Es scheint aktuell so, als wäre nach der Krise, vor der Krise. Nachdem sich die Konjunktur langsam von der Corona-Pandemie erholen konnte, hat der Krieg in der Ukraine viele europäische Branchen erneut zurückgeworfen. Das zeigt sich deutlich an den Ergebnissen einer Studie, die FINANCE gemeinsam mit F.A.Z. Business Media | research und der Targobank durchgeführt hat.
Die Stimmung deutscher Finanzentscheider hat sich binnen weniger Wochen richtiggehend eingetrübt. In einer ersten Befragung, die wenige Tage vor Ausbruchs des Krieges im Februar durchgeführt wurde, schauten viele der Befragten Vorstände noch positiv in die Zukunft. 48 Prozent sahen das eigene Unternehmen im Aufschwung und 36 Prozent die eigene Branche.
Doch mit dem Tag des Kriegsausbruchs kam die Wende. In der siebten Woche des Krieges, bei der zweiten Befragung, sahen nur noch 27 Prozent das eigene Unternehmen im Aufschwung, und lediglich 18 Prozent die Branche. Die Erwartungshaltung hat sich in Richtung Stabilisierung verschlechtert. Auffällig dabei: Die meisten Befragten schätzen die eigene wirtschaftliche Lage insgesamt besser ein als die ihrer jeweiligen Branche. Die gesamten Ergebnisse der heute erschienen Studie können Sie hier nachlesen.
„43 Prozent erwarten wegen des Ukraine-Kriegs Abschwung oder Krise für die eigene Branche.“
Bernd Renz, Targobank
Liquidität sichern ist das A und O
Unter den größten Herausforderungen im Kerngeschäft finden sich auf den Top-Plätzen „alte Bekannte“, die schon im Peak der Corona-Pandemie die Wirtschaft belastet haben: Preissteigerungen beim Einkauf und Lieferkettenprobleme. Diese dürften sich mit dem strengen Lockdown in Shanghai und womöglich noch weiteren chinesischen Städten deutlich verschärfen.
„Diese Aspekte eröffnen auch den Blick auf möglicherweise noch kommende Herausforderungen für Unternehmen“, erklärt Bernd Renz, Leiter Vertrieb Factoring bei der Targobank. Renz gibt zu bedenken, dass sowohl gestörte Lieferketten, die mit mehr Lagerhaltung einhergehen, als auch Preissteigerungen, die vielleicht Zwischenfinanzierungen erforderlich machen, zu einem erhöhten Liquiditäts- beziehungsweise Finanzierungsbedarf führen dürften.
Da auch die Finanzierungkosten steigen – spätestens wenn die EZB eine Zinswende einläutet – will sich die Hälfte der Unternehmen mit einem dicken Liquiditätspolster rüsten, um bei Unternehmensfinanzierungen möglichst flexibel zu bleiben.
Working Capital durch Finanzierungsmix stärken
Dabei bedienen sich Unternehmen immer häufiger mehrerer Instrumente, um das Working Capital zu stärken und gleichzeitig Liquidität zu sichern, wie die Studie zeigt. Dazu gehören der Abbau von Lagerbeständen, das Ausnutzen von Zahlfristen und Factoring. Letzteres kann neben klassischen Finanzierungsinstrumenten ein wichtiger Baustein im Finanzierungsmix sein, „da Factoring nicht primär auf die Bonität des Kreditnehmers, sondern auf die Werthaltigkeit der Forderung setzt“, weiß Targobanker Renz.
Das meistgenutzte Finanzinstrument der kommenden drei Jahre wird dennoch die Kreditlinie der eigenen Hausbank bleiben, gefolgt von Schuldscheinen und Konsortialkrediten. Factoring kommt für 22 Prozent der befragten Unternehmen in Frage. Die Firmenkundenstudie zeigt auch: Je größer das Unternehmen, desto diverser wird der Strauß an Finanzierungsinstrumenten. Speziell die Kapitalmarktinstrumente stehen primär Großunternehmen zur Verfügung.
Teile müssen noch Corona-Hilfen refinanzieren
Die Unternehmensfinanzierung ist aktuell auch deswegen für einen Teil der Firmen ein Drahtseilakt, weil sie nicht nur künftige Investitionen planen müssen, sondern auch noch die Rückzahlung von staatlichen Corona-Hilfen ansteht.
Durch die zunehmende Komplexität der Unternehmensfinanzierung steigt auch der Anspruch an die entsprechenden Finanzpartner im Firmenkundengeschäft. Sie müssen verstärkt spezialisiertes Know-how mitbringen, flexibel und belastbar sein. Alle weiteren Ergebnisse und interessante Einblick in die FINANCE-Firmenkundenstudie finden sie hier.
melanie.ehmann[at]finance-magazin.de
Melanie Ehmann ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen am M&A- und Private-Equity-Markt. Sie hat Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt studiert. Vor FINANCE arbeitete Melanie Ehmann sechs Jahre in der Redaktion des Platow Verlags, zunächst als Volontärin, später als Wirtschaftsjournalistin im Platow Brief und den Sonderpublikationen.