Drägerwerk hat die Gunst der Stunde genutzt: Wegen der Coronakrise ist die Nachfrage nach Beatmungsgeräten und weiteren Produkten des Lübecker Medizintechnikers explodiert, der Aktienkurs stieg seit dem Ausbruch des Coronavirus in Europa von 50 Euro auf fast 80 Euro. Diese Gelegenheit hat Drägerwerk nun genutzt, um über eine Kapitalerhöhung frisches Geld hereinzuholen.
Wie das SDax-Unternehmen mitteilte, hat es 1 Million neue Vorzugsaktien zu einem Platzierungspreis von 76,50 Euro an institutionelle Investoren ausgegeben und damit 76,5 Millionen Euro eingesammelt. Die Inhaberfamilie Dräger hat sich auch an der Kapitalerhöhung, die 5,6 Prozent des Grundkapitals entspricht, beteiligt.
Drägerwerk will Genussscheine kündigen
Den Nettoemissionserlös aus der Kapitalerhöhung will Drägerwerk für zwei Zwecke nutzen. Zunächst wollen die Lübecker den Erlös zur kurzfristigen Stärkung der Liquidität verwenden, um der coronabedingt enorm hohen Nachfrage gerecht zu werden, die auch den Ausbau der Produktion verlangt.
Vor allem aber will Drägerwerk mit dem Erlös aus der Kapitalerhöhung die bestehenden Genussscheine der Serien A und K kündigen. Der Rückkaufswert beider Tranchen beläuft sich den Lübeckern zufolge auf 157 Millionen Euro, der Betrag wird im nächsten Januar fällig. Bereits im März hatte das börsennotierte Familienunternehmen das größere Genussscheine-Paket der Serie D gekündigt. In diesem Zusammenhang muss CFOGert-Hartwig Lescow im Januar 2023 eine Auszahlung in Höhe von 310 Millionen Euro einplanen.
FINANCE-Köpfe
Das Ausmaß dieser Transaktionen ist für Drägers Verhältnisse erheblich. Zum Ende des abgelaufenen Geschäftsjahres, in dem Dräger ein Ebit von rund 66 Millionen Euro erwirtschaftete, lag die Bilanzsumme bei knapp 2,6 Milliarden Euro, das Eigenkapital bei knapp 1,1 Milliarden. Die liquiden Mittel summierten sich auf etwas weniger als 200 Millionen Euro.
IFRS hat Genussscheine unattraktiver gemacht
„Diese Scheine wurden in den 80er und 90er Jahren ausgegeben. Damals wurden sie noch als Eigenkapital bilanziert“, erläutert ein Unternehmenssprecher den Hintergrund der Transaktion gegenüber FINANCE. Mit der Einführung von IFRS sei die Möglichkeit, diese Papiere als Eigenkapital zu bilanzieren, jedoch „zum großen Teil“ verloren gegangen, sodass das Instrument nicht mehr so eine hohe Bedeutung für das Unternehmen habe. Heute werden die Genussscheine primär als Verbindlichkeit verbucht und belasten damit die Eigenkapitalquote, die aktuell mit 41,9 Prozent ausgewiesen wird. Daher habe sich der Medizintechniker dazu entschieden, die Scheine zu kündigen, so der Drägerwerk-Sprecher.
Dennoch – so der Sprecher weiter – werde im Zuge der Kündigung „in Summe mehr Eigenkapital aus unserer Bilanz verschwinden als durch die Kapitalerhöhung hereinkommt“. Die exakten bilanziellen Auswirkungen der Transaktionen wird Drägerwerk im Rahmen des Quartalsabschlusses Ende der kommenden Woche veröffentlichen.
Drägerwerk: Aufträge explodieren, der Aktienkurs auch
Doch trotz der kleiner werdenden Eigenkapitalbasis sieht Dräger zwei Vorteile in den Transaktionen: So würde die Tilgung der Genussscheine wie ein Aktienrückkaufprogramm wirken und somit Wert und Gewinn je Aktie rechnerisch erhöhen. Außerdem würde die Kapitalstruktur übersichtlicher werden. Das Unternehmen sieht in dem Deal „ein klares Zeichen der Stärke in einer Situation, die von Unsicherheit geprägt ist“.
Info
Mehr über den Drägerwerk-CFO erfahren Sie auf dem FINANCE-Köpfe-Profil von Gert-Hartwig Lescow. In der nächsten Ausgabe des FINANCE-Magazins am 7. Mai erwartet Sie auch ein ausführliches Interview, in dem der Dräger-CFO darüber berichtet, was genau die Coronakrise in seinem Unternehmen ausgelöst hat.
Welche Auswirkungen die Coronakrise auf die Corporate-Finance-Welt hat, lesen Sie auf unserer Themenseite zum Coronavirus. Mehr zu den neuen Bilanzierungsregeln finden Sie auf unserer Themenseite zu IFRS.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.