In wenigen Monaten tritt der neue Standard IFRS 15, der die Bilanzierung von Erlösen regelt, in Kraft. Für viele Unternehmen ist die Umstellung an Mammutprojekt, immerhin regelt der neue Standard die Bilanzierung einer der wichtigsten Zahlen: des Umsatzes. Umso überraschender war es, dass sich viele Unternehmen noch nicht ausreichend mit dem Thema befasst hatten: In den Jahresabschlüssen 2016 sowie im Bericht zum 1. Quartal 2017 hatten nur 10 von 88 Unternehmen quantitative Aussagen zu den Auswirkungen von IFRS 15 gemacht, ermittelten vor wenigen Monaten die Wirtschaftsprüfer von BDO. Zu ähnlichen Ergebnissen kam auch eine Untersuchung von PwC.
Das ändert sich jetzt endlich: Eine erneute Analyse von PwC auf Basis der Halbjahresberichte 2017 von 94 börsennotierten Unternehmen, die schon im April erstmals analysiert worden waren, ergibt deutliche Fortschritte im Umgang mit IFRS 15, wenn auch ausgehend von einem niedrigen Niveau. Demnach macht inzwischen zumindest rund jedes zweite Unternehmen auch in seinem Halbjahresbericht explizite Angaben zum neuen Bilanzstandard. Bei 54 Prozent dieser Unternehmen konstatiert PwC „merkliche Fortschritte“ im Vergleich zum Geschäftsbericht 2016.
„Das ist zwar noch nicht der Stand, den wir uns erhofft hätten. Allerdings ist deutlich zu erkennen, dass immer mehr Unternehmen die Schlagzahl erhöhen. Vor einem halben Jahr sah es noch so aus, als würde der neue Bilanzstandard von vielen Gesellschaften regelrecht verschlafen“, sagt Christoph Gruss, Partner für Capital Markets & Accounting Advisory Services bei PwC in Deutschland.
RWE präzisiert Angaben zu IFRS 15
Während in den untersuchten Konzernabschlüssen zum Geschäftsjahr 2016 noch keine genauen quantitativen Angaben enthalten waren, finden sich diese inzwischen in zumindest 7 Prozent der Halbjahresberichte. Die Deutsche Telekom, die schon früh begonnen hat, sich mit IFRS 15 zu beschäftigen, zählt zu den Unternehmen, die bereits quantitative Angaben machen können: Der Telekommunikationskonzern erwartet aus der Umstellung „einen in den Gewinnrücklagen zu erfassenden erhöhenden kumulierten Effekt vor Berücksichtigung latenter Steuern von 3 bis 4 Milliarden Euro“, heißt es im Zwischenbericht zum ersten Halbjahr 2017.
Zwar sind derart konkrete Angaben noch selten, insgesamt aber werden die Informationen detaillierter, konstatiert PwC. So äußerten sich die Unternehmen häufiger zu den Auswirkungen von IFRS 15 auf interne Steuerungsgrößen und auf einzelne Segmente.
Drei Unternehmen haben aufgrund neuer Erkenntnisse ihre Angaben aus dem Geschäftsbericht 2016 überarbeitet und präzisiert, darunter der Energiekonzern RWE. Demnach werde für Deutschland eine Verringerung der Umsatzerlöse und des Materialaufwands der Netzsparte im Segment Innogy um rund 2,5 Milliarden Euro erwartet, schreibt der Energiekonzern im Halbjahresbericht.
Viele Unternehmen kennen Auswirkungen von IFRS 15 nicht
Allen Fortschritten zum Trotz: Wahre IFRS-15-Experten finden sich in der Unternehmenslandschaft bislang nicht. PwC unterteilt die analysierten Unternehmen in acht Phasen, von Phase eins (fachliche Analyse nicht begonnen, Systemauswirkungen nicht bekannt) bis Phase acht (Fachliche Analyse und Systemimplementierung abgeschlossen). Das ernüchternde Ergebnis: in den Phasen sieben und acht verorten die Berater derzeit keines der betrachteten Unternehmen, lediglich 5 Prozent der Konzerne erreichen die Stufen fünf und sechs. Sie haben zumindest die fachliche Analyse abgeschlossen.
Gestiegen ist der Anteil der börsennotierten Unternehmen, die sich ins Mittelfeld auf die Stufen drei und vier vorgearbeitet haben. Nach wie vor aber liegt jeder zweite Konzern beim Analysefortschritt zu IFRS 15 auf Stufe zwei, hat also mit der fachlichen Analyse begonnen, kann aber noch keine Einschätzung zu den Systemauswirkungen machen.
IFRS 15 wird Prüfungsschwerpunkt der DPR
Die Defizite schnell aufzuholen, wird für die Unternehmen entscheidend sein. Denn die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) hat die Anhangangaben zur Anwendung der neuen Bilanzstandards zu einem ihrer Prüfungsschwerpunkte für das laufende Geschäftsjahr 2017 gemacht – obwohl IFRS 15 offiziell erst zum 1. Januar 2018 in Kraft tritt.
Die europäische Finanzmarktaufsicht Esma hat bereits im vergangenen Jahr deutlich gemacht, dass sie von den Unternehmen auch in den Abschlüssen für die Geschäftsjahre 2016 und 2017 konkretere Angaben zu den Folgen der neuen Bilanzierungsstandards sehen möchte. PwC-Partner Gruss mahnt Unternehmen dazu, das Tempo in den verbleibenden Monaten bis zur Einführung von IFRS 15 noch einmal zu steigern. „Ohne Schlussspurt wird es für die meisten Unternehmen nicht reichen – speziell, was die IT-Umsetzung betrifft“, warnt er.
Info
Welche Neuerungen es bei den Bilanzierungsregeln aktuell gibt und wie die betroffenen Unternehmen damit umgehen, lesen Sie auf unsere FINANCE-Themenseite zu IFRS.