David Dreyfus ist Co-Deutschlandchef der Investmentbank Lilja & Co., die vornehmlich Private-Equity-Investoren und ihre Portfoliounternehmen bei Börsengängen berät. Warum er ausgerechnet im ersten Halbjahr 2022 besonders viele IPO-Projekte von Finanzinvestoren auf den Kapitalmarkt zukommen sieht, wieso es andere Branchen als noch 2021 betreffen wird und wann genau die Welle losrollt, berichtet er im Interview mit FINANCE.
Herr Dreyfus, Sie erwarten in diesem Jahr eine Welle an Börsengängen, vor allem von Unternehmen hinter denen ein Private-Equity-Investor steht. Warum?
Mehrere Entwicklungen führen dazu, dass wir in diesem Jahr viele Börsengänge sehen werden. Für die erste Entwicklung müssen wir auf das vergangene Jahr schauen: Das erste Halbjahr 2021 war mit Blick auf Börsengänge extrem stark, wir haben unter anderem die Börsengänge von Auto1, Suse, Aboutyou und Synlab gesehen. Auf dieser Basis haben viele Unternehmen – auch mit Private-Equity-Hintergrund – einen Börsengang für das zweite Halbjahr 2021 vorbereitet. Doch bei den Investoren hat sich ab dem Spätsommer eine gewisse Sättigung gezeigt, und die Bereitschaft, in Börsengänge zu investieren, ist deutlich zurückgegangen. Entsprechend gab es in der zweiten Jahreshälfte weniger Börsengänge.
Eine Auswirkung davon war, dass Börsengänge auf Eis gelegt worden sind, wie zum Beispiel der von MeinAuto, hinter dem Hg Capital steht, oder auch von der Sprachlern-App Babbel. Folgt man Ihrer Argumentation, müssten diese Börsengänge 2022 nachgeholt werden.
Exakt. Die Selektivität der Investoren hat dazu geführt, dass es nur noch größere Assets mit einer distinkten Equity Story sowie einer aussagekräftigen ESG-Agenda an die Börse geschafft haben. Das heißt aber nicht, dass die Unternehmen, die es vergangenes Jahr nicht an die Börse geschafft haben, qualitativ schlecht sein müssen. Daher erwarte ich, dass einige dieser Firmen ihre IPO-Pläne für 2022 wieder aufnehmen werden.
IPO-Markt könnte im zweiten Halbjahr 2022 ruhiger werden
Welche weiteren Entwicklungen unterstützen Ihre These, dass wir 2022 mit einem Boom bei Börsengängen aus dem Private-Equity-Lager rechnen müssen?
Das aktuelle Marktumfeld ist für Emittenten interessant, unter anderem weil die Unternehmensbewertungen an der Börse nach wie vor sehr hoch sind. Dieses Momentum wollen viele Finanzinvestoren nutzen.
Warum erwarten Sie, dass die Unternehmen ausgerechnet im ersten Halbjahr an die Börse gehen? Wenn es alle so machen, läuft man ja Gefahr, in der Masse unterzugehen. Ein IPO im zweiten Halbjahr hätte doch den Charme, mehr Aufmerksamkeit der Investoren auf sich zu ziehen, oder?
Noch ist das Marktumfeld gut, doch die steigende Inflation, die zunehmende Angst vor einer möglichen Zinswende und geopolitische Konflikte könnten dazu führen, dass die Unternehmen ihren Börsengang möglichst zeitnah umsetzen möchten.
Das bedeutet, es wird im zweiten Halbjahr ruhiger an der IPO-Front?
Unternehmen sprechen uns mit ihren IPO-Projekten etwa sechs bis achtzehn Monate im Voraus an, je nachdem, wie gut sie schon auf den Kapitalmarkt vorbereitet sind. Ob es in der zweiten Jahreshälfte tatsächlich ruhiger wird, kann ich aber aufgrund dieses Planungshorizonts nur teilweise abschätzen.
Mehr Börsengänge aus den Branchen Energie, Immobilien und Transport
In diesem Jahr haben wir vergleichsweise viele Börsengänge in den Bereichen Technologie, E-Commerce und Healthcare gesehen. Wird das 2022 ähnlich?
In der Tat gab es 2021 am deutschen IPO-Markt viele technologiegetriebene Börsengänge. Das könnte sich in diesem Jahr ändern: Neben Unternehmen aus dem Technologie- und Healthcare-Bereich erwarten wir auch wieder mehr Börsengänge aus traditionellen Sektoren, wie zum Beispiel aus dem Energie-, dem Immobilien- oder dem Transportsektor.
Es sieht ganz so aus als könnte 2022 ein extrem gutes Jahr für Börsengänge werden – nicht nur, aber auch für IPOs von Private-Equity-finanzierten Unternehmen. Wird das kommende Jahr 2021 sogar übertrumpfen?
2021 ist das historisch beste IPO-Jahr seit mehr als 30 Jahren, mit einem extrem hohen IPO-Volumen in Europa von über 74 Milliarden Euro und rund 500 Börsengängen bis etwa Mitte Dezember. Dementsprechend ist es schon eine Herausforderung, dieses hohe Niveau beizubehalten. Ich denke, auf Basis des Marktumfelds, dem Feedback anderer Marktteilnehmer sowie unserer eigenen Pipeline wird 2022 ein weiteres Rekordjahr für den IPO-Markt. Ob 2022 mit Blick auf die Anzahl und die Volumina das Vorjahr nochmal übersteigen wird, lässt sich aber erst im Jahresverlauf verlässlich prognostizieren.
Und ab wann rollt die IPO-Welle los?
Ende Januar bis Anfang Februar – dem ersten IPO-Fenster des Jahres – werden vermutlich nur wenige Unternehmen an die Börse gehen. Während dieses Fensters hat man zwar die volle Aufmerksamkeit der Investoren, aber es handelt sich aufgrund der vorangehenden Weihnachtspause auch nur um ein sehr kurzes Zeitfenster. Wir erwarten deshalb mehr Börsengänge vor und nach Ostern im kommenden Jahr.
olivia.harder[at]finance-magazin.de
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.