehmer allein aus den Transfergeschäften des vergangenen Sommers. Das ist sogar noch wesentlich mehr als die 20 bis 25 Millionen, über die damals in der Presse spekuliert wurde. Zurückzahlen muss der HSV das Geld zwar nur im Erfolgsfall, dann aber mit einer ordentlichen Prämie.
Mittelfristig verheißt das für den HSV nicht viel Gutes: In dem Moment, in dem sich der Klub sportlich erholt und wieder in den Europacup einzieht, könnte eine Forderungswelle von fast 50 Millionen Euro auf den HSV zukommen – weitere möglicherweise noch kommende Transferzuschüsse von Kühne noch nicht einmal mit eingerechnet. Auch wenn der Klub im Erfolgsfall diese Summe sicher nicht auf einen Schlag zurückzahlen müsste und dann im Gegenzug auch zusätzliche Einnahmen ins Haus stünden: Die Eventualschulden haben das Zeug, die Renaissance des HSV auf Jahre hinaus auszubremsen, so sie denn überhaupt kommt.
Der HSV will seine Eigenkapitalquote verdoppeln – aber wie?
Dies alles im Hinterkopf, benötigt es viel Fantasie, sich vorzustellen, wie Finanzchef Wettstein sein großes Ziel erreichen will, die HSV-Finanzen mit einer Eigenkapitalquote von 50 Prozent wieder stabil aufzustellen. Derzeit sind es nur knapp 25 Prozent, und wegen der absehbaren Verluste der laufenden Saison weist der Trend nach unten.
Wettstein hofft, dass der HSV es in der Saison 2017/18 endlich wieder schafft, Geld zu verdienen. Illusionen macht sich der gelernte Wirtschaftsprüfer, der eine der schwersten Aufgaben im deutschen Profifußball zu meistern hat, trotzdem nicht: Um die 50 Prozent zu erreichen, wird der HSV noch eine große Menge Vereinsanteile verkaufen müssen, räumt Wettstein ein. 15 Prozent wurden schon verkauft, 11 Prozent davon gingen an Kühne. 10 Prozent liegen noch im Schaufenster. Möglicher Erlös in der aktuellen Verfassung des Vereins: 25 bis 30 Millionen Euro.
Doch Wettstein tut gut daran, diese Anteile noch eine Weile zurückzuhalten. Denn egal, ob die sportliche Misere anhält oder der HSV unter seiner neu zusammengestellten Führungsspitze wieder nach oben kommt: Die Außenstände bei Kühne sind eine riesige Hypothek. Die Vergangenheit könnte ein Fingerzeit auf die Zukunft sein: Einen Teil seiner HSV-Anteile hat Kühne bekommen, weil er im Gegenzug auf die Rückzahlung von Darlehen verzichtet hat. Dies könnte sich wiederholen.
Info
Pleitegerüchte in Kaiserslautern, Börsenprobleme beim BVB, ausgefallene Finanzierungsmodelle beim FC St. Pauli: Mehr Fußballfinanzanalysen finden Sie im FINANCE-Blog 3. Halbzeit. Außerdem: Folgen Sie der 3. Halbzeit auch auf Facebook und diskutieren Sie mit.
Wer ist der Mann, der um die Sanierung der HSV-Finanzen kämpft? Erfahren Sie mehr im FINANCE-Köpfe-Profil von HSV-Finanzchef Frank Wettstein.