In London haben nicht nur viele internationale Banken ihren Europa-Sitz, sondern auch die großen Ratingagenturen S&P, Moody’s und Fitch. Doch während die Geldhäuser bereits seit Monaten Umzugspläne für den Brexit schmieden und Aktivitäten aus der City auf den Kontinent verlagern, haben sich die Bonitätswächter damit bislang zurückgehalten.
Das dürfte sich nun ändern. Grund dafür sind die vor wenigen Tagen veröffentlichten strengeren Vorgaben der EU-Wertpapieraufsicht Esma. Die Behörde verlangt künftig von den Ratingagenturen deutlich umfassendere Nachweise, wenn diese in Drittstaaten erteilte Bonitätseinstufungen bestätigen und damit für den EU-Markt gültig machen („Endorsement“). Die verschärften Vorgaben werden im Januar 2019 wirksam – und damit zwei Monate, bevor Großbritannien aus der EU ausscheiden soll.
Die Esma macht damit ernst mit ihren Ankündigungen: Behördenchef Steven Maijoor hatte bereits vor zwei Monaten an die drei großen Ratingagenturen appelliert, sie sollten sicherstellen, nach einem Brexit eine „ausreichende“ Präsenz von Top-Managern, Kontroll- und Compliance-Systemen in der EU zu haben. Die neuen Richtlinien geben Maijoor nun ein Mittel in die Hand, diese Aufforderung auch durchzudrücken.
CFOs sollten Ratingregulierung beachten
Die Regulierung von Ratingagenturen betrifft zwar primär die Agenturen selbst, Investoren und Emittenten sollten aber genau hinschauen. Denn grundsätzlich gilt: Nur wenn eine Ratingagentur von der Esma anerkannt ist, dürfen Banken oder andere regulierte Marktteilnehmer diese Kreditbewertungen nutzen, um die aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu erfüllen. Ratings sind etwa ausschlaggebend dafür, wie viel Kapital die Banken für eine bestimmte Transaktion hinterlegen müssen. Damit wird die Ratingregulierung auch für CFOs relevant.
Das Problem: Ratingagenturen benötigen im Normalfall einen Sitz in der EU, um sich bei der Esma registrieren lassen zu können. Wenn Großbritannien im März 2019 also planmäßig aus der EU ausscheidet, besteht die Gefahr, dass europäische Investoren britische Ratings nicht mehr verwenden dürfen, warnte jüngst das Deutsche Aktieninstitut (DAI). Der Verband, der die Interessen kapitalmarktorientierter Unternehmen vertritt, fordert deshalb Übergangsregeln, damit die einzelnen Ratingagenturen „ausreichend Zeit für die Umstrukturierung“ haben.
Das Deutsche Aktieninstitut warnt: Nach dem Brexit können europäische Investoren britische Ratings womöglich nicht mehr für regulatorische Zwecke verwenden.
Was bedeutet der Brexit für britische Ratings?
Zurzeit gibt es zwei Ausnahmen von der Regelung: Zum einen können sich Ratingagenturen in Drittstaaten unter Umständen ebenfalls von der Esma zertifizieren lassen. Voraussetzung dafür ist allerdings dem DAI zufolge, dass die EU-Kommission den Rechts- und Aufsichtsrahmen des Drittstaates für Ratingagenturen als äquivalent zu den EU-Vorgaben anerkennt und eine Kooperationsvereinbarung zwischen den zuständigen Behörden besteht. Doch die Brexit-Verhandlungen stocken. Daher ist kaum noch damit zu rechnen, dass eine solche Vereinbarung rechtzeitig vor März 2019 geschlossen wird.
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Die zweite Variante ist das sogenannte Endorsement. Dieses Regime erlaubt es EU-Ratingagenturen, die Bonitätseinschätzungen von Agenturen aus Drittstaaten zu übernehmen. Mit dieser Regelung übertragen heute die drei großen angelsächsischen Agenturen beispielsweise ihre von US-Analysten erstellten Kreditbewertungen auch in die EU. Ohne Endorsement müssten dagegen viele Ratings doppelt erstellt werden.
Wie wichtig dieses Regime für den europäischen Ratingmarkt ist, zeigen Daten der Esma: Demnach werden aktuell mehr als zwei Drittel der Kreditbewertungen, die EU-Marktteilnehmer für regulatorische Zwecke nutzen, über das Endorsement-Regime in die EU eingeführt. Mit dem Brexit dürfte die Zahl noch einmal deutlich steigen.
Esma verschärft Vorgaben für Rating-Endorsement
Die schlechte Nachricht für die Ratingagenturen: Die Esma hat ihre Anforderungen jetzt noch einmal verschärft. Agenturen, die ein Drittstaatenrating übernehmen, müssen künftig nachweisen, dass diese Bewertung die Anforderungen der EU erfüllt. Außerdem müsse es eine „sachliche Begründung“ dafür geben, warum ein Rating außerhalb der EU angefertigt werden müsse.
Bislang beziehen sich Endorsements nahezu ausschließlich auf Ratings von Nicht-EU-Emittenten und Finanzinstrumenten. In diesen Fällen dürfte die Herleitung einfach sein. Wenn ein deutsches Unternehmen jedoch von einem Analysten in Großbritannien geratet wird, dürfte den Agenturen diese Erklärung schon schwerer fallen.
Darüber hinaus stellt die Esma klar, dass sich die Behörde auch für in Drittstaaten erstellte Ratings zuständig fühlt: Man habe das Recht, Informationen zu übertragenen Ratings und den Drittstaatenagenturen anzufordern, heißt es. Damit greift die EU-Behörde künftig stark in interne Abläufe und organisatorische Aufstellungen der Ratingagenturen ein.
S&P, Moody’s und Fitch unter Druck
Ob und wie viele Jobs die Ratingagenturen aus der Londoner City auf den Kontinent verlagern müssen, ist noch unklar. Von den großen drei Agenturen hieß es zunächst, man prüfe die neuen Vorgaben der Esma.
S&P unterhält sechs Büros in EU-Ländern, unter anderem in Frankfurt und München. Der EU-aufsichtsrechtlichen Hauptsitz befindet sich derzeit aber in London. In Italien und Frankreich verfügt die Agentur ebenfalls über bei der Esma registrierte Gesellschaften. Moody’s und Fitch wiederum unterhalten jeweils eine eigene Deutschland GmbH. Die Deutschlandgesellschaften sind beide von der Esma zertifiziert.
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