Wer an den Weihnachtsmann glaubt, sollte unbedingt in Mittelstandsanleihen investieren. Den etwas reiferen Investoren kann man leider eigentlich nur noch zurufen: „Take your money and run!“ Die Vorstände vieler Mini-Bondemittenten machen das ja auch.
Die Entwicklung ist jedenfalls beschämend: Dass es am Mini-Bondmarkt drunter und drüber geht und das Segment mehr Halbtote angezogen hat als der letzte Musikantenstadl mit Karl Moik, weiß man ja schon länger. Seit drei Jahren folgt Pleite auf Pleite, inzwischen ist mehr als jeder fünfte Mini-Bond-Emittent ausgefallen – eine Ausfallrate wie am OTC-Markt einer westafrikanischen Bananenrepublik.
Doch wer – wir zum Beispiel – Anfang dieses Jahres gedacht hat, dass es schlimmer jetzt nicht mehr kommen kann, hat sich geirrt. Zwar kommen die Ausfälle nicht mehr in ganz so hoher Frequenz wie noch 2014 und 2015, aber die Umstände der Pleiten werden immer abgründiger. Das Mini-Bondsegment etabliert einen neuen traurigen Marktstandard: Vor jedem Absturz kommt die Lüge.
Die Lügenbarone von Siegfried Hofreiter
Beispiele gefällig? Das Management stellte German Pellets – mit Gesamtverbindlichkeiten von 422 Millionen Euro im Februar explodiert – jahrelang als Premium-Emittenten dar, dementierte über ein halbes Jahr hinweg offensichtliche Finanzierungsprobleme und hinterließ den Insolvenzverwaltern eine ausgebrannte Firma mit einem Kassenbestand von ein paar tausend Euro.
Siegfried Hofreiter, erfahrener Pleitier, Landwirt, Chef von KTG Agrar und Liebling des Mini-Bondmarkts, ließ im Juni den Termin für die Zinszahlung verstreichen, kündigte eine schnelle Nachzahlung an und ließ seinen langjährigen Sprecher Fabian Lorenz unentwegt Lügen und Verharmlosungen verbreiten. Diese ließen viele Anleger und Medienvertreter selbst dann noch an einen möglichen Turnaround glauben, als sich im Hintergrund schon die Staatsanwälte in Stellung brachten. Die Bondholder werden über 340 Millionen Euro verlieren.
Olivier Wöhrl wiegt seine Investoren in falscher Sicherheit
Fast sogar noch dreister war das Verhalten der Tochterfirma KTG Energie, deren Chef Christian Heck Produktionsprobleme – wieder über Lorenz – frech verleugnen ließ, obwohl interne Daten die Schwierigkeiten glasklar belegten. Mehr als eine Woche ging ins Land, bis FINANCE-Fotos von leeren Vorratslagern die Lüge aufdeckten. Damit konfrontiert, gestand das Unternehmen die Falschaussage ein. Der breite Markt wurde aber erst fast eine Woche später informiert. Viel Zeit, in der Anleger im Vertrauen auf die Managementaussagen noch KTG-Energie-Aktien und –Bonds kauften. Vor wenigen Minuten stellte KTG Energie Insolvenzantrag. Jede Wette: Manchen wird das überrascht haben.
Bei KTG Energie manipulierten die KTG-Manager und ihre willfährigen Erfüllungsgehilfen die Kurse einer Anleihe im Wert von 50 Millionen Euro. Um solche Schäden zu verursachen wie die Manager und PR-Strategen der KTG-Gruppe, müssen gewöhnliche Kriminelle viele Tankstellen und Juweliergeschäfte überfallen.
Und genau so ging es weiter: Noch im Frühjahr versicherte Olivier Wöhrl, Chef der Modefirma Wöhrl, der Kurseinbruch der Anleihe sei auf die Marktumstände zurückzuführen. Anfang September flüchtete Wöhrl sich dann in den Gläubigerschutz. Schaden für die Bondholder: bis zu 30 Millionen Euro. Schon lange verkauft hatten die, die schon vorher etwas gewusst hatten.
