Das Thema Bilanzierung von Versicherungsverträgen begleitet den Allianz-CFO Dieter Wemmer schon lange. Um genau zu sein bereits seit 1997, als er noch gar nicht CFO von Deutschlands größtem Versicherer war, sondern Mitarbeiter der Zurich-Versicherung und Mitglied der ersten Versicherungs-Arbeitsgruppe des internationalen Standardsetzers IASB. Das Thema damals: Wie kann man Versicherungsverträge besser in der Bilanz abbilden? Erst 20 Jahre später ist die Ausgestaltung fertig: Im Mai wurde der neue Bilanzierungsstandard IFRS 17 final verabschiedet.
Roman Sauer, Head of Group Accounting & Reporting bei der Allianz, ist froh darüber: „IFRS 17 ist ein richtiger Schritt, um die Standardisierung, Harmonisierung und Transparenz in der Berichterstattung zu steigern. Das tut der Branche gut.“ Bisher gab es für die Abbildung von Versicherungsverträgen unter IFRS keine umfassend einheitlichen Vorgaben, erklärt Julia Unkel, Partnerin im Bereich Assurance bei PwC und verantwortlich für IFRS-Services bei Versicherungen. Das gebe es in dem Ausmaß sonst in keiner Branche.
IFRS 17: Große Versicherer wie Munich Re und Talanx betroffen
Schon seit 2004 werden Versicherungsverträge nach IFRS 4 bilanziert. Dabei war IFRS 4 eigentlich nur als Übergangsstandard gedacht. IFRS 4 lässt die Anwendung von lokalen Vorschriften zu, was die Vergleichbarkeit erschwert. Daher haben manche Versicherer nach den US-Standards US-Gaap bilanziert, so auch die Allianz.
Betroffen von der Neuregelung IFRS 17 sind die Konzernabschlüsse kapitalmarktorientierter Versicherer, wovon es in Deutschland nur eine Handvoll Unternehmen gibt, wie Hans-Jürgen Säglitz, Leiter Rechnungslegung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV), erklärt. Darunter befinden sich aber Schwergewichte, zu denen neben der Allianz auch die Munich Re und Talanx gehören.
Die Versicherer, die nicht kapitalmarktorientiert sind und daher ihre Konzernabschlüsse nach HGB bilanzieren, können sich hingegen zurücklehnen – noch. „Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die IFRS-Regeln als Vorlage dienen werden, um die Europäische Versicherungsbilanzrichtlinie zu überarbeiten. Diese stammt aus dem Jahr 1991 und soll nach Aussagen der EU-Kommission geändert werden“, so Säglitz. Davon wären dann mittelbar sowohl die Konzern- als auch die Einzelabschlüsse nach HGB betroffen.
Allianz: „IFRS 17 ist eine Revolution der Accounting-Regeln“
Zu den wichtigsten Änderungen durch IFRS 17 gehört, dass sich die Methode zur Bewertung von Versicherungsverträgen ändert. Diese war bisher eher vergangenheitsorientiert, Versicherungen wurden anhand der Daten zu Beginn der Laufzeit bewertet. Nach IFRS 17 werden die Verträge aber stärker anhand von zukünftigen Zahlungsströmen bewertet, eine Art Discounted-Cashflow-Modell.
Dadurch wird zudem transparenter werden, ob die Versicherer im Neugeschäft profitabel sind. „Damit wird eine für andere Industrien bislang nicht geforderte Transparenz eingeführt“, erklärt Säglitz. Das gilt insbesondere für Lebensversicherungsverträge, die oft über viele Jahrzehnte laufen. Für sogenannte Kurzläufer, zu denen zum Beispiel in der Schadenunfallversicherung zahlreiche Verträge gehören, wird es Ausnahmen geben.
„Alles in allem ist IFRS 17 eine Revolution der Accounting-Regeln“, meint Roman Sauer von der Allianz. Der Versicherer hat die Vorstudien über die Folgen des neuen Standards auf die Kennzahlen bereits im vergangenen Jahr hinter sich gebracht, noch bevor IFRS 17 final verabschiedet wurde.
KPMG hilft Allianz bei der Umstellung – und auch PwC arbeitet sich ein
Viele Unternehmen bereiten sich schon seit langem auf die Umstellung vor, um keine böse Überraschung zu erleben, berichtet PwC-Expertin Unkel: „Auch wenn es durch zahlreiche Konsultationen noch zu finalen Änderungen gekommen ist, war es wichtig, sich mit den Grundprinzipien und der potentiellen Auswirkung auf Prozesse und IT-Systeme frühzeitig auseinanderzusetzen.“
Nach Abschluss der Vorstudien diskutiert die Allianz jetzt kritische Auslegungsfragen mit ihrem Wirtschaftsprüfer KPMG. „Ob der Standard in der Praxis sinnvoll und zu vertretbaren Aufwand umzusetzen ist, hängt von einigen wichtigen Interpretationen ab“, erklärt Allianz-Mann Sauer.
Der Dax-Konzern bindet auch den neuen Prüfer PwC ein, der ab dem Geschäftsjahr 2018 die Allianz-Bilanzen testieren wird. Das Team von PwC ist schon jetzt im Haus, um sich in die Zahlen des größten deutschen Versicherers einzuarbeiten – durch die Umstellung auf IFRS 17 ist das noch aufwendiger als sonst.
Umstellung auf IFRS 17 ist ein Mammutprojekt für die Allianz
Für 2019 ist bei der Allianz der erste Testlauf geplant, 2020 will der Konzern intern Vergleichszahlen zur alten Bilanzierung präsentieren und einen Parallelbetrieb starten, erzählt Roman Sauer. Bis 2021 muss die Umstellung durch sein, so verlangen es die Vorschriften.
„Es mag so wirken, als wären wir schon sehr früh dran. Aber man darf nicht vergessen, dass wir wegen IFRS 17 in der gesamten Organisation Anpassungen vornehmen und viele Schulungen machen müssen“, so Sauer. Für einen Konzern dieser Größe sei die Frist bis zur zwingenden Einführung nicht besonders lang.
Für den Versicherer ist die Umstellung auf den neuen Standard daher eines der wichtigsten und größten Projekte, die konzernweit derzeit laufen. Ähnlich aufwendig war nach Einschätzung Sauers nur die Einführung von Solvency II, die Vorschrift zur Eigenkapitalausstattung von Versicherungsunternehmen, die seit 2016 in Kraft ist.
IT-Umstellung ist die größte Herausforderung von IFRS 17
Ursprünglich war eigentlich geplant, dass Solvency II und IFRS 17 zur gleichen Zeit in Kraft treten, doch das hat nicht geklappt. Jetzt haben die Versicherungsunternehmen in kurzer Zeit hintereinander zwei große Projekte zu stemmen, erklärt Julia Unkel von PwC. Doch es gibt auch einen Vorteil: Da Solvency II ebenfalls auf einer zahlungsstrombasierten Bilanzierung beruht, sind die Versicherer manche Umstellungsschritte, die für IFRS 17 notwendig sind, bereits gegangen.
Das spiegelt sich zum Teil auch in der IT-Landschaft der Unternehmen wider. „Manche Abteilungen sind IT-seitig dank Solvency II bereits gut aufgestellt, doch bei anderen wird es noch größere Umbauten geben“, kündigt Sauer an. Die Umstellung auf IFRS 17 will die Allianz nutzen, um ihre IT-Landschaft grundsätzlich zu modernisieren.
Umstellung auf IFRS 17 kostet Allianz über 100 Millionen Euro
Derart große Veränderungen kosten. „IFRS 17 erfordert Investitionen in IT und Prozesse, wir rechnen mit einem niedrigen dreistelligen Millionenbetrag“, sagt Sauer. Zwar enthält dieses Budget auch die Umstellungskosten für den ebenfalls neuen Bilanzierungsstandard IFRS 9, auf den die Allianz parallel umstellen muss. Den Mammutanteil wird dennoch IFRS 17 ausmachen.
„Wir wollen die Kosten nicht kleinreden“, sagte daher auch Hans Hoogervorst, Chef des Standardsetzers IASB, anlässlich der Veröffentlichung des neuen Standards. Aber: Die größere Transparenz werde dazu führen, dass die Versicherer als Investitionsobjekte für Anleger attraktiver werden, glaubt Hoogervorst. Bislang seien viele Investoren von der undurchsichtigen Bilanzierung der Versicherer abgeschreckt worden.
Genau darauf setzt auch die Allianz, wie Sauer erzählt: „Wir haben eine ungerechtfertigt niedrige Börsenbewertung. Möglicherweise können wir mit den derzeitigen Kennzahlen unser Geschäftsmodell nicht so gut vermitteln.“ Er hofft, dass sich durch IFRS 17 die Transparenz verbessert und das Investorenvertrauen in die Versicherungsbranche wächst.
Info
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Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.