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Kanzleien kämpfen mit Automatisierung gegen Kostendruck

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Wegen des Preisdrucks müssen Kanzleien effizienter werden . Auch Klassiker wie Dokumentenautomatisierung entdecken sie dafür neu.
monsitj/iStock/Thinkstock/Getty Images

Die Faustregel, dass jede Arbeitsstunde Geld bringt, gilt am Kanzleimarkt längst nicht mehr flächendeckend. Die Konkurrenz ist groß, viele Mandanten wollen die Kosten für die Rechtsberatung drücken. Um effizienter zu werden, arbeiten Kanzleien nicht nur an neuen Technologien, sondern entdecken auch Klassiker wie die Dokumentenautomatisierung neu.

Legal-Tech-Lösungen, bei denen Algorithmen und künstliche Intelligenz einzelne Prozesse beschleunigen, stehen inzwischen fast überall auf der Tagesordnung. Nur 3 Prozent der Kanzleien haben sich in den vergangenen zwölf Monaten noch gar nicht mit dem Thema beschäftigt, ergab zu Beginn dieses Jahres eine Umfrage des Fachportals Juve, an der mehr als 200 Wirtschaftskanzleien teilnahmen.

Völlig freiwillig geschieht dies nicht: Zwar sehen 87 Prozent der Kanzleien Legal Tech als Möglichkeit, den Beratungsprozess zu verbessern. Doch das ist nur eine Seite der Medaille. 72 Prozent sagen auch, Legal Tech sei erforderlich, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Bei 18 Prozent der Teilnehmer haben Mandanten den Einsatz der Lösungen sogar aktiv gefordert. In den Großkanzleien macht vor allem eine Befürchtung die Runde: Wenn immer mehr Wettbewerber Technologien nutzen, um beispielsweise die Due Diligence zu beschleunigen, gerät man ohne ein solches Angebot bei der Mandatsvergabe ins Hintertreffen.

Gebührenobergrenzen treiben Automatisierung voran

Auch Anwendungen wie etwa die Dokumentenautomatisierung, die technisch schon vor vielen Jahren möglich gewesen wären, kommen jetzt aufgrund zunehmenden Kostendrucks verstärkt zum Einsatz. Die Kanzlei Norton Rose Fulbright beispielsweise hat vor rund zwei Jahren damit begonnen, weltweit eine Software einzuführen, mit deren Hilfe sich die Dokumentenerstellung automatisieren lässt. Technologisch ist dies deutlich simpler als beispielsweise der Einsatz künstlicher Intelligenz, vieles beruht auf der Auswahl bestimmter Variablen und ist über „Wenn-dann-Folgen“ verknüpft.

In den deutschen Büros der Großkanzlei wird die Lösung seit einigen Wochen genutzt, um Entwürfe für Kreditverträge in Teilen automatisiert und damit deutlich schneller als bisher zu erstellen. Dass der aufwendige Prozess so lange Zeit nur manuell erfolgte, liegt für Rechtsanwalt Bernhard Fiedler, der das Automatisierungsprojekt betreut, auch am Geschäftsmodell der Kanzleien: „Das Konzept der ‚billable hour‘ wirkt grundsätzlich nicht effizienzsteigernd“, räumt er ein.

„Bei Kreditverträgen sind Gebührenobergrenzen üblich.“

Bernhard Fiedler, Norton Rose Fulbright

Doch der Druck steigt: „Wir sehen, dass auch Wettbewerber sich mit Automatisierung intensiver beschäftigen. Bei Kreditverträgen beispielsweise sind inzwischen Gebührenobergrenzen üblich, die nicht überschritten werden dürfen“, sagt Fiedler. Braucht der Anwalt länger, arbeitet er gratis – mehr Geld vom Mandanten gibt es dafür nicht. Das steigert in der Kanzleibranche das Interesse an effizienten Lösungen. 

Software für Anwälte wird intuitiver

Auch in der Nutzung hat sich manches getan. „An Dokumentenautomation arbeitet die Branche seit vielen Jahren, aber viele vorherige Lösungen waren wenig intuitiv. Die konnten nur IT-Experten pflegen, das machte Änderungen teuer und langwierig“, erinnert sich Fiedler. Bei Norton Rose Fulbrights neuer Lösung könne nun aber jeder Anwalt nach kurzer Einweisung die Software für die Vertragserstellung bedienen und auch Aktualisierungen im Tool eigenständig vornehmen.

Die Struktur für die automatisierte Erstellung eines Kreditvertrags haben die Anwälte selbst erarbeitet und Dutzende unterschiedliche Variablen eingepflegt, die über einen Fragebogen ausgewählt werden. Gibt es einen oder mehrere Kreditnehmer? Welche Covenants sind vereinbart? Entsprechend der Auswahl werden die Passagen im Dokument erstellt. Das spart viel Zeit: „Habe ich anstatt eines Kreditnehmers zwei, müssen im Schnitt an mehr als 300 Stellen im Kreditvertrag Formulierungen von Singular auf Plural geändert werden. Das geht nun mit einem Mausklick“, erklärt Fiedler.

Kosteneinsparungen von 50 Prozent

Trotzdem bleiben Kreditverträge komplex. Im Gegensatz zu manchen Standardverträgen lassen sie sich deshalb nach wie vor nicht vollautomatisiert erstellen. Auch künstliche Intelligenz würde an dieser Stelle nicht weiterhelfen. Individuelle Vereinbarungen müssen die Anwälte bei jeder Transaktion nach wie vor von Hand eintragen, gleiches gilt für bestimmte Begriffe oder Summen, die nur an wenigen Stellen im Vertrag vorkommen.

Der Einsatz von Automatisierungslösungen kann die Erstellung eines Vertragsentwurfs Fiedler zufolge dennoch um die Hälfte beschleunigen. „Wir können 80 Prozent des Inhalts in weniger als einer Stunde erstellen und sind beim gesamten Entwurf innerhalb eines Tages lieferfähig. Früher benötigten wir dafür zwei Tage.“ Angesichts der hohen Stundensätze, die für den Einsatz von Senior-Anwälten anfallen, sparen Mandanten schnell vierstellige Beträge.

Nur wenige Kanzleien haben Budget für Legal Tech

Ob einfache Automatisierungslösung oder komplexer Legal-Tech-Algorithmus – in allen Fällen bleiben die Anfangsinvestitionen für benötigte Software eine große Hürde, insbesondere für kleinere Kanzleien.

Der Juve-Umfrage zufolge wollen 64 Prozent der befragten 200 Sozietäten in den kommenden zwölf Monaten in Software investieren. Doch nur jede fünfte Kanzlei hat etwa speziell für Legal-Tech-Investitionen ein festes Budget einkalkuliert. Dieses liegt durchschnittlich bei 118.000 Euro. Die Spannbreite ist sehr groß: Am unteren Ende rangieren Investments von wenigen tausend Euro.

Das größte Einzelbudget könnte da schon einiges mehr in Bewegung setzen, es lag bei stolzen 3 Millionen Euro. Der Investitionsbedarf in neue Lösungen hat das Potential, in der Anwaltswelt für eine große Auslese zu sorgen.