Das Risiko, dass es Ende Oktober zu einem harten Brexit kommt, ist mit der Wahl des Polit-Hardliners Boris Johnson zum britischen Premierminister deutlich gestiegen. Für besondere Unruhe in den Chefetagen der Banken sorgt dies aber nicht mehr, glaubt Hubertus Väth, Chef der Finanzplatzinitiative Frankfurt Main Finance (FMF): „Die allermeisten Banken sind inzwischen ‚Brexit-ready‘. Sie müssen sich nicht mehr davor fürchten, was in den nächsten Wochen noch passieren könnte.“
Die Notfallpläne stehen. Nach Einschätzung von FMF haben sich vier der sechs größten US-Banken schon konkret für einen Ausweichstandort für vom Brexit betroffene Londoner Einheiten entschieden. Dies gelte auch für vier der fünf größten Japan-Banken sowie wichtige Institute aus China, Kanada, Australien, Indien und der Schweiz.
Frankfurt hat sich vor Paris gehalten
„Wir haben uns wacker geschlagen: Die Mehrzahl der Banken hat sich für Frankfurt entschieden“, freut sich Väth. Kürzlich berichtete Bundesfinanzminister Olaf Scholz, dass insgesamt 52 Finanzdienstleister einen Antrag gestellt hätten, Geschäft nach Deutschland zu verlagern oder hier neu aufzubauen. „Über 30 davon haben jetzt ihre Europazentrale in Frankfurt“, ergänzt Väth.
Hinter Frankfurt folgen mit deutlichem Abstand Paris, das – wie Väth einräumt – „zum Ende hin Boden gutgemacht hat“, sowie Luxemburg und Dublin. Außerdem seien die Frankfurt-Commitments der Banken – entgegen anderslautender Stimmen vor allem aus Frankreich – von hoher Qualität: „Die Behauptung, dass die Dealmaker und Kundenleute nach Paris gehen und Frankfurt lediglich die juristischen Hüllen bekommt, ist absoluter Unsinn“, meint Väth.
„Dass die Dealmaker nach Paris gehen und die juristischen Hüllen nach Frankfurt, ist Unsinn.“
Banken halten Frankfurt-Teams so klein wie möglich
So positiv dies aus deutscher Sicht klingen mag – noch sind die allermeisten Häuser erst mit einem sehr kleinen Aufgebot in der Mainmetropole vertreten. „Die meisten Banken wollen so wenig Leute wie möglich aus London abziehen. Ihre Brückenköpfe in Frankfurt oder Paris betrachten sie als Absicherung“, sagt Väth.
Nichtsdestotrotz sind nach Einschätzung von FMF schon relevante Summen von der Themse an den Main geflossen. Väth: „Viele der großen Banken haben zwischen 40 und 100 Millionen Euro für ihr Brexit-ready-Projekt ausgegeben. Ein guter Teil dieser Gelder ist nach Frankfurt geflossen – ich schätze insgesamt über 1 Milliarde Euro alleine im Jahr 2018.“ Die Unterstützung für den Bankenstandort Frankfurt durch die Bundespolitik bezeichnet er als gut. Besonders lobt er ein Gesetz, das im Februar verabschiedet wurde und das der Bafin die Möglichkeit gibt, für eine Übergangsphase gegenüber neuen Häusern in Deutschland „flexibel“ zu sein. Dies sei in den Gesprächen mit interessierten Banken „hilfreich“ und ein Symbol für politischen Rückhalt gewesen.
„Dass die EBA in Paris angesiedelt wurde, war ein ganz schwerer Rückschlag.“
Trotzdem hätte der Erfolg noch wesentlich größer werden können, bemängelt der Finanzplatzlobbyist. „Dass die Europäische Bankenaufsicht (EBA) in Paris angesiedelt wurde und nicht in Frankfurt, war ein ganz schwerer Rückschlag. Das hatte eine massive Signalwirkung und hat Paris viel Rückenwind verliehen. Auch dass manche der großen US-Banken noch nicht den zweiten Schritt gemacht haben und es bis auf weiteres bei einem kleinen Brückenkopf in Frankfurt belassen, ist registriert worden.“ Allein bei den US-Banken liege das Potential bei bis zu 1.000 neuen Topleuten in Frankfurt. „Leider sind bislang erst etwas über 10 Prozent davon voll und ganz angekommen“, grämt sich Väth.
Brexit-Banken saugen geschasste Banker auf
Nichtsdestotrotz hat die Brexit-bedingte Aufmerksamkeit dem Finanzplatz Frankfurt genutzt. Seit dem Brexit-Votum im Juni 2016 ist Frankfurt im Global Financial Center Index von Rang 23 auf Rang 10 aufgestiegen. Der Index misst die Bedeutung von Finanzplätzen. „Paris ist immer noch in den Zwanzigern“, leistet sich Väth einen kleinen Seitenhieb über den Rhein. Er führt Frankfurts Aufschwung auch auf die hohe Aufmerksamkeit zurück, die der Standort bei den in London und New York ansässigen Bankentscheidern bekommen habe: „Allein in den letzten drei Jahren gab es weltweit 5.000 Artikel über den Finanzplatz Frankfurt. Wir haben einen Medienäquivalenzwert von über 100 Millionen Dollar erzeugt.“
Frankfurt Main Finance
Und die ersten Eindrücke der Frankfurt-Neulinge scheinen positiv gewesen zu sein – nicht nur im Hinblick auf Infrastruktur, Lebenshaltungskosten und andere Aspekte, mit denen FMF weltweit für Frankfurt geworben hat. „Viele Banken waren überrascht, dass sie in Frankfurt so viel gut qualifiziertes lokales Personal rekrutieren konnten“, erzählt Väth. Dies dürfte auch mit den Kürzungsprogrammen hiesiger Banken zusammenhängen – für manchen Banker Glück im Unglück.
Dass in Frankfurt nun neue Stellen für hoch spezialisierte Banker entstehen, hält Väth für strategisch enorm wichtig, denn seine Bestandsaufnahme ist ernüchternd: „Der Finanzplatz Frankfurt braucht dringend eine Wiederauffrischung des Know-hows, etwa im Aktien- und Devisenhandel, auch im Derivategeschäft.“ Gerade in diesen Disziplinen sei viel Wissen abgewandert. „Wenn führende Banken perspektivisch auch große Teams nach Frankfurt verlegen sollten, hätten wir gute Karten, dass die Blutauffrischung gelingt.“
Die City fürchtet nicht nur den Brexit
Dies muss nicht unbedingt im Zuge des Brexits geschehen. In der Londoner City gewinnt die Einschätzung an Raum, wonach sich die Londoner Bankchefs inzwischen mehr Sorgen über eine Regierungsübernahme durch Labour-Parteichef Jeremy Corbyn als über einen harten Brexit machen. Corbyn gilt vielen Bankern als zu links.
Sollte Corbyn im Zuge einer Brexit-bedingten Neuwahl Premierminister werden, rechnen sie mit deutlich höheren Regulierungs- und Steuerlasten. So könnten die Banken erwägen, auch im Zuge eines Machtwechsels in Downing Street ihre Brückenköpfe auf dem Festland zu verstärken – selbst dann, wenn eine Labour-Regierung für eine Entspannung an der Brexit-Front sorgen würde.