Der Darmstädter Chemie- und Pharmakonzern Merck steht vor dem größten Zukauf der Unternehmensgeschichte: Für 17 Milliarden US-Dollar (13,1 Milliarden Euro) hat das börsennotierte Familienunternehmen ein Angebot für den US-Laborausrüster Sigma-Aldrich vorgelegt. Dessen Aktionären bietet Merck eine Übernahmeprämie von 37 Prozent. Abzüglich der Nettokasse von Sigma-Aldrich errechnet sich ein Unternehmenswert von über 16,5 Milliarden Dollar.
Damit erreicht die Deal-Mania am deutschen M&A-Markt einen neuen Höhepunkt. Erst in der vergangenen Woche hatten ZF Friedrichshafen den Kauf des US-Konzerns TRW Automotive und Bayer die Abspaltung des Kunststoffgeschäfts angekündigt. SAP gab den geplanten Erwerb der US-Softwareschmiede Concur bekannt, und heute Morgen meldete Siemens, in den Übernahmekampf um den US-Konzern Dresser-Rand einzusteigen.
Derweil hat Bosch hat in nur einer Woche rund 4 Milliarden Euro auf den Tisch gelegt, um die in die USA strebenden Joint-Venture-Partner Siemens (Haushaltsgeräte) und ZF Friedrichshafen (Lenksysteme) aus den Gemeinschaftsunternehmen herauszukaufen.
Merck zahlt schon zum zweiten Mal fast 20x Ebitda
Die Bewertung, die Merck für Sigma-Aldrich aufruft, ist üppig. Das US-Target plant im laufenden Jahr, einen Umsatz von 2,8 Milliarden Dollar und einen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 852 Millionen Dollar zu erwirtschaften. Damit bietet Merck den 5,9-fachen Umsatz und das 19,4-fache Ebitda.
Und Sigma-Aldrich ist mit einer Ebitda-Marge von 30 Prozent zwar hochprofitabel, aber nicht dynamisch. 2012 und 2013 legten die Erlöse währungsbereinigt um lediglich 3 Prozent zu, auch in diesem Jahr werden es weniger als 4 Prozent sein. Die geplanten Synergien von 340 Millionen Dollar, die innerhalb von drei Jahren erreicht werden sollen, belaufen sich auf etwas mehr als 2 Prozent des Transaktionsvolumens.
Merck hatte bereits im Jahr 2009 am US-Markt für Laborausrüstungen zugeschlagen und für 7,2 Milliarden Dollar Millipore erworben. Damals bezahlte Merck 4x Umsatz und 18x Ebitda, nur unwesentlich weniger als nun für Sigma-Aldrich.
Merck-Chef Karl-Ludwig Kley bezeichnet den geplanten Erwerb als „Quantensprung“ für das Life-Science-Geschäft, dessen Ergebnisbeitrag sich nach Abschluss des Deals verdoppeln würde. Den gesamten Konzernumsatz soll die Übernahme um 19 Prozent, das Ebitda vor Sondereinflüssen um 24 Prozent nach oben treiben.
Beraten wurde Merck bei der Mega-Übernahme von JP Morgan und Guggenheim Securities, Sigma-Aldrich hatte Morgan Stanley an seiner Seite. Mercks Rechtberater war die kanzlei Skadden, Arps, Slate, Meagher & Flom, Sigma-Aldrich wurde von Sidley Austin unterstützt.
Merck-CFO Marcus Kuhnert: „Wir bleiben Investmentgrade“
Finanziert wird der Kaufpreis von 13 Milliarden Euro zu 2 Milliarden Euro aus liquiden Mitteln und zum überwiegenden Teil aus einer Brückenfinanzierung, die von JP Morgan, der Deutschen Bank und der Société Générale arrangiert und unterschrieben wurde. Diese will der erst seit Anfang August amtierende Merck-CFO Marcus Kuhnert zügig wieder ablösen. Geplant ist ein Finanzierungsmix aus 4 Milliarden Euro Bankkrediten und 7 Milliarden Euro Anleihen. Beratem wurde Merck in Finanzierungsfragen von der Kanzlei Allen & Overy unter dem Partner Neil George Weiand.
Eine Kapitalerhöhung ist offenbar nicht geplant, obwohl Merck schon in der ersten Jahreshälfte mit AZ Electronics eine fast 2 Milliarden Euro schwere Akquisition getätigt hatte. Dennoch glaubt Kuhnert, Merck das Investmentgrade-Rating erhalten zu können. Nach Vollzug des Deals dürfte die Nettoverschuldung Mercks über 15 Milliarden Euro erreichen, was in etwa dem 4-fachen pro-Forma-Ebitda des neu formierten Konzerns entsprechen dürfte.