Bei Wirecard spitzt sich die Lage dramatisch zu. Der Zahlungsdienstleister hätte heute die lange erwarteten Zahlen für das Geschäftsjahr 2019 vorlegen müssen, doch stattdessen hat der Dax-Konzern die Vorlage nun schon zum vierten Mal verschoben. Der Grund: Der Abschlussprüfer Ernst & Young habe Wirecard darüber informiert, dass es über die „Existenz von im Konzernabschluss zu konsolidierenden Bankguthaben auf Treuhandkonten in Höhe von 1,9 Milliarden Euro noch keine ausreichenden Prüfungsnachweise“ gebe, teilte Wirecard am Donnerstag mit.
Es würden Hinweise bestehen, dass EY „von einem Treuhänder beziehungsweise aus dem Bereich der Banken, welche die Treuhandkonten führen, unrichtige Saldenbestätigungen zu Täuschungszwecken“ vorgelegt wurden, damit der Abschlussprüfer „ein unrichtiges Vorstellungsbild über das Vorhandensein der Bankguthaben beziehungsweise die Führung von Bankkonten zugunsten der Wirecard-Gesellschaften“ erhalte, lautet die erschreckende Aussage.
Wirecard erstattet Anzeige
Laut Wirecard handele es sich bei den Treuhandkonten führenden Banken um zwei asiatische Finanzinstitute mit Investmentgrade Ratings. Der seit 2019 amtierende Treuhänder nehme in Asien zahlreiche Mandate wahr.
„Ob betrügerische Vorgänge zum Nachteil der Wirecard AG vorliegen, ist derzeit unklar. Die Wirecard AG wird Anzeige gegen unbekannt erstatten“, ließ sich Wirecard-Chef Markus Braun zitieren. Gleichzeitig erklärte er, dass frühere erteilte Bestätigungen von den Wirtschaftsprüfern nicht mehr anerkannt wurden.
EY stand massiv unter Druck
Damit tritt der Fall ein, der bereits befürchtet wurde: EY verweigert vorerst das Testat. Der Prüfer war massiv unter Druck geraten, nachdem KPMG in einer Sonderprüfung bereits davon sprach, dass einige Belege fehlten, um Umsätze nachzuweisen. Investorenvertreter haben daraufhin eine Klage gegen EY eingereicht. Sie kritisierten vor allem, dass die Big Four-Gesellschaft in der Vergangenheit Geschäftsberichte ohne Einschränkungen testiert hatten.
Mittlerweile interessiert sich auch die Staatsanwaltschaft für die Unternehmensführung und durchsuchte Anfang Juni den Wirecard-Hauptsitz. Die Finanzaufsichtsbehörde Bafin hatte aufgrund des Verdachts auf Börsenmanipulation Anzeige erstattet.
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Werden Kredite über 2 Milliarden Euro gekündigt?
Eigentlich hätte Wirecard die Bilanz spätestens am 30. April präsentieren sollen. Zunächst verschob das Unternehmen den Termin auf den 4. Juni, dann peilte man den 18. Juni an. Einen neuen Termin blieben die Aschheimer nun schuldig.
Allerdings drängt die Zeit: Wenn das Testat nicht bis zum 19. Juni vorgelegt wird, können Kredite in Höhe von circa 2 Milliarden Euro gekündigt werden, hieß es gegen Ende der Mitteilung. Das entspricht rund einem Viertel der Konzernbilanzsumme. Eine weitere Hiobsbotschaft für die Aktionäre, denn eine Vorlage des Testats bis morgen wird kaum möglich sein.
An der Börse rauschte der Wirecard-Kurs dramatisch ab. Zeigte sich die Aktie bereits im vorbörslichen Handel höchst volatil, verloren die Titel zwischenzeitlich um bis zu 66 Prozent auf knapp 35 Euro. Zu den Bestzeiten lag die Aktie im Sommer 2018 bei über 190 Euro.
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Verfolgen Sie die Geschehenisse um den Zahlungsdienstabwickler mit der FINANCE-Themenseite zu Wirecard. Mehr über den Werdegang des Wirecard-Finanzchefs lesen Sie im FINANCE-Köpfe-Profil von Alexander von Knoop.