Und auch gestern war wieder ein schwarzer Tag für alle Träumer und Optimisten. Die dubiose Finanzfirma Enterprise Holdings flüchtet sich ebenfalls unter den Schutzschirm und bedient den Kupon nicht. Noch am 25. August hatte das Management treuherzig über eine Pflichtmitteilung versprochen, die Gelder für die Zinszahlungen seien auf einem Sonderkonto hinterlegt. Wer’s geglaubt hat, schaut jetzt in die Röhre.
Die Lügerei kann Millionen wert sein
In Würde untergehen? Vielen Mini-Bond-Emittenten ist dieser Imperativ völlig fremd. Stattdessen lautet die Devise: Lasst uns die Kuh melken, solange sie noch einen Tropfen Milch gibt! Und da immer noch viele Glücksritter, Zocker und Freizeit-Anleger ihr Heil in Mittelstandsanleihen suchen, geht diese zynische Strategie in den meisten Fällen sogar auf.
Besonders schlimm: Die Lügerei kann Millionen wert sein. Wer weiß schon, was Hofreiter und seine Spießgesellen in den vier Wochen zwischen ausgefallenem Zinstermin und Insolvenzantrag gemacht haben? Die Behörden bemühen sich, es herauszufinden. Spuren verwischen ist noch das geringste Delikt, das einem in den Sinn kommt. Dienstleister, die solchen Leuten wie Hofreiter mit ihren Falschaussagen, Beschwichtigungen und gekonnten „Spins“ bei wohlgesonnenen Medien Zeit verschaffen, machen sich zu Komplizen. Rechtlich zu befürchten haben sie freilich nichts, das deutsche Kapitalmarktrecht ist ein stumpfes Schwert.
Die Kapitalmarktkultur geht den Bach runter
Das ist bitter, denn das höhlt alles aus, für das es wert ist, kritisch nachzufragen und sauber zu recherchieren. Es gibt herausragende Gründe für die Unschuldsvermutung: Sie ist die zentrale Säule unseres Rechtsstaats. Wer sich ihrer bemächtigt, um Anleger und Öffentlichkeit in die Irre zu führen, vergeht sich nicht nur an der Kapitalmarktkultur und dem Geld seiner Investoren, sondern auch am Gemeinwesen.
Es ist traurig, dass das Recht die Lügner bei ihren Aktivitäten sogar noch schützt. Hätte zum Beispiel FINANCE als Finanzmedium im Vorfeld den Verdacht klar in den Raum gestellt, den viele Mitglieder unserer Redaktion hegten – nämlich dass es sich bei German Pellets und KTG Agrar um betrügerische Geschäftsmodelle handeln könnte – hätten die Mega-Pleitiers Peter Leibold und Siegfried Hofreiter diese Redaktion mit Klagen, Unterlassungserklärungen und Gegendarstellungen überziehen können. Die kritischen Texte wären dann auf Nimmerwiedersehen aus dem Gedächtnis des Internets gelöscht worden.
Wo diese fehlende Waffengleichheit hinführt: Die skeptischen Journalisten überschreiten die fragile Grenze zwischen kritischer Distanz und Misstrauen und nehmen alle Emittenten in Sippenhaft – jede schlechte Nachricht wird als Hinweis auf ein betrügerisches System gedeutet. Parallel dazu richten die dem Marktsegment gewogenen Autoren ihren Frust nicht nur gegen die Pleite-Emittenten, sondern auch gegen ihre Kollegen, die mit Negativberichten vorgeblich nur Klicks und Aufmerksamkeit erzeugen wollen. So entsteht Lagerdenken, wo vorher einfach nur alle Kollegen nach bestem Wissen und Gewissen ihren Job gemacht haben.
Das ist der vielleicht größte Kollateralschaden der Lügerei: Sie vergiftet den Diskurs und die Kapitalmarktkultur. Sie sät Hass und Misstrauen. Am Mini-Bondmarkt glaubt bald niemand mehr dem anderen. Frontgräben, wohin man schaut. Die guten Sitten in dem Segment sind im Kern verrottet, und Woche für Woche diskrediert dies den Markt mehr. Das ist das Vermächtnis einiger Weniger. Verlierer sind alle.
Info
Die wildesten Geschichten zum Nachlesen, zum Beispiel auf unseren FINANCE-Themenseiten zu Mittelstandsanleihen, zu German Pellets und zu KTG Agrar.