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IFRS 16: So verändert Corona die Leasingbilanzierung

Corona macht vielen Unternehmen zu schaffen – auch in der Bilanzierung. Für IFRS 16 gibt es jetzt Erleichterungen.
jarun011/iStock/Getty Images

Seit dem Geschäftsjahr 2019 gilt die neue Leasingbilanzierung nach IFRS 16 – die komplexe Umstellung auf den neuen Standard hat die Unternehmen viel Kraft gekostet. Im Wesentlichen hat er dazu geführt, dass nun fast alle Leasingschulden in der Bilanz auftauchen müssen und nicht nur im Anhang, was bei vielen Unternehmen zu einer teilweise stark angestiegenen bilanziellen Verschuldung geführt hat. Und jetzt sorgt der neue Standard schon wieder für Ärger: Diesmal ist das Coronavirus schuld.

Wegen Corona müssen Mietverträge angepasst werden

Der internationale Bilanzierungsstandard IFRS 16 regelt die Rechnungslegung für Leasing- und Mietverträge. Diese sind stark von den Folgen der Pandemie betroffen: Da viele Unternehmen ihre Geschäfte schließen mussten, haben sie mit ihren Vermietern Mietstundungen ausgehandelt oder die Miete komplett ausgesetzt. Prominente Beispiele sorgten in den Medien für Aufruhr, so beispielsweise Adidas.

Das Problem: „Laut IFRS 16 muss bei einer Modifikation des Leasingvertrags – und das ist bei Stundung oder Aussetzung der Miete der Fall – die Rechnungslegung angepasst werden“, erklärt Jörg Bösser, Leiter Assurance Solutions für die DACH-Region bei Ernst & Young. Konkret bedeutet das: Die Höhe der Verbindlichkeit, die auf der Passivseite bilanziert wird, muss neu berechnet werden. Auch der Zins, mit dem die Verbindlichkeiten abdiskontiert werden, muss aktualisiert werden. Entsprechend muss auch das Nutzungsrecht auf der Aktivseite angepasst werden.

Corona-Unsicherheit erschwert Bilanzierung nach IFRS 16

„Das ist sehr komplex und zeitaufwendig, vor allem bei Unternehmen mit Hunderten oder Tausenden Leasingverträgen wie in der Handels-, Gastronomie- oder Hotelbranche“, meint Bösser. Hinzu kommen weitere Schwierigkeiten: Nicht alle Unternehmen haben ein professionelles Verwaltungssystem mit allen Verträgen oder eine Software, die die neue Bilanzierung übernehmen kann. „Auch nach der Umstellung auf die neue Leasingbilanzierung arbeiten viele Unternehmen immer noch mit Excel oder anderen Lösungen, die weit weg sind von Vertragsmanagement“, hat Bössers Kollege Gerd Winterling, der den Bereich Accounting Excellence leitet, beobachtet.

Besonders problematisch ist auch die Unsicherheit durch Corona: So haben viele Unternehmen zwar Sonderregelungen mit ihren Vermietern für die Monate April bis Juni getroffen – doch ob nicht noch eine zweite Schließungswelle kommt, kann niemand abschätzen. Gut möglich also, dass Unternehmen ihre Leasingverbindlichkeiten jetzt neu bewerten und dies in einigen Monaten erneut machen müssen.

IASB beschließt Erleichterungen für IFRS 16

„Es gab daher große Unruhe bei den Unternehmen, wie all diese Maßnahmen so kurzfristig umzusetzen seien“, berichtet Gerd Winterling. Die Unzufriedenheit ist auch bis zum internationalen Standardsetzer IASB durchgedrungen – und dieser hat erstaunlich schnell reagiert. Für Prozesse, die sonst viele Monate oder gar Jahre in Anspruch nehmen, hat er nur wenige Wochen gebraucht.

Vor wenigen Tagen hat das IASB eine Vereinfachung der Anwendung von IFRS 16 beschlossen: Unternehmen bekommen ein Wahlrecht. Sie können weiterhin nach der alten Regelung (im Sinne einer „Modifizierung“) bilanzieren, dürfen aber auch von einer Vereinfachung Gebrauch machen. „Wer sich für die Vereinfachung entscheidet, bucht bei reinen Stundungen der Zahlungen Aufwendungen aus Abschreibungen und Zinsen wie bisher, setzt die Tilgung aber aus und reduziert insofern die Verbindlichkeiten nicht“, erklärt Jörg Bösser. „Bei Mietminderungen werden die Unterschiedsbeträge als negative variable Zahlung behandelt, die die Verbindlichkeiten reduzieren und die erfolgswirksam zu erfassen sind“, so Gerd Winterling weiter.

Doch die Vereinfachung ist an drei Bedingungen geknüpft: Zum einen müssen die Unternehmen nachweisen, dass die Mietvertragsänderungen im Zusammenhang mit Corona stehen. Zum zweiten darf es keine weiteren Veränderungen im Vertrag geben, wie zum Beispiel die Quadratmeterzahl. Und drittens gibt es die Erleichterungen nur für Mieten, die ursprünglich bis Juni 2021 fällig sind.

EU-Endorsement für Leasingbilanzierung steht noch aus

„Ich denke, dass die meisten Unternehmen von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen werden, um Komplexität herauszunehmen“, meint EY-Bilanzierungsexperte Bösser. Tatsächlich ist die Bilanzierung nach IFRS 16 nur eine Sache, die das Leben der Accountants momentan erschwert – Corona tangiert etliche Bilanzierungsfragen, wodurch jegliche Erleichterung dankend angenommen werden dürfte.

Doch ganz in trockenen Tüchern ist das Ganze nicht, denn noch steht das EU-Endorsement aus. Damit Unternehmen das Wahlrecht bereits in ihrer Halbjahresberichterstattung nutzen können, sollte das Endorsement bis Ende Juni durch sein. Bösser und Winterling zeigen sich optimistisch, dass das gelingt, denn „allen Beteiligten ist die schwierige Lage bewusst“.

julia.schmitt[at]finance-magazin.de

Info

Die Pandemie erschwert das Leben der Unternehmen derzeit auf vielen Ebenen. Mehr dazu lesen Sie auf unserer Themenseite zum Coronavirus. Sie wollen über die Entwicklungen bei den internationalen Bilanzierungsstandards auf dem Laufenden bleiben? Dann schauen Sie auf unserer Themenseite IFRS vorbei.

Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.