Frau Dahnke, die außerordentliche Osram-Hauptversammlung im vergangenen Herbst und das diesjährige Aktionärstreffen liefen jeweils virtuell ab. Was hat das für Sie und die Investor-Relations-Teams konkret bedeutet?
Wir haben uns zunächst alle mit den neuen Anforderungen und Prozessen auseinandersetzen müssen. Bei einer physischen HV sind alle Abläufe erprobt und einstudiert. Diese Routinen fehlten natürlich bei den ersten virtuellen Treffen. Über allem schwebte dann die Kernfrage: Wie bekommen wir eine virtuelle HV so umgesetzt, dass sie informativ und unterhaltsam ist – aber in erster Linie bei den Beschlüssen eben auch rechtssicher. Auch technische Fragen nahmen viel mehr Raum ein als sonst. Wir haben alles überprüft und hinterfragt, das war eine deutlich größere Herausforderung für alle Beteiligten als eine Hauptversammlung es ohnehin schon ist.
Und wie sind Ihre ersten Erfahrungen?
Sehr vieles läuft bereits sehr gut: Die Abstimmungen funktionieren, die Technik läuft stabil. Der Dreh- und Angelpunkt liegt für mich beim Thema Fragen: Da die Aktionäre keine Möglichkeit für Nachfragen haben, versuchen wir, die gestellten Frage möglichst detailliert zu beantworten. Außerdem haben wir Fragen weniger stark zusammengefasst, als wir es vielleicht bei einer Präsenz-HV getan hätten.
Virtuelle HV: Rechtssicherheit hat Priorität
Was war der häufigste Kritikpunkt, den Sie gehört haben?
Insbesondere die Vertreter der Kleinaktionäre bemängeln es, dass sie keine Ad-hoc-Nachfragen stellen können. Somit fehlt die Möglichkeit, auf die gehaltenen Reden zu reagieren. Auch direkte Nachfragen zu vorab eingereichten Fragen, die in der virtuellen HV beantwortet werden, sind leider nicht möglich.
„Weder Techniker noch Juristen konnten garantieren, dass sich eine Nachfragemöglichkeit rechtssicher abbilden lässt.“
Unternehmen können eine solche Nachfragemöglichkeit bei der virtuellen Hauptversammlung auf freiwilliger Basis anbieten. War das für Osram eine Option?
Wir haben darüber diskutiert, uns für die diesjährige virtuelle HV aber dagegen entschieden. Weder die Techniker noch die Juristen konnten uns garantieren, dass sich eine Nachfragemöglichkeit rechtssicher abbilden lässt. Derzeit gibt es für Nachfragen keinen rechtlich definierten Rahmen. Für uns hat Rechtssicherheit aber oberste Priorität – andernfalls drohen Anfechtungsrisiken und das Unternehmen wäre womöglich für längere Zeit in seiner Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Um dieses Risiko auszuschließen, haben wir auf Nachfragen verzichtet. Wenn aber eine technisch und juristisch sichere rechtliche Lösung geschaffen wird, nehme ich das Thema gern wieder auf.
Hauptversammlung: Präsenz oder physisch?
Bislang ist der rechtliche Rahmen für die virtuelle HV nur bis Ende 2021 geschaffen. Gehen Sie davon aus, dass sie auch in den kommenden Jahren eine Option bleibt?
Es wäre schön, wenn Unternehmen auch nach der Coronavirus-Pandemie die Möglichkeit hätten, zwischen physischen und virtuellen HV-Formaten zu wählen. Entscheidend wird sein, dass das Fragerecht der Aktionäre zu deren Zufriedenheit erfüllbar ist. Da sind nach wie vor Fragen offen, aber wir nähern uns einer moderneren Form der HV. In meinen Augen hätte man die Diskussion über virtuelle Umsetzungsmöglichkeiten für die Hauptversammlung schon lange einmal anstoßen können. Corona hat das jetzt forciert.
Gibt es auch etwas, das Ihnen ganz persönlich im virtuellen Setting fehlt?
Bei einer physischen Hauptversammlung ist mehr Dynamik im Spiel. Vieles, was in einer Präsenzveranstaltung spürbar ist, etwa Unterstützung oder Beifall der Aktionäre, das fehlt im virtuellen Format. Der persönliche Kontakt ist nicht zu ersetzen.
Info
Mehr über die Vita der CFO finden Sie im FINANCE-Köpfe-Steckbrief zu Kathrin Dahnke. Alles über die Hintergründe zum Unternehmen lesen Sie auf unserer Themenseite zu Osram. Einen Einblick in rechtliche Neuerungen bei der virtuellen HV-Saison 2021 und Erfahrungen weiterer Finanzchefs finden Sie in diesem Artikel.