In Deutschland und Europa laufen die IPO-Märkte auseinander. Auf europäischer Ebene war 2017 bisher ein sehr aktives Börsenjahr. 86 Unternehmen haben bislang den Sprung an die Börse geschafft. Im selben Zeitraum waren es im Vorjahr nur 69 IPOs. „Die Börsengänge in diesem Jahr hatten insgesamt ein Volumen von 14 Milliarden Euro“, sagt ECM-Chef Ralf Darpe von der Société Générale, die gerade selbst ihre Auto-Leasing-Sparte an die Börse gebracht hat. Im Vorjahr belief sich das Volumen im vergleichbaren Zeitraum auf etwa 15 Milliarden Euro.
In Deutschland hat sich dagegen bislang wenig getan. Nur 5 Prozent des bisherigen IPO-Volumens in Europa geht auf Börsengänge in Deutschland zurück. Zum Vergleich: Im gesamten Jahr 2016 waren es 15 Prozent. Den größten deutschen Börsengang legte bisher der Maschinenbauer Aumann aufs Parkett. Der IPO der MBB-Tochtergesellschaft erreichte ein Volumen von 251 Millionen Euro. Dem folgte der erste IPO im neuen Frankfurter Börsensegment Scale: Im März schaffte der Industrie-Dienstleister Ibu-Tec dort den ersten Börsengang. Der Emissionserlös lag bei rund 20 Millionen Euro.
Geringe Volatilität schafft gutes Umfeld für IPOs
Der schwache Auftakt hat die Marktbeobachter überrascht. „Es war deutlich ruhiger als viele erwartet hatten“, kommentiert Société-Générale-Experte Ralf Darpe. „Da im vergangenen Jahr der unvorhergesehene Ausgang sowohl des Brexit-Referendums als auch der Wahl von Donald Trump für Unruhe sorgten, hatten einige ihre Börsengänge auf dieses Jahr verschoben.“
Wie sehr sich der Markt an diese Unwägbarkeiten mittlerweile gewöhnt hat, lässt sich für Deutschland an dem Volatilitätsindex VDax ablesen, der die erwarteten Schwankungen der Papiere im Deutschen Aktienindex misst. „Als Faustregel gilt, dass ein Wert über 20 für einen Börsengang problematisch ist“, sagt PwC-Experte Christoph Gruß. „In diesem Jahr aber lag er bis auf einen Ausreißer nach oben im April immer deutlich unter diesem Wert.“
Im April sorgten das Referendum in der Türkei und die Sorgen um die politische Stabilität des Landes für eine deutlich gestiegene Unsicherheit. Danach ist der Volatilitätsindex allerdings schnell wieder auf ein niedriges Niveau zurückgekehrt und pendelte in den zurückliegenden Wochen zwischen 12 und 15 Prozent. Auch das für die Regierung überraschend negative Wahlergebnis in Großbritannien führte zu keinen extremen Schwankungen.
Viele Alternativen zur Finanzierung über IPOs
Wieso sich deutsche Emittenten in diesem Jahr bislang zurückhielten, ist für Experten auch mit den guten alternativen Finanzierungsmöglichkeiten, unter anderem über Bankkredite für den deutschen Mittelstand, zu erklären. „Das bedeutet, dass der Druck, über einen Börsengang an neues Kapital zu gelangen, relativ gering ist.“ sagt Ralf Darpe. Der gut laufende Schuldscheinmarkt und exzellente Konditionen am Bondmarkt tun ein übriges.
Einen weiteren möglichen Grund für das noch sehr überschaubare Feld an deutschen Börsenneulingen sieht der Experte in der hohen Aktivität von Private-Equity-Investoren. „Man sieht, dass auch in dieser Branche ein hoher Anlagedruck herrscht und viele Unternehmen von einem PE-Eigentümer zum nächsten wandern, anstatt über einen IPO am Markt verkauft zu werden“, so Darpe. Den Trend sehe man zwar in ganz Europa, doch speziell der deutsche Mittelstand steht durch seine Solidität stark im Fokus der PE-Investoren.
Doch die Marktbeobachter rechnen trotz des langsamen Starts weiterhin mit einem positiven Börsenjahr. „Wir bleiben weiterhin bei unserer Prognose von sieben bis zehn Börsengängen in Deutschland in diesem Jahr“, betont PwC-Experte Gruß. Größte Treiber sollen seiner Ansicht nach zum einen IPOs von Tochtergesellschaften großer Konzerne sein, die ihr Geschäftsprofil umbauen. Zum anderen erwartet er in den kommenden Jahren einen Anstieg an Börsengängen von Tech-Startups oder Unternehmens aus der Online-Branche.
Deutsche IPO-Kandidaten in den Startlöchern
Ein solcher IPO ist bereits angekündigt: Der Essenslieferservice Delivery Hero, ein Unternehmen aus dem Rocket-Internet-Universum, bietet 39 Millionen Aktien in einer Preisspanne zwischen 22 und 25,50 Euro an. Am oberen Ende der Preisspanne entspricht das einer Bewertung von 4,4 Milliarden Euro, der Bruttoemissionserlös könnte bei bis zu 1 Milliarde Euro liegen. Die Erstnotiz ist für den 30. Juni geplant.
Noch davor will die Restaurantkette Vapiano den Sprung an die Börse wagen. Am morgigen Dienstag ist die Erstnotiz geplant, der Börsengang soll rund 200 Millionen Euro schwer werden, 85 Millionen Euro davon im Rahmen einer Kapitalerhöhung an Vapiano fließen. Die Aktien werden in der Mitte der Preisspanne zugeteilt. Außerdem hat sich auch ein neuer IPO im Börsensegment Scale angekündigt. Die Immobilienfirma Noratis aus Eschborn bei Frankfurt will ebenfalls am 30. Juni an die Börse. Bis zu 45 Millionen Euro soll der IPO über eine Kapitalerhöhung einbringen.
Wie gut diese Börsengänge gelingen, wird den weiteren Verlauf des Börsenjahrs in Deutschland massiv prägen. „Wie stark die IPOs überzeichnet werden, ist ein sehr wichtiges Signal für den Markt“, erklärt PwC-Experte Christoph Gruß. Denn daran lasse sich am besten ablesen, wie viel Appetit es bei den Investoren wirklich gebe. Dies könnte dann auch ein Fingerzweig für den Private-Equity-finanzierten LkW-Zulieferer Jost werden. Der Mittelständler gab heute bekannt, im zweiten Halbjahr einen IPO mit einem dreistelligen Millionenvolumen wagen zu wollen.
Antonia Kögler ist Redakteurin bei FINANCE und Chefin vom Dienst bei DerTreasurer. Sie hat einen Magisterabschluss in Amerikanistik, Publizistik und Politik und absolvierte während ihres Studiums Auslandssemester in Madrid und Washington DC. Sie befasst sich schwerpunktmäßig mit Finanzierungsthemen und verfolgt alle Entwicklungen rund um Green Finance und Nachhaltigkeit in der Finanzabteilung.