Aktivistische Investoren erleben global gesehen aktuell harte Zeiten: Die Weltwirtschaft ist wegen der Coronavirus-Pandemie eingebrochen, die Märkte sind immer noch hochvolatil. Das macht es den Aktivisten schwer, mit Neuinvestments auskömmliche Renditen zu verdienen. Dementsprechend ist die Zahl der gestarteten Kampagnen im ersten Halbjahr 2020 um 10 Prozent im Vorjahresvergleich gesunken, wie der „Shareholder Activism“-Halbjahresbericht der US-Investmentbank Lazard zeigt. In diesem Zeitraum wurden weltweit 100 Kampagnen gestartet, während es im Vorjahr 107 waren.
Anders sieht es hingegen in Deutschland aus: Im ersten Halbjahr war kein anderes europäisches Land so stark von aktivistischen Kampagnen heimgesucht. Sieben Kampagnen wurden in diesem Zeitraum gegen deutsche Unternehmen gestartet. Nach Auswertungen von Lazard waren das dreimal so viele Kampagnen wie der Durchschnitt der vergangenen drei Jahre. Damit steht Deutschland in Europa zwar nur auf dem zweiten Platz hinter Großbritannien, das neun Kampagnen im ersten Halbjahr verzeichnete. Das klingt viel, allerdings lag die durchschnittliche Zahl der Kampagnen in UK in den vergangenen Jahren deutlich höher.
Aktivisten sind immer öfter langjährige Aktionäre
Woher rührt das Interesse an Deutschland? „Aktivisten richten ihre Kampagnen aktuell vermehrt gegen deutsche Unternehmen, weil die Politik die Pandemie hier besser in den Griff bekommen hat – und der Finanzmarkt weniger betroffen war“, sagt Richard Thomas, Leiter des Shareholder Advisory von Lazard in Europa. Das habe die negativen wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Krise eingedämmt – und mache die ohnehin schon attraktiven deutschen Unternehmen für Investoren noch spannender.
Ein prominentes Beispiel des vergangenen Monats: Mitte Juni setzte der US-Investor Cerberus die Commerzbank unter Druck, forderte einen radikalen Kurswechsel und Sitze im Aufsichtsrat. Rund einen Monat später verbuchte der Aktivist einen ersten Erfolg: CEO Martin Zielke und Aufsichtsratschef Stefan Schmittmann nahmen ihren Hut.
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Cerberus ist für die Commerzbank kein Unbekannter, die US-Amerikaner sind bereits seit rund drei Jahren bei den Frankfurtern beteiligt. Dass bestehende Investoren sich immer häufiger zu Wort melden, beobachtet auch Richard Thomas: „Die These, dass Aktivismus eine externe Gefahr ist, ist heute nicht mehr haltbar.“ Tatsächlich seien mittlerweile fast 70 Prozent aller Kampagnen auf Investoren zurückzuführen, die im Durchschnitt deutlich länger als ein Jahr an dem entsprechenden Unternehmen beteiligt sind, erklärt Thomas. „Wenn sich nichts ändert, wollen sie ihrer Frustration nun öffentlich Gehör verschaffen.“
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Aktivisten attackieren Management und Strategie
Der Fall Cerberus/Commerzbank deutet zudem auf eine neuere Entwicklung bei aktivistischen Kampagnen hin: „Aktivistische Investoren adressieren wieder häufiger Management- und Strategiethemen“. Das seien Motive, die insbesondere in Krisenzeiten wie jetzt mit Corona an Bedeutung gewinnen und nicht aufgeschoben werden könnten, so Thomas. „Aktivistische Angriffe auf Unternehmensführungen machten in Deutschland im ersten Halbjahr 2020 mehr als zwei Drittel der gesamten Attacken aus.“
Damit hat sich der Fokus der Kampagnen in den vergangenen Monaten deutlich verschoben: Noch vor rund einem Jahr waren mehr als die Hälfte der aktivistischen Kampagnen M&A-getrieben. Aktuell sind es nur noch gut ein Drittel. Der Grund für diesen Shift: „Aktivisten, die etwa nach Konzernabspaltungen oder höheren Renditen aufbegehren, haben es in der aktuellen Lage schwer, mit diesen Themen Mitaktionäre auf ihre Seite zu ziehen“, so Thomas. Zudem liegt der M&A-Markt seit der Coronakrise generell am Boden.
Private Equity – die nächste Generation der Aktivisten?
Interessanterweise ist die Kampagne gegen die Commerzbank auch ein Beispiel für eine weitere langfristige Entwicklung im Shareholder Activism, glaubt man Lazard. „Private-Equity-Investoren verhalten sich zunehmend wie aktivistische Investoren“, leitet Thomas ein. „Das rührt daher, dass Aktivisten angefangen haben, sich mit Private Equity zu verbünden, um ihre Ziele durchzusetzen.“ Das wiederum habe dazu geführt, dass Private-Equity-Gesellschaften auch im Alleingang Kampagnen eingeleitet hätten, bisher vornehmlich in den USA. Thomas glaubt aber, dass dieser Trend auch in Deutschland kommen kann.
Insgesamt rechnet der Investmentbanker damit, dass sich das Verhalten von aktivistischen Investoren nach dem Ende der Coronakrise wieder verändern wird. „Wenn die drängenden Managementthemen vom Tisch sind, rücken Portfoliooptimierungen bei Unternehmen wieder in den Fokus der Kampagnen“, schätzt Thomas. Diese Entwicklung dürfte sich dem Berater zufolge ab dem Herbst durchschlagen.
„Ab dem Herbst werden einige aktivistische Kampagnen auf Deutschland zukommen.“
Dass die breite Öffentlichkeit von den neuen Kampagnen viel mitbekommen wird, ist nicht zu erwarten. „Derzeit kommen auf einen öffentlichen Angriff etwa drei private Kampagnen“, berichtet Thomas, der glaubt, dass das vor allem daran liegt, dass es derzeit so wenige öffentliche Kampagnen gibt. „Aber da wird demnächst einiges auf uns zukommen“, ist er sich sicher.
Info
Aktivisten wie Cevian oder Elliott werden auch in Deutschland immer stärker. Wen sie im Visier haben, erfahren Sie auf der FINANCE-Themenseite aktivistische Investoren.
Olivia Harder ist Redakteurin bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Private-Equity- und M&A-Geschäft. Sie hat Philosophie, Politikwissenschaften, Soziologie und Geographie an der Justus-Liebig-Universität in Gießen studiert, wo sie auch einen Lehrauftrag innehatte. Vor FINANCE arbeitete Olivia Harder in den Redaktionen mehrerer Wochen- und Tageszeitungen, unter anderem beim Gießener Anzeiger.