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Schock für EY und Aktionäre: Gericht erklärt Wirecard-Bilanzen für nichtig

Das Münchener Landgericht hat die Bilanzen von Wirecard für die Jahre 2017 und 2018 für nichtig erklärt. Foto: Wirestock - stock.adobe.com
Das Münchener Landgericht hat die Bilanzen von Wirecard für die Jahre 2017 und 2018 für nichtig erklärt. Foto: Wirestock - stock.adobe.com

Gute Nachrichten für den Wirecard-Insolvenzverwalter Michael Jaffé, schlechte für die Aktionäre: Das Landgericht München hat die Jahresabschlüsse des insolventen Zahlungsdienstleisters Wirecard für die Jahre 2017 und 2018 am heutigen Donnerstagvormittag für nichtig erklärt. Gleiches gilt auch für die dazugehörigen Dividendenbeschlüsse der jeweiligen Jahreshauptversammlung.

Das Gericht war zu der Erkenntnis gelangt, dass beide Bilanzen falsch sind. Grundlage der entsprechenden Klage durch Insolvenzverwalter Jaffé waren die mutmaßlichen Scheinbuchungen, mit denen Manager von Wirecard die Bilanzen des insolventen Zahlungsdienstleisters künstlich aufgebläht hatten.

Jaffé kann Dividenden und Steuern zurückfordern

Für die damaligen Aktionäre von Wirecard ist das Urteil ein Schock, denn nun könnte Insolvenzverwalter Jaffé die Dividenden für beide Jahre zurückfordern – insgesamt 47 Millionen Euro. Gleiches gilt für die Steuerzahlungen an den Fiskus, die Wirecard in diesen beiden Jahren geleistet hatte. Geld, das auf diesem Weg zusammenkäme, würde in die Insolvenzmasse fließen, deren Maximierung zu den wichtigsten Aufgaben eines Insolvenzverwalters zählt.

Fraglich dürfte jedoch sein, ob auf diesem Wege tatsächlich viel zu holen wäre. So dürfte die tatsächliche Rückforderung der Dividenden einen immensen Aufwand bedeuten und darüber hinaus Jahre dauern – die meisten Aktionäre dürften sich schlichtweg weigern, das Geld zurückzubezahlen. Zudem sind die im Raum stehenden Summen gering im Vergleich zu den angemeldeten Forderungen der Wirecard-Gläubiger, die sich auf rund 16 Milliarden Euro summieren.

„Das Urteil bringt den vormaligen Wirecard-Aktionären zwar vordergründig Nachteile, denn Insolvenzverwalter Jaffé wird versuchen, auf dieser Grundlage Dividendenzahlungen der Vergangenheit zur Masse zurückzufordern“, erläutert Rechtsanwalt Wolfgang Schirp, dessen Kanzlei Schirp & Partner ehemalige Wirecard-Anleger vertritt. „Andererseits bestätigt das Urteil massive Fehlleistungen von EY und ist damit Rückenwind für unsere Klagen. Gerade angesichts der Tatsache, dass seit einem Monat erstmals Prozessfinanzierung für Einzelklagen zur Verfügung steht, ist damit zu rechnen, dass die Klagewelle gegen EY stark ansteigt“, so Schirp.

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EY muss wegen Klagen zittern

Somit wird die die Luft durch die Entscheidung der Münchener Richter für Wirtschaftsprüfer EY deutlich dünner. Das Big-Four-Haus hatte zehn Jahre lang die Bilanzen von Wirecard uneingeschränkt testiert – auch die beiden, die das Gericht nun annuliert hat. Die Nichtigkeitsentscheidung für die Jahresabschlüsse 2017 und 2018 dürfte die Chancen von Schadensersatzklagen gegen EY erhöhen. Und es sind nicht nur geprellte Anleger und Gläubiger, die EY juristisch ins Visier nehmen (von ihnen liegen bereits rund 1.000 Klagen gegen das Big-Four-Haus vor) – auch Jaffé erwägt, EY zu verklagen.

In den beiden Jahresabschlüsse für 2017 und 2018 hatte Wirecard Gewinne von zusammen mehr als 600 Millionen Euro ausgewiesen, die es nach den Ermittlungen der Münchener Staatsanwälte jedoch niemals gegeben hat. Beide Jahresabschlüsse sind daher aus Sicht des Gerichts nichtig, da Wirecard gegen die Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung verstoßen habe.

Dabei sei es für die Entscheidung des Gerichts laut dem Vorsitzenden Richter Helmut Krenek letztlich unerheblich, ob die insgesamt fehlenden 1,9 Milliarden Euro, um die es im Fall Wirecard geht, nie existiert oder lediglich auf anderen Konten gelegen haben, wie Ex-Wirecard CEO Markus Braun vermutet.

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Gegen Braun, der seit rund zwei Jahren in Untersuchungshaft sitzt, hatte die Staatsanwaltschaft im März Anklage wegen Betrugs, Untreue und Bilanzfälschung erhoben. Auch gegen andere ehemalige Top-Manager von Wirecard wird noch ermittelt. Zudem hatte die Staatsanwaltschaft Mitte April von Russland die Auslieferung des gesuchten Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek gefordert, der Berichten zufolge in einem Versteck des russischen Geheimdienstes FSB in Moskau leben soll.

thomas.holzamer[at]finance-magazin.de

Thomas Holzamer ist Redakteur bei FINANCE und verfolgt schwerpunktmäßig die aktuellen Entwicklungen im Banken-Sektor, speziell das Firmenkundengeschäft. Er hat Politikwissenschaften an der Technischen Universität Darmstadt studiert. Vor FINANCE arbeitete Thomas Holzamer mehr als 12 Jahre in den Redaktionen der Mediengruppe Offenbach-Post, zunächst als verantwortlicher Redakteur für Sonderpublikationen, später im Lokalen.

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