Ein Umsatz von leicht über 5 Milliarden Euro, ein Vorsteuergewinn (Ebit vor Sondereffekten) im mittleren zweistelligen Millionen-Euro-Bereich sowie ein Free Cashflow im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich: So lautete Leonis Mitte Februar veröffentlichte Prognose für das Geschäftsjahr 2022. Doch diese sollte nur kurz Bestand haben: Wegen des Ukraine-Kriegs, der genau eine Woche nach der Bekanntmachung begann, hat der Autozulieferer die Einschätzungen zum laufenden Geschäftsjahr nun wieder kassieren müssen.
Der Vorstand erwartet nun „aufgrund des Krieges in der Ukraine und der damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen im Jahr 2022“ niedrigere Werte beim Umsatz, beim Ebit vor Sondereffekten sowie beim Free Cashflow. Konkrete Zahlen nannte Leoni allerdings nicht.
Ursprünglich wollte der Zulieferer am 23. März eine aktualisierte Guidance veröffentlichen, gemeinsam mit dem testierten Geschäftsbericht des abgelaufenen Geschäftsjahres. Dies sei nun aber nicht mehr möglich: „Eine verlässliche Quantifizierung der direkten und indirekten Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf das Geschäftsjahr 2022“ sei aufgrund hoher Unsicherheit zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich, insgesamt sei die Prognosefähigkeit „wesentlich beeinträchtigt“, teilt Leoni mit.
Leoni hat millionenschweres Ukraine- und Russland-Exposure
Leoni nennt zwei Gründe für die Gewinnwarnung: Zum einen verfügen die Nürnberger über zwei Werke in der Ukraine, für die das Unternehmen für das laufende Jahr einen Umsatz von „unter 300 Millionen Euro“ eingeplant hatte. Das entspricht knapp 6 Prozent des für 2021 erwarteten Konzernumsatzes von 5,1 Milliarden Euro. Leoni geht nun davon aus, die reduzierten Produktionsvolumina und möglichen Produktionsausfälle in der Ukraine nicht „vollumfänglich“ auffangen zu können. Insgesamt arbeiten mehr als 7.000 Beschäftigte in der Ukraine für den Autozulieferer.
Hinzu kommt, dass Leoni Geschäftsaktivitäten in Russland hat. Laut der Nachrichtenagentur Reuters beschäftigt Leoni in Russland rund 2.500 Mitarbeiter. Den Umsatz der russischen Aktivitäten beziffern die Nürnberger im laufenden Geschäftsjahr auf „unter 100 Millionen Euro“. Das sind knapp 2 Prozent des Konzernumsatzes. Leoni rechnet damit, dass sein Russland-Geschäft von „geopolitischen Konsequenzen“ wie Sanktionsmaßnahmen betroffen sein könnte. Auch in Russland könnten zudem „indirekte Auswirkungen“ des Krieges wie Produktionsunterbrechungen auf der Kunden- sowie auf der Lieferantenseite die Geschäftsentwicklung beeinflussen. Die genauen Folgen kann der Zulieferer nach eigener Aussage derzeit noch nicht abschätzen.
Darüber hinaus verfügt Leoni in beiden Ländern über Sachanlagen und Vorräte, deren aktuellen Wert gibt Leoni mit rund 125 Millionen Euro an. Diese Vermögenswerte könnten den Nürnbergern zufolge ebenfalls „zumindest teilweise“ wertgemindert werden.
Neu-CFO Nippel muss Leoni durch die Krise führen
Für den seit längerem in einer Restrukturierung steckenden Zulieferer und seine Investoren sind das denkbar schlechte Neuigkeiten. Um die Folgen der Krise möglichst gering zu halten, prüft der Vorstand nach eigenem Bekunden „intensiv“ verschiedene Maßnahmen. So ist eine Überlegung, die Produktionsvolumina zu duplizieren. Leoni könnte beispielsweise versuchen, Kapazitäten an anderen Standorten hochzufahren. Für Neu-CFO Harald Nippel, der seinen Posten offiziell im April übernimmt, bedeutet die neuerliche Hiobsbotschaft einen Amtsantritt unter erschwerten Bedingungen.
Der ehemalige Finanzchef des Maschinenbauers Krauss Maffei folgt in Nürnberg auf Ingrid Jägering, die zu dem Familienunternehmen Stihl wechselt. Der restrukturierungserprobte CFO dürfte bei Leoni in vielfacher Hinsicht dringend gebraucht werden. Denn Leoni befand sich bereits vor den Auswirkungen des Ukraine-Krieges in einer angespannten finanziellen Situation. Die zuletzt zu verzeichnende Erholung könnte nun durch die unsichere Lage im Osteuropa-Geschäft zunichte gemacht werden.
Zuletzt legte der Umsatz der Nürnberger gemäß der noch nicht testierten Geschäftszahlen für 2021 um rund 23 Prozent auf 5,1 Milliarden Euro zu, das Ebit vor Sondereffekten wuchs auf 170 Millionen Euro, nachdem zuvor ein Verlust von 59 Millionen Euro zu Buche gestanden hatte. Der Free Cashflow lag zwar auch 2021 mit 10 Millionen Euro noch deutlich im Minus, doch im Vorjahr waren sogar noch 69 Millionen Euro abgeflossen. Nach Aussage des Unternehmens übertrafen das Ebit sowie der Free Cashflow für 2021 die Prognose deutlich.
Leoni kämpft mit Schuldenberg und Liquiditätsabflüssen
Allerdings ist Leoni immer noch hochverschuldet, die Liquidität schmilzt stetig ab. Die Nettofinanzschulden betrugen zum Ende des dritten Quartals 2021 noch 1,67 Milliarden Euro, die Liquidität belief sich zu diesem Zeitpunkt auf gerade einmal 262 Millionen Euro. Außerdem stehen schon Ende dieses Jahres die ersten größeren Refinanzierungen bei Leoni an, unter anderem muss ein Staatskredit über 330 Millionen Euro abgelöst werden. Finanzierungsverhandlungen dürften mit der heutigen Prognoserücknahme nicht einfacher geworden sein.
Hinzu kommt: Leoni hat bereits Tafelsilber verkauft, um sich eine kurze Atempause zu verschaffen. So hat der Konzern im Herbst 2021 den größten Teil der zum Verkauf stehenden Kabelsparte an den US-Wettbewerber Bizlink verkauft. Die Mittelzuflüsse aus diesem und weiteren kleineren M&A-Deals sollen in den Schuldenabbau fließen. Wie entscheidend der Beitrag des jüngsten Verkaufs ist, deutet Leoni selbst an: In einer Mitteilung aus dem Februar schreibt das Unternehmen, dass der Free Cashflow im laufenden Geschäftsjahr 2022 bisher ohne den Cashflow-Beitrag aus dem Verkauf der Business Group „Industrial Solutions“ negativ ausfallen würde. Vor dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs rechneten die Nürnberger für 2022 noch mit einem Free Cashflow im niedrigen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich.
olivia.harder[at]finance-magazin.de
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.