Seit einem Jahr ist die Abschlussprüferrotation für Unternehmen Pflicht. Seitdem wirbelt sie den Wirtschaftsprüfermarkt gehörig durcheinander, zeigt eine FINANCE-Analyse, in die die Ausschreibungen der Abschlussprüfung sowie die Abstimmungen auf den Hauptversammlungen aller Dax-, MDax-, SDax- und TecDax-Unternehmen eingeflossen sind.
Die Abschlussprüferrotation verpflichtet alle kapitalmarktorientierten Unternehmen dazu, das Prüfmandat spätestens nach zehn Jahren neu auszuschreiben. Nach 20 Jahren müssen Unternehmen den Prüfer zwingend wechseln. Damit sollte die zum Teil über Jahrzehnte andauernde Beziehung zwischen WP und Unternehmen aufgebrochen werden.
Auch wenn viele Unternehmen laut Gesetz noch ein oder zwei Jahre mit der Ausschreibung warten könnten, haben einige die Regelung bereits umgesetzt – nicht zuletzt, um sich früh die besten Prüfungsteams zu sichern. Für die Big Four KPMG, PwC, Ernst & Young (EY) und Deloitte bedeutet das: Sie haben jetzt die Chance, begehrte Mandate der Wettbewerber abzugreifen, müssen aber in manchen Fällen auch früher als gedacht angestammte Mandate abgeben.
EY hat mit Commerzbank neues Leuchtturmmandat
Gut profitiert von der Prüferrotation hat bisher EY: Die Gesellschaft hatte in der Vergangenheit gerade im Dax nur sehr wenige Prüfkunden und lief damit nicht Gefahr, nun viele hochwertige Mandate abgeben zu müssen. Im Gegenteil: Das WP-Haus konnte zuletzt sogar einige neue Kunden hinzugewinnen, der größte ist die Commerzbank, die EY von 2018 an prüfen wird – ein Leuchtturmmandat mit Signalwirkung.
Der einzige Kunde in einer ähnlichen Größenordnung war bisher Siemens, deren Mandat EY 2008 nach dem Korruptionsskandal gewonnen hatte. Das von PwC übernommene Commerzbank-Mandat könnte EY auch für andere Konzerne attraktiver machen – vor allem für andere Geldinstitute.
EY übernahm zudem im SDax die Prüfmandate der KWS Saat von Deloitte, der Tele Columbus von KPMG und der VTG von PwC. Andere Kunden blieben EY vorerst treu: Ihre Mandate neu ausgeschrieben hatten der Dax-Konzern Beiersdorf, der MDax-Konzern Axel Springer und der TecDax-Konzern Pfeiffer Vacuum. In allen drei Fällen konnte EY die Unternehmen noch einmal von sich überzeugen und darf – zumindest laut der neuen Regelung – für bis zu zehn weitere Jahre prüfen.
PwC gewinnt Allianz und Hannover Rück
Auch der Konkurrent PwC konnte einige neue Mandate gewinnen. Besonders stolz dürfte der WP dabei auf den Auftrag des Versicherers Allianz sein, der von 2018 an Kunde sein wird. Die Allianz wird seit 127 Jahren von KPMG geprüft, war aber gezwungen, sich auf Sicht von ihrem Stammprüfer zu trennen. Da dürfte es kein Zufall sein, dass PwC außerdem das Mandat bei dem im MDax notierten Versicherer Hannover Rück von KPMG gewonnen hat. Damit positioniert sich PwC als Prüfer für die Versicherungsbranche, die bisher von KPMG dominiert wurde.
Daneben konnte PwC den Ökostromerzeuger Capital Stage aus dem SDax (bisher von Deloitte geprüft), Talanx aus dem MDax (bisher von KPMG geprüft) sowie Telefónica Deutschland aus dem TecDax (bisher von EY geprüft) gewinnen. Noch einmal von sich überzeugt hat PwC die Compugroup Medical und Xing (beide TecDax) sowie Lanxess (MDax). Ihre Mandate ab 2018 neu ausgeschrieben haben die PwC-Kunden Alstria Office, Washtec und Nordex. Eine Entscheidung in diesen Fällen steht noch aus.
CTS Eventim entscheidet sich kurzfristig gegen PwC
Doch es gab auch Ausschreibungen, bei denen es PwC nur auf den zweiten Platz schaffte und daher nicht zum neuen Prüfer gewählt wurde. Dazu zählen unter anderem Beiersdorf, Axel Springer und Wacker Chemie.
Besonders bitter lief es für PwC beim MDax-Unternehmen CTS Eventim: Dort hatte sich der Aufsichtsrat zunächst für PwC als neuen Prüfer ausgesprochen, in der Hauptversammlung wurde aber KPMG zum Prüfer gewählt. Zwar hätte man PwC erneut wählen können, es habe aus dem Aktionärskreis aber die Anregung gegeben, die gesetzliche Prüferrotation bereits im laufenden Geschäftsjahr zu vollziehen, begründete das Unternehmen das überraschende Votum auf Nachfrage.
KPMG muss Henkel und BMW abgeben
Besonders viele Mandatswechsel gibt es momentan bei KPMG, zeigt die Analyse. Die WP-Gesellschaft, die derzeit mehr als die Hälfte aller Dax30-Unternehmen und jeden dritten der Dax160-Konzerne prüft, wird in den kommenden Jahren die meisten Mandatsverluste verkraften müssen. Umso wichtiger ist es für den WP, diese Verluste durch neue Kunden auszugleichen.
Bisher konnte KPMG neben CTS Eventim das MDax-Unternehmen Jungheinrich von Deloitte und das SDax-Unternehmen SGL Carbon von EY gewinnen. Im Auswahlprozess erneut überzeugen konnte KPMG die MDax-Unternehmen Wacker Chemie und Metro sowie das SDax-Unternehmen Klöckner.
Es gab allerdings einige Konzerne, bei denen KPMG sich beworben hat und nicht zum Zuge gekommen ist. Dazu gehören Hochtief, Lanxess, Sixt und VTG. Hinzu kommt, dass viele KPMG-Kunden bereits jetzt ihr Mandat ab dem Geschäftsjahr neu ausgeschrieben haben, darunter Leuchtturmkunden wie Henkel (ab 2020), BMW (ab 2019) sowie Fuchs Petrolub und der Finanzinvestor DBAG (beide ab dem Geschäftsjahr 2018).
Deloitte konnte an Bayer-Erfolg bislang nicht anknüpfen
Ruhiger ging es bislang bei Deloitte zu. Nach dem überraschenden Gewinn des Bayer-Mandats von PwC vor über einem Jahr konnte die WP-Gesellschaft bislang keine größeren Neukunden in der Dax-Familie vermelden. Zwar hat die WP-Gesellschaft das Mandat bei Tui gewonnen, diese ist aber seit rund zwei Jahren nicht mehr im MDax notiert.
Allerdings konnte Deloitte einige der Altkunden aus dem Dax160 verlängern, darunter die MDax-Unternehmen Gerresheimer und Hochtief sowie die SDax-Unternehmen Sixt und Patrizia Immobilien. Deloitte muss als kleinste der Big-Four-Gesellschaften besonders darauf achten, wie viele Ressourcen sie in die zeitlich und finanziell aufwendigen Bewerbungen steckt. Besonders bitter dürfte da gewesen, dass die WP-Gesellschaft bei der Commerzbank nur Zweitplatzierte wurde.
Big Four: Gewinne und Verluste halten sich die Waage
Insgesamt zeigt die Analyse, dass sich Gewinne und Verluste bei den Big Four momentan die Waage halten – die Marktanteile jedes einzelnen WP haben sich nicht allzu stark verändert, es hat bislang in großen Teilen eine Umverteilung stattgefunden.
Berücksichtigt man alle kürzlich neu vergebenen Prüfmandate zusammen, hält KPMG Stand heute 31 Prozent der Dax-Familie, PwC 28 Prozent. EY kommt auf 23 Prozent und Deloitte auf 9 Prozent. Den kleinen Rest von 9 Prozent teilen die Next-Ten-Gesellschaften unter sich auf. Doch da der Mammutanteil der Ausschreibungen erst noch bevorsteht, könnten die Marktanteile schon 2018 ganz anders verteilt sein.
Info
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Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.