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Wirecard-Skandal: So versucht EY seine Mandanten zu beruhigen

Warum hat EY die Bilanzungereimtheiten bei Wirecard nicht schon eher entdeckt? Diese Frage muss EY sich gefallen lassen. CEO Carmine Di Sibio hat sich nun an die Kunden gewandt.
picture alliance/NurPhoto/Aleksander Kalka

Nach dem Bilanzskandal bei Wirecard ist Wirecards Wirtschaftsprüfer EY das Hauptziel vieler Kritiker. Die ersten Folgen des Prüfversagens bekommt der Wirtschaftsprüfer bereits zu spüren: Das Big-Four-Haus hat im Zuge des Skandals bereits die Commerzbank und die Deutsche-Bank-Tochter DWS als Prüfkunden verloren. Zwar haben die beiden Unternehmen das Mandat vor allem deshalb zurückgezogen, weil sie selbst Geld bei Wirecard verloren haben und nun Interessenskonflikte fürchten. Dennoch dürften sich auch andere Kunden jetzt genau überlegen, ob sie EY nach dem Imageschaden noch engagieren wollen. Es drohen weitere Mandatsverluste. 

Das befürchtet offensichtlich auch EY selbst. Dies zeigt ein Brief des globalen EY-Chefs Carmine Di Sibio an EY-Kunden, der FINANCE vorliegt. Zuerst hatte der „Spiegel“ darüber berichtet, kurz darauf sah sich EY gezwungen, selbst eine Pressemitteilung zu veröffentlichen, die ähnliche Aussagen wie der Brief enthält.

EY-Chef Carmine Di Sibio kämpft auch um Neukunden

Dass der globale CEO persönlich einen Brief zu einem Vorgang in Deutschland verfasst, ist ein klarer Hinweis dafür, dass EY keineswegs nur deutsche Mandate bedroht sieht. „Nichts ist für EY wichtiger als die Qualität der von uns angebotenen Dienstleistungen“, versichert Di Sibio in seinem Brief. „Wir verstehen die Ernsthaftigkeit der Wirecard-Angelegenheit für Ihren Vorstand, den Prüfungsausschuss und andere Interessengruppen.“ EYs Dilemma: Es geht nicht nur traditionelle Bestandskunden, die sich nun Gedanken machen dürften, sondern auch um die Vielzahl an prominenten Neukunden, die der Konzern zuletzt gewonnen hat – und um jene, um deren Akquise EY sich gerade bemüht.

„Viele Menschen glauben, dass der Betrug bei Wirecard früher hätte entdeckt werden müssen, und wir verstehen das voll und ganz“, betont Di Sibio. Er nimmt aber gleichzeitig für sich in Anspruch, dass es immerhin die Prüfer von EY gewesen seien, die den Betrug letztlich aufgedeckt haben. Ob er damit überzeugen kann, ist fraglich. In den Augen vieler Beobachter wirkt es eher so, als hätten die Sonderprüfer von KPMG die Vorarbeit geleistet, auf deren Basis EY letztlich nachweisen konnte, dass auf philippinischen Treuhandkonten 1,9 Milliarden Euro fehlen.

Was für viele Kunden unverständlich sein dürfte: EY hat mehr als zehn Jahre die Bilanzen des Zahlungsdienstleisters geprüft und trotz konkreter Anschuldigungen seitens Medien, Shortsellern und Aktionären Jahr für Jahr einen uneingeschränkten Bestätigungsvermerk erteilt. Erst nachdem die Sonderprüfer von KPMG im April dieses Jahres in ihrem Bericht auf teils gravierende Mängel und nicht nachweisbare Summen bei Wirecard hingewiesen haben, hat EY den Betrug aufgedeckt und das Testat verweigert. 

EY stellt sich hinter die eigenen Wirecard-Prüfer

Wie auch schon in der ersten kurzen Stellungnahme, die EY Ende Juni veröffentlichte, erklärt EY die späte Aufdeckung nun ein zweites Mal damit, dass man selbst Opfer eines Betrugs geworden sei: „Das komplexe kriminelle Netz war darauf angelegt, zahlreiche Akteure – darunter Investoren, Banken, Aufsichtsbehörden, Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer einschließlich uns sowie auf Forensik spezialisierte Experten und Rechtsanwälte – trotz sorgfältiger und umfangreicher Anstrengungen zu täuschen.“

In der offiziellen Stellungnahme stellt sich EY auch klar hinter jene Mitarbeiter, die bei Wirecard selbst die Bücher geprüft haben – allerdings mit einer gewissen Einschränkung: „Nach unserem derzeitigen Erkenntnisstand haben unsere Kollegen die Prüfungshandlungen professionell und nach bestem Wissen und Gewissen durchgeführt.“ Genau das zweifeln manche Kanzleien an: Die Anlegeranwälte von Schirp & Partner etwa werfen EY Pflichtverletzungen vor und haben neben der Gesellschaft auch konkrete Individuen verklagt, die an der Abschlussprüfung beteiligt gewesen seien. Anschuldigungen, welche bis zum Vorwurf der Mitwirkung reichen, weist EY jedoch „entschieden“ zurück.

EY sieht Verantwortung beim Aufsichtsrat

In seinem Brief an die Kunden verteidigt Di Sibio zwar nicht ganz so explizit die handelnden Prüfer wie die deutsche Tochter. Er macht aber deutlich, bei wem er die Schuld für die späte Aufdeckung des Skandals sieht: „Die Hauptverantwortung für die Verhütung und Aufdeckung von Betrug liegt beim Management und den Aufsichtsräten.“ Tatsächlich gibt es Informationen, die allerdings nicht offiziell bestätigt wurden, wonach EY in den Berichten an den Aufsichtsrat deutlich kritischere Töne angeschlagen haben soll als im veröffentlichten Bestätigungsvermerk. Dazu zählen etwa Hinweise auf Versäumnisse im internen Kontrollsystem.

Eine gewisse Verantwortung sieht Di Sibio aber wohl auch bei den Prüfern und meint, die Prüfungsstandards müssten weiterentwickelt werden, um Betrugsfälle künftig eher aufzudecken. Diese Aufgabe sei EY bereits angegangen. So will der Prüfer verstärkt mit Hilfe von Datenanalysen versuchen, mögliche Betrugsfälle aufzudecken. Die Risikobewertung soll unter Verwendung zusätzlicher externer Daten, zum Beispiel Social Media, „weiterentwickelt“ werden. Damit dürften wohl auch externe Hinweisgeber – von denen es im Fall Wirecard etliche gab – gemeint sein.

Hinzu kommt: EY will allen hauseigenen Prüfern eine jährliche forensische Fortbildung zukommen lassen. Das ist ein außergewöhnlicher Schritt, betonen die WP-Gesellschaften doch stets, wie stark sich doch gewöhnliche von forensischen Prüfansätzen unterscheiden. Es ist damit zu rechnen, dass dieses Bündel an Maßnahmen die Kosten und Investitionen im Prüfgeschäft deutlich steigen lassen wird. Dabei ist es jetzt schon so, dass sich das Prüfgeschäft allein kaum noch rentiert.

Die Schreckensszenarien für EY

Eine wichtige Botschaft sendet Di Sibio am Ende des Kundenbriefs: Der CEO betont, dass EY Global auch weiterhin hinter der deutschen Gesellschaft steht. Man werde „EY Deutschland alles bieten, was sie benötigen, um die zu Recht hohen Qualitätserwartungen von Kunden und Stakeholdern zu erfüllen“.

Hinter vorgehaltener Hand äußerte zuletzt schon mancher Marktbeobachter die These, dass die Mutter sich von der deutschen Gesellschaft abwenden könnte, um sich selbst zu schützen. EY ist in einem Netzwerk organisiert, in dem jedoch alle Gesellschaften juristisch voneinander unabhängig sind. Die deutsche Gesellschaft ist allerdings auf die globale Unterstützung angewiesen – nicht zuletzt auch, um mögliche hohe Schadensersatzzahlungen leisten zu können.

Di Sibios Rückendeckung dürfte nicht nur der Beruhigung von Kunden dienen, sondern insbesondere auch der der EY-Partner. Deren Umgang mit den Folgen des Wirecard-Skandals ist wichtig für den Prüfkonzern: Ziehen sie aus Angst vor Verlusten ihr Geld ab oder wechseln mitsamