Deutschland will bei der Digitalisierung des Kapitalmarkts aufholen. Deshalb haben das Bundesfinanz- und das Justizministerium nun einen Referentenentwurf zur Einführung eines elektronisches Wertpapiers vorgelegt. Dies war mit Spannung erwartet worden, schließlich hatten die beiden Ministerien bereits im März 2019 angekündigt, das deutsche Recht für digitale Wertpapiere öffnen zu wollen.
Bislang müssen Unternehmen, die in Deutschland Anleihen, Schuldscheine oder Commercial Paper emittieren, eine Globalurkunde anfertigen lassen. Diese verbrieft die Rechte der Gläubiger und wird unterschrieben in Papierform in den Tresoren von Zentralverwahrern wie etwa Clearstream hinterlegt. Das macht den Emissionsprozess nicht nur aufwendiger. Es verhinderte bislang auch, dass Finanzierungen nach deutschem Recht vollständig digital aufgenommen und abgebildet werden können.
Diese Schwäche traf auch die ersten Gehversuche mit der Blockchain-Technologie: Als die beiden Industriekonzerne Continental und Siemens vor anderthalb Jahren ein Commercial Paper über die Blockchain handelten, wichen sie daher nach Luxemburg aus. Dort benötigt man auch jetzt schon keine physische Urkunde.
Platzierung von Anleihen wird vereinfacht
Diese Problematik adressiert der Referentenentwurf nun: „Der Entwurf enthält im Kern zwei Teile“, erklärt Hendrik Haag, Partner bei der Wirtschaftskanzlei Hengeler Mueller. „Erstens dematerialisiert er Schuldverschreibungen, damit physische Urkunden künftig nicht mehr erforderlich sein werden.“ Das vereinfacht Unternehmen die Platzierung von gewöhnlichen Anleihen, da ein manueller Prozessschritt entfällt.
„Zweitens ermöglicht der Entwurf auch die Emission von Krypto-Wertpapieren nach deutschem Recht“, sagt Haag. Der Kapitalmarktrechtler hält das für eine erhebliche Weiterentwicklung, weil Wertpapiere künftig auch auf dezentralen Blockchain-Systemen begeben werden könnten. Welche Bedingungen Unternehmen erfüllen müssen, die Kryptowerte handeln und verwahren wollen, ist seit Januar in einem Gesetz geregelt.
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Drängen die Banken ins Verwahrgeschäft vor?
Der nun veröffentlichte Referentenentwurf könnte die Position von Depotbanken und Zentralverwahrern schwächen, da sie dann nicht mehr zwingend notwendig wären. So sieht der Entwurf vor, dass elektronische Wertpapierregister künftig ihre Funktionen übernehmen. Klar dürfte zwar sein, dass auch Clearstream ein solches Register auflegen wird. Allerdings könnte der Wettbewerb schärfer werden.
Denn wer ein Register managt, das lässt der Entwurf offen. Es könnten also auch Banken oder Fintechs diese Dienstleistung übernehmen: „Grundsätzlich wäre es sogar möglich, dass ein Industriekonzern das Register für seine eigenen Wertpapiere führt“, denken die beiden Blockchain-Experten Philipp Sandner, Professor an der Frankfurt School of Finance, und Johannes Blassl, Rechtsanwalt bei GSK Stockmann, auf der Online-Publishing-Plattform „Medium“ das Ganze sogar noch weiter. Der Vorteil: Unternehmen könnten sich Gebühren für Zentralverwahrer und Debotbanken sparen, indem sie die gesamte Wertschöpfungskette selbst in die Hand nehmen.
Revolution am Kapitalmarkt?
Haag ist allerdings skeptisch, ob die Schaffung eines digitalen Wertpapiers tatsächlich dazu führen wird, dass Blockchain-Finanzierungen populärer werden: „Jedes einzelne Wertpapier müsste eine eigene Kennung haben, die auf der Blockchain hinterlegt wird.“ Dabei stoße die Technologie aber an ihre Grenzen, meint Haag. Die Blockchain benötigt als dezentrale Datenbank große Speicherkapazitäten. Dies gilt unter Kritikern als wichtiges Argument, das den Einsatz der Technologie in der Praxis beschränkt.
Hinzu kommt: Anonymität wie sie die Blockchain verspricht, ist in Haags Augen kein gutes Konzept für Kapitalmärkte. „Man büßt Kontrollmöglichkeiten etwa mit Blick auf Geldwäschevorschriften ein.“
„Die Digitalisierung wird nun den gesamten Kapitalmarkt erfassen.“
Sandner und Blassl sind wesentlich offensiver. Sie sprechen gar von einer Revolution am deutschen Kapitalmarkt, die der Referentenentwurf auslösen könnte: „Noch handelt es sich zwar erst um einen Gesetzesentwurf, aber das in Zukunft zu erlassende Gesetz wird den Kapitalmarkt in Deutschland und die dort agierenden Akteure signifikant verändern. Die Digitalisierung wird nun den gesamten Kapitalmarkt erfassen“, schreiben die Beiden.
Nach Anleihen könnten Aktien folgen
Im ersten Schritt wollen die beiden Bundesministerien nur Schuldverschreibungen – also Fremdkapitalinstrumente – digitalisieren. Allerdings könnten die Regelungen für elektronische Wertpapiere in einem zweiten Schritt auch auf Aktien und Investmentfondsanteile übertragen werden. „Diese Reihenfolge macht Sinn, da Aktien rechtlich komplexer sind“, sagt Hengeler-Mueller-Experte Haag.
So müsste etwa die Teilnahmeberechtigung bei Hauptversammlungen digital abgebildet werden. Der Rechtsanwalt geht davon aus, dass der Referentenentwurf bis zum Ende des Jahres in ein Gesetz münden könnte.
Desirée Buchholz ist Redakteurin bei FINANCE und Leitende Redakteurin der Schwesterpublikation DerTreasurer. Seit 2014 moderiert sie beim Web-TV-Sender FINANCE-TV. Desirée Buchholz hat einen Masterabschluss im Fach International Business and Economics und schrieb während des Studiums als freie Journalistin unter anderem für das Handelsblatt sowie die Wirtschaftsmedien von Gruner + Jahr.