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Deutsche Börse mit Milliardendeal in den USA

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Will vom ESG-Boom profitieren: Deutsche Börse
Deutsche Börse

Big in the USA: Nach den zuletzt eher kleinen Zukäufen hat die Deutsche Börse mal wieder auf dem M&A-Markt zugeschlagen. Rund 1,54 Milliarden Euro legt der Börsenbetreiber für 80 Prozent am amerikanischen Konzern Institutional Shareholder Services (ISS) auf den Tisch. Insgesamt werde das Unternehmen mit 1,9 Milliarden Euro ohne Schulden bewertet, teilte der Dax-Konzern mit. Verkäufer der Anteile ist die US-Private-Equity-Gesellschaft Genstar Capital. Diese wird künftig gemeinsam mit dem aktuellen ISS-Management die übrigen rund 20 Prozent an ISS halten. Soweit die Regulierungsbehörden mitspielen, soll die Transaktion im ersten Halbjahr 2021 abgeschlossen sein.

Deutsche Börse setzt auf ESG-Geschäft

Die Institutional Shareholder Services (ISS) ist in der Öffentlichkeit vor allem als Stimmrechtsberater bekannt, der als Aktionärsvertreter auf Hauptversammlungen auftritt. So hatte die ISS etwa 2019 von der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat der Deutschen Bank abgeraten. Auch beim Thema Managervergütung tritt sie häufig auf den Plan

Die für die Deutsche Börse aber viel wichtigere Geschäftssparte ist die Expertise bei ESG-Themen. Die Abkürzung steht für Environmental, Social und Governance und umfasst Nachhaltigkeits- und Klimaschutzvorgaben, die bereits jetzt ein Megatrend sind und alleine aufgrund gesetzlicher Vorgaben auch in der Zukunft immer mehr an Bedeutung bei Unternehmen gewinnen dürften. Unter anderem bietet die ISS auch Ratings für Green-Finance-Instrumente an, die deutsche Corporates zuletzt immer mehr in Anspruch genommen haben.

„Im Bereich ESG ist ISS einer der führenden Anbieter. Die ESG-Expertise und das Leistungsspektrum von ISS auf der Datenseite ergänzen das Geschäftsmodell der Deutschen Börse über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg perfekt. Gemeinsam haben ISS und die Deutsche Börse beste Voraussetzungen, um einer der weltweit führenden ESG-Akteure der Zukunft zu werden,“ erläutert Deutsche Börse-CEO Theodor Weimer seine Wachstumsvision.

CFO Pottmeyer kommt ohne Kapitalerhöhung aus

Deutsche-Börse-CFOGregor Pottmeyer will den M&A-Deal mit Fremdkapital in Höhe von 1 Milliarde Euro sowie Barmitteln finanzieren. Ende Juni hatte die Börse rund 2,4 Milliarden Euro an Cash und Äquivalenten in der Kasse – eine Kapitalerhöhung ist also nicht notwendig. Der Deal wird die Nettoverschuldung im Vergleich zum 2020er-Ebitda auf 1,6x erhöhen und bleibt damit unter der selbst definierten Grenze von 1,75x, deren Einhaltung für die Börse auch deshalb wichtig ist, da ihr Geschäft mit Wertpapierverwahrung und -abwicklung auf ein erstklassiges Kreditrating angewiesen ist.

Die Deutsche Börse geht davon aus, dass ISS im laufenden Jahr Nettoerlöse von mehr als 280 Millionen US-Dollar einspielen wird, die bereinigte Ebitda-Marge wird bei 35 Prozent vor Transaktionseffekten erwartet. Die Nettoerlöse sollen bis 2023 mit durchschnittlich mehr als 5 Prozent pro Jahr organisch wachsen. Zudem sollen Umsatzsynergien bis 2023 zu einem zusätzlichen Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) von 15 Millionen Euro führen.

Teurer M&A-Deal für die Deutsche Börse?

Auch wenn der Deal teuer erscheine, ergebe er aus strategischer Sicht Sinn, schrieb UBS-Analyst Michael Werner in einer ersten Einschätzung. ISS mit ihren robusten, engen Kundenbeziehungen würde stabile und wiederkehrende Umsätze bringen. Außerdem ermögliche der Deal Zugang zum schnell wachsenden ESG-Markt. In einem Berenberg-Papier bezeichnen auch die Analysten dieser Bank das dem Deal zugrunde liegende Ebitda-Multiple von 23,4x als vergleichsweise hoch. Auch Warburg-Experte Andreas Pläsier sieht den gezahlten Ebitda-Multiple nicht gerade als Schnäppchen an, allerdings komme das Management mit dem Schritt den seit längerem versprochenen Übernahme-Aktivitäten nach.

FINANCE-Köpfe

Gregor Pottmeyer, Deutsche Börse AG

Gregor Pottmeyer beginnt seine Laufbahn 1987 als Fachreferent für Controlling im Bereich Konzernplanung/-controlling von Daimler Benz. 1990 wechselt er als Abteilungsleiter Planungskoordination und Berichterstattung zur Daimler-Tochter Debis, in der die Dienstleistungsfunktionen des Konzerns gebündelt wurden. Drei Jahre später kehrt der Saarländer als Abteilungsleiter Projekte bei Mercedes-Benz Finanz zur Mutter zurück.

In den Folgejahren steigt er als Bereichsleiter Planung und Controlling sowie Controlling/Rechnungswesen weiter auf. 1999 wird er als stellvertretender Geschäftsführer zur Mercedes-Benz Leasing berufen. In dieser Position verantwortet er zusätzlich noch das Controlling und Rechnungswesen der europäischen Finanzierungsgesellschaften von Debis. Im Jahr 2001 rückt er schließlich in die Geschäftsführung bei Mercedes-Benz Finanz auf und verantwortet dort das Controlling und das Rechnungswesen.

Ein Jahr später wird Pottmeyer in den Vorstand der der DaimlerChrysler Bank (seit 2008 Mercedes-Benz Bank) berufen. 2003 übernimmt er schließlich den Posten des CFO der DaimlerChrysler Bank und verantwortet in dieser Position die Ressorts Finanzen und Risikomanagement und ist parallel dazu zuständig für das Controlling der großen europäischen Daimler-Financial-Services-Gesellschaften sowie die Credit Operations der Gesellschaften in Europa, Afrika und dem Asien-Pazifik-Raum.

Im Jahr 2009 verlässt Pottmeyer den Stuttgarter Autobauer und heuert im Oktober als CFO bei der Deutschen Börse an. Im Jahr 2017 wird sein Vertrag um fünf Jahre verlängert.

zum Profil

In der Tat dürfte für den seit 2018 amtierende Vorstandschef Theodor Weimer der Zukauf auch eine persönliche Genugtuung darstellen, nachdem er zweimal bei interessanten Übernahmekandidaten nicht zum Zug kam. So zog die Deutsche Börse sowohl bei der Devisenhandelsplattform FXall als auch bei der Borsa Italiana den Kürzeren. Statt nach Deutschland ging die Mailänder Börse an die französische Euronext, die dafür 4,3 Milliarden Euro auf den Tisch legte.

Für die Deutsche Börse ist Einstieg bei der ISS die zweitgrößte Akquisition der Unternehmensgeschichte. Im Jahr 2007 übernahm das Eschborner Unternehmen die US-Optionsplattform ISE für 2,8 Milliarden US-Dollar, die man dann 2016 für deutlich geringere 1,1 Milliarden US-Dollar an die US-Technologiebörse Nasdaq verscherbelte

ISS und Deutsche Börse: Pikante Konstellation

Der Finanzinvestor Genstar Capital hat mit dem Geschäft einen guten Schnitt gemacht. Das US-Private-Equity-Haus hatte ISS im September 2017 für 720 Millionen Dollar vom Finanzinvestor Vestar Capital Partners übernommen. Seitdem verdoppelte sich die Mitarbeiterzahl auf rund 2.000. Nach eigenen Angaben hat ISS weltweit aktuell mehr als 4.000 Kunden, darunter führende globale institutionelle Investoren. Mit letzteren erhofft sich auch die Deutsche Börse ins Geschäft zu kommen. So will das Unternehmen mit seiner neuen Tochter das Angebot an nachhaltigen Indizes erweitern.

Um die Unabhängigkeit von Datengeschäft und Research sicherzustellen, bleibt ISS innerhalb des hessischen Konzerns eigenständig. ISS-CEO Gary Retelny wird weiterhin das Unternehmen leiten. Es könnte also in Zukunft dazu kommen, dass die US-Tochter als Stimmrechtsberater öffentlich das Management des Mutterkonzerns in die Mangel nimmt. So geschehen im Jahr 2018: Damals empfahlen die Amerikaner den Anteilseignern der Deutschen Börse, dem damaligen CEO Carsten Kengeter die Entlastung zu verweigern.

An der Börse kommt die Transaktion gut an. Anleger dürfte vor allem freuen, dass der Börsenbetreiber ohne eine Kapitalerhöhung auskommen will. Die Aktie legte 3,3 Prozent auf 138,25 Euro zu.

martin.barwitzki[at]finance-magazin.de

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