„Meinen ersten Corona-Moment hatte ich am 21. Januar. Ich war auf dem Weg nach Shanghai. Auto am Düsseldorfer Flughafen geparkt, ein kurzer Zwischenstopp in Frankfurt und dann rüber nach China, das war der Plan. Damals gab es noch keine echte Reisewarnung, doch dann erreichte mich bei der Zwischenlandung in Frankfurt der Hinweis unseres chinesischen Geschäftspartners, dass in Shanghai die Lage über Nacht sehr unübersichtlich geworden sei. Da habe ich zum ersten Mal in meinem Leben eine Geschäftsreise abgebrochen und bin statt nach Shanghai wieder nach Hause ins Emsland gefahren.
Bei der nächsten Geschäftsreise kam ich dem Coronavirus dann knapp zuvor. Ich war am 3. März in Barcelona. Das Flugzeug war nur zu 20 Prozent besetzt, aber vor Ort fühlte sich alles noch normal an. Eine Woche später brach dann auch in Spanien die Katastrophe aus.
„Berentzen hat begonnen, unorthodox zu denken“
Auch Berentzen wechselte zu diesem Zeitpunkt in den Krisenmodus. Wir definierten drei Ziele: Mitarbeiter schützen, Liquidität sichern und etwas für die Zivilgesellschaft tun. Es war faszinierend zu sehen, dass das ganze Team sofort damit begonnen hat, viel unorthodoxer als sonst zu denken. Ich war wirklich erstaunt, welche Kräfte der Wechsel in den Corona-Modus freigesetzt hat.
FINANCE-Köpfe
Sofort begannen wir, Teile unserer Eigenproduktion umzustellen – von Rohdestillaten und Spirituosen auf Ethanol und Desinfektionsmittel. Damals, in den ersten Märzwochen, herrschte daran großer Mangel. Doch zunächst gab der Zoll unser Ethanol für die Verwendung in Krankenhäusern und Apotheken nicht frei, zumindest nicht, ohne es vorher teuer versteuert zu haben. Irgendwie verständlich, es handelte sich schließlich um grundsätzlich verzehrbaren Alkohol, und wir hatten ja auch keine Lizenz dafür, solche Grundstoffe herzustellen und zu vertreiben.
Brühöfner fuhr Coronahilfen aus
Aber in einer ziemlich unkomplizierten Zusammenarbeit mit dieser Behörde fanden wir schnell eine Lösung: In räumlicher Trennung von unserer Herstellung haben wir den Alkohol vergällt, so dass wir nur wenige Tage später damit beginnen konnten, Ethanol und Desinfektionsmittel auszuliefern. Drei Wochen lang stellten wir den Krankenhäusern in der Region alles kostenlos zur Verfügung, und auch einige Apotheken und Arztpraxen haben wir versorgt.
Doch es gab noch ein zweites Problem: Wegen der allgemeinen Situation war die Auslieferungs-Infrastruktur für brennbare Güter wie Ethanol gestört und überlastet. Da haben wir uns als Vorstände nach Feierabend eben selbst in die Transporter gesetzt und die Produkte ausgefahren, direkt an die Krankenhäuser in der Umgebung.
Aber nicht nur in der Logistik, auch in der Produktion gab es Herausforderungen. Höchste Priorität hat bei uns der Schutz der Mitarbeiter vor einer Ansteckung. Also dürfen sich die Leute beim Schichtwechsel nicht mehr begegnen. Das bedeutet, dass wir jetzt bei jedem Schichtwechsel die Abfüllanlagen runter- und dann wieder hochfahren müssen. Das kostet viel Effizienz.
„Wir haben uns nach Feierabend selbst in die Transporter gesetzt und die Desinfektionsmittel ausgefahren.“
Viele Probleme und ein Hoffnungsschimmer
Social Distancing prägt auch die Arbeit in der Verwaltung und im Vertrieb. Unsere Vertriebsmitarbeiter für den Lebensmitteleinzelhandel und die Gastronomie mussten wir in Kurzarbeit schicken, weil es unmöglich geworden ist, dort noch in gewohntem Umfang Vertriebsarbeit zu leisten. Die Einzelhändler, Gastronomen und Hoteliers haben seit März einfach andere Prioritäten, als Abgesandte ihrer Lieferanten zu empfangen.
Jetzt mit den stufenweisen Lockerungen der Restriktionen ändert sich das langsam wieder. Aber einfach werden die nächsten Monate trotzdem nicht: Weil auch unsere Wettbewerber Absatzmengen verloren haben, rechnen wir in vielen Absatzkanälen und insbesondere in der Gastronomie mit einem Preiskampf.
„Wir rechnen nach Corona in vielen Absatzkanälen mit einem Preiskampf.“
Was hingegen richtig gut läuft, ist unser Private-Label-Geschäft für große Handelsketten. Für deren Spirituosenregale liefern wir Produkte mit absoluter Premium- Qualität und -Optik zu sehr attraktiven Verbraucherpreisen, und die verkaufen sich sehr gut – viel besser als hochpreisige Edelmarken, die sich in einer Krise eher schwer tun. Die internationalen Vorzeigemarken, mit denen man sich gerne exponiert, wenn man privat Gäste willkommen heißt, verzeichnen starke Absatzrückgänge.
Ralf Brühöfner erlebt „tiefen Einschnitt“
Ich leide auch ganz persönlich unter den Folgen des Social Distancings. Wir nehmen das im Büro sehr ernst, selbst Kollegen Tür an Tür kommunizieren via Videokonferenz. Mal kurz mit dem Kaffee in der Hand bei einem Kollegen reinschauen, das geht nicht mehr. Für mich ist das ein tiefer Einschnitt, gerade weil wir bei Berentzen eine positive, freundschaftliche Arbeitsatmosphäre pflegen.
Und die fehlt mir. Dass es jetzt nur noch den sehr präzisen, streng themenorientierten Austausch gibt, macht mich mürbe. Und ich merke, wie sehr nicht nur mir die Inspirationen durch andere Menschen und deren Blicke über den Tellerrand fehlen. Die Arbeit fühlt sich anstrengender an als früher. Ich wünsche mir sehr, dass sich das bald wieder ändert und wir uns durch persönliches Zusammenkommen wieder menschlicher wahrnehmen und nicht als bloße Content-Maschinen oder infektiöse Zellansammlung.
Und wir müssen langsam auch wieder bei der Haltung zur Arbeit in den Normalmodus zurückfinden. Wie hier alle sich der Krise stellen, ist großartig. Aber jetzt gilt es, das Unternehmen und die Mitarbeiter auch wieder an die Themenlisten heranzuführen, die bis zum 20. März relevant gewesen sind. Hier müssen wir wieder die alte Dynamik und den Projekthunger hineinbringen.
„Ich will eine Lanze für die allermeisten Banken brechen: Sie stehen Gewehr bei Fuß und unterstützen ihre Kunden wirklich toll.“
„Um Berentzen mache ich mir keine Sorgen“
Alles in allem mache ich mir um Berentzen aber keine Sorgen. Vor elf Jahren war die Situation viel schlimmer. Wir schleppten damals eine Menge hausgemachte Probleme mit uns herum und schlitterten so direkt in die Finanzkrise. Dieser Mix war wirklich gefährlich. Jetzt aber sind wir gut aufgestellt in die Coronakrise hineingegangen: Berentzen ist profitabel, wächst, hat ein starkes Marken- und Segmentportfolio.
Und auch die Finanzierung ist sattelfest. Dabei hatten wir aber auch ein wenig Glück, denn letztes Jahr hatte ich noch – ohne an so etwas wie Corona zu denken – unsere Kreditlinien und unseren Factoring-Rahmen jeweils um mehrere Millionen Euro erhöht.
„Berentzen lebt von Geselligkeit“
Außerdem will ich eine Lanze für die allermeisten Banken brechen: Sie stehen Gewehr bei Fuß, unterstützen ihre Kunden wirklich toll, Liquidität und Kredite werden pragmatisch zur Verfügung gestellt. Viele Banken zeigen, dass sie bereit sind, die Unternehmen zu unterstützen. Die Solidarität zwischen Kreditnehmern und -gebern, wenn es so etwas überhaupt gibt, ist eine ganz andere als während der Finanzkrise.
Im Sinne unserer Aktionärinnen und Aktionäre freue ich mich natürlich besonders, dass es unsere Situation außerdem erlaubt, an unserem Dividendenvorschlag in der ursprünglichen Höhe festzuhalten. Sehr viele Unternehmen müssen in der derzeitigen Krise die Dividende kürzen oder sogar ganz streichen. Wir können die Anteilseigner hingegen am Erfolg des letzten Geschäftsjahres beteiligen – auch deshalb, weil ich unser Geschäftsmodell als robust einschätze.
Das wird Sie jetzt vielleicht wundern, wenn Sie sich Berentzen im Alltag vorstellen. Unsere Kernmarken leben von Geselligkeit – „Durst auf Leben“ ist unser Company-Slogan. Umsatzhöhepunkte sind denn auch regelmäßig solche Anlässe wie der Vatertag in wenigen Tagen oder Pfingsten Anfang Juni. Zu beiden Terminen wird dieses Jahr aber nicht viel passieren.
Auch große Partys und Feste werden so schnell nicht wieder gefeiert werden. Aber ich glaube fest daran, dass die Menschen Geselligkeit nach der Krise noch viel stärker schätzen werden als davor. Und ich platze vor Vorfreude auf diese Zeit.
Info
In dieser Reihe begleiten wir in den nächsten Monaten mehrere CFOs auf ihrem Weg durch die Coronakrise. Sie berichten ganz persönlich von ihren Erlebnissen beim Kampf gegen die Folgen der Krise in ihren Unternehmen. Mit dabei sind die CFOs Carsten Bovenschen (Akasol), Ralf Brühöfner (Berentzen) und Matthias Zieschang (Fraport).
Alle bisherigen Erfahrungsberichte finden Sie auf unserer Themenseite CFO in der Coronakrise.