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Die drei meistgenutzten ausländischen Sanierungsverfahren

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In Krisenzeiten ist die Suche nach effektiven Restrukturierungsmöglichkeiten entscheidend. Dabei wenden sich viele ab von deutschen, hin zu international erprobten Verfahren. Foto: freshidea – stock.adobe.com
In Krisenzeiten ist die Suche nach effektiven Restrukturierungsmöglichkeiten entscheidend. Dabei wenden sich viele ab von deutschen, hin zu international erprobten Verfahren. Foto: freshidea – stock.adobe.com

In Krisensituationen suchen Unternehmen stets nach dem funktionalsten Weg, sich zu restrukturieren. Jedes Instrumentarium, das aus der Krise hilft, ist daher willkommen. Dabei gilt der deutsche Werkzeugkasten unter Unternehmen und ihren Beratern häufig als nicht ausreichend belastbar, wie eine FINANCE-Recherche ergab.

Zwar hat auch Deutschland mit dem Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (Starug) vor drei Jahren endlich den Restrukturierungsweg eingeschlagen, den Länder wie Großbritannien bereits viele Jahre erfolgreich beschreiten. Dennoch sind die ausländischen Verfahren oft attraktiver für viele Unternehmen.

Das SoA öffnete sich mit Tele Columbus für Deutschland

Das wohl bekannteste ausländische Sanierungskonzept ist das britische Scheme of Arrangement (SoA), im Prinzip der Vorgänger des Starug. Allerdings ist das SoA in seiner ersten Form bereits seit 1870 erprobt und wird von wirtschaftserfahrenen Richtern am High Court of Justice angewendet, wodurch es im Markt hohe Anerkennung genießt.

Dr. Stefan Sax, Managing Partner und Leiter der deutschen Restrukturierungs- und Insolvenzpraxisgruppe bei Clifford Chance, gewährt einen Einblick, wie das englische SoA Einzug in deutsche Unternehmen hielt: „Vor der Einführung des Starug im Jahr 2021 konnten in Deutschland Restrukturierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens nur mit der Zustimmung aller betroffenen Gläubiger erfolgreich umgesetzt werden. Einen Mechanismus, mit dem die Mehrheit die Minderheit überstimmen konnte, gab es nur innerhalb des Insolvenzverfahrens.”

„Finanzinvestoren haben sich ihr Veto für eine Restrukturierung teuer abkaufen lassen.“

Stefan Sax, Restrukturierungsexperte und Managing Partner bei Clifford Chance

Dies führte dazu, dass es eine Art Geschäftsmodell – vornehmlich von Finanzinvestoren – gegeben habe, gezielt ihr Veto gegen objektiv sinnvolle Sanierungsmaßnahmen deutscher Unternehmen einzulegen, die einen einheitlichen Beschluss erforderten, erklärt Sax weiter. „Zweck dieser, zunächst, fehlenden Mitwirkung war, sich diese von den anderen (sanierungswilligen) Stakeholdern teuer abkaufen zu lassen.“

Ab 2012 wurden die ersten deutschen Gesellschaften mit der Hilfe eines englischen SoA restrukturiert, und dies ohne Verlagerung des sogenannten Centre of Main Interest. Die Restrukturierungen von Tele Columbus, Rodenstock (beide in 2012) und APCO (in 2015) waren die ersten Fälle, in denen sich die englischen Gerichte auch für deutsche Unternehmen für zuständig erklärt haben, wenn ein ausreichender Rechtsbezug zu England besteht. Dies wurde etwa dann angenommen, wenn die Finanzierungsverträge englischem Recht unterlagen und die Zuständigkeit bei den englischen Gerichten lag.

Somit stand auf einmal auch deutschen Unternehmen eine Restrukturierung außerhalb eines Insolvenzverfahrens auf Mehrheitsbasis offen. Der Aufruhr gegen diese Sanierungsmöglichkeit deutscher Unternehmen in England war – insbesondere vonseiten deutscher Insolvenzverwalter – erst einmal gewaltig, wie der Rechtsanwalt berichtet.

Das SoA ist eher ein Insolvenzverfahren

Das SoA zielt darauf ab, Verbindlichkeiten zu restrukturieren und eine Insolvenz des Schuldners durch einen gerichtlich genehmigten Vergleich zu verhindern. Es wird also ein beliebig gestaltbarer Vergleichsplan zwischen einem Unternehmen und seinen Gläubigern oder Gläubigergruppen geschlossen. Wie beim Starug ist eine Mehrheit von 75 Prozent der jeweiligen Gläubigergruppe erforderlich, erläutert Sax. Der Ablauf des SoA wird vom High Court überwacht und ist nach der gerichtlichen Genehmigung für alle Beteiligten verbindlich.

Wie beim Starug können im englischen SoA die Minderheitsgläubiger auch ohne ihre Zustimmung zur Anpassung ihrer Rechte gezwungen werden. „Das englische Scheme of Arrangement ist ein Vertrag zwischen den Gläubigern, es gibt jedoch kein Moratorium wie im Starug“, so Sax, der eigenen Angaben zufolge mehr Zeit in englischen Gerichten als in deutschen verbracht hat.

Stefan Sax ist Insolvenzrechtsexperte und Managing Partner der Kanzlei Clifford Chance. Foto: Clifford Chance

Bei einem SoA müssen in jeder Gruppe 75 Prozent Zustimmung gegeben sein, beim Starug kann unter gewissen Voraussetzungen ein gruppenübergreifendes Niederstimmen umgesetzt werden. „Ein Beispiel dafür bietet die erfolgreiche Restrukturierung von Leoni im letzten Jahr: Die Gruppe der Altaktionäre stimmte gegen den Restrukturierungsplan, doch das Restrukturierungsgericht hat sie im Wege des „Cross-Class Cram Down“ überstimmt beziehungsweise die fehlende Zustimmung ersetzt. Bei einer Insolvenz hätten die Aktionäre selbstverständlich auch nichts bekommen“, so Sax.

Der Mechanismus des Niederstimmens ist allerdings 2020 im überarbeiteten englischen Restructuring Plan eingefügt worden, um europaweit kompetitiv zu sein. Dennoch bleibt der britische Restructuring Plan mehr ein Insolvenzverfahren.

Whoa: Starug-Pendant mit Benefit

Viel beachtet im internationalen Restrukturierungsmarkt ist neben dem SoA das Whoa. Das niederländische Sanierungsverfahren Whoa (Wet homologatie onderhands akkoord) kann genutzt werden, wenn etwa deutsche Unternehmen einen Rechtsbezug in die Niederlande haben. Es setzt wie das Starug auf eine geringe gerichtliche Beteiligung. Das Gericht soll lediglich den Restrukturierungsplan bestätigen.

Stefan Sax sieht im Markt mehrheitlich eher kleinere und mittelständische Unternehmen, die sich mit Hilfe des niederländischen Whoa zu restrukturieren versuchen. Derzeit gebe es schon mehr als 250 veröffentlichte Urteile in den Niederlanden. Allerdings gebe es nunmehr auch große, internationale Restrukturierungsfälle, bei denen das niederländische Whoa mit anderen internationalen Verfahren kombiniert werde, so der Restrukturierungsexperte.

„Der weltweit agierende Hersteller von Bankautomaten Diebold/Nixdorf hatte aufgrund wesentlicher Geschäftsbereiche in den Niederlanden das Whoa mit dem US-amerikanischen Chapter 11 Insolvenzverfahren kombiniert. Hier spielte besonders das Thema der Anerkennung des US-Chapter-11-Verfahrens in den Niederlanden eine wesentliche Rolle“, weiß Sax.

„Ziel des Chapter 11 ist die Fortführung des Unternehmens“

Stefan Sax, Insolvenzrechtler und Managing Partner bei Clifford Chance

Die Diebold-Gruppe musste 2023 ihre Finanzen stabilisieren. Mit der Kombination der Restrukturierungspläne konnte sie sowohl die amerikanischen als auch die europäischen Gläubiger bedienen. Die Pläne waren eng miteinander verbunden: Die Gläubiger konnten nur für oder gegen beide stimmen, und ihr Erfolg war eine Vorbedingung für die gesamte Umstrukturierung. Gläubiger im Rahmen des Whoa-Plans erhielten keine Zahlung, jedoch im Rahmen des US-Plans. Erstmals erkannten die USA den Whoa-Plan als ausländisches Hauptverfahren an, was dessen Attraktivität für grenzüberschreitende Restrukturierungen erhöhte, erklärt das beteiligte Beratungshaus De Brauw Blackstone Westbroek.

Chapter 11 erfordert keine Zahlungsunfähigkeit

Das dritthäufigste internationale Restrukturierungsverfahren ist das bereits angesprochene Chapter 11. Dabei handelt es sich um ein Verfahren aus den USA, das dem deutschen Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung stark ähnelt. Auch bei einem Chapter-11-Verfahren geht es darum, ein Unternehmen in Eigenverwaltung zu sanieren. „Ziel des Chapter 11 ist die Fortführung des Unternehmens, nicht die Zerschlagung“, erklärt Sax.

Anders als in Deutschland könne man das Verfahren in den USA auch ohne drohende Zahlungsunfähigkeit einleiten, so der Clifford Chance Managing Partner. Ziel ist die Reorganisation und Vermeidung der Zerschlagung. Während sich das Unternehmen im Chapter 11 befindet, erarbeitet die weiterhin im Amt verbleibende Geschäftsführung gemeinsam mit den Gläubigern einen Restrukturierungsplan, über den die Gläubiger sodann abstimmen und der von einem Gericht geprüft und bestätigt wird.

„Um eine erfolgreiche Sanierung zu gewährleisten, dürfen in den USA neue Investoren oder neues Kapital aufgenommen werden, welche sodann Vorrang vor den alten Kreditgebern haben“, erläutert der Restrukturierungsexperte.

Chapter 11 ist Mutter aller Restrukturierungsverfahren”

Auch das Chapter 11 ist im Grundsatz ähnlich wie das SoA bereits im 19. Jahrhundert entstanden. Dennoch gilt es unter den Restrukturierungsexperten als „Mutter aller Restrukturierungsverfahren“. Ein Grund dafür sei, dass diesem Sanierungsverfahren das gruppenübergreifende Niederstimmen entspringe. „Die weltweite Anerkennung des Chapter-11-Verfahrens in rechtlicher beziehungsweise tatsächlicher Hinsicht ist enorm“, konstatiert Sax.

Dennoch besitze auch das Chapter 11 einen entscheidenden Nachteil: „Das Verfahren ist sehr kostenintensiv und maßgeblich vom zuständigen Gericht beeinflusst. Allerdings existieren in den USA auf dieses Verfahren spezialisierte Gerichte, und die damit einhergehende Prozessstabilität und Vorhersehbarkeit schätzen die Unternehmen, aber auch die Gläubigergruppen“, so Sax. So auch die Unternehmen Steinhoff oder Almatis, die sich bereits unter dem Chapter 11 restrukturiert haben.

Esra Laubach ist Redakteurin bei FINANCE und widmet sich schwerpunktmäßig den Themen Transformation, Restrukturierung und Recht. Sie ist Sprach- und Kommunikationswissenschaftlerin. Vor FINANCE war sie rund fünf Jahre als Legal-Journalistin für den JUVE Verlag in Köln tätig, wo sie auch ihr journalistisches Volontariat absolvierte. Esra Laubach arbeitete während ihres Studiums multimedial u.a. für das ARD-Morgenmagazin, mehrere Zeitungen und moderierte beim Hochschulradio Kölncampus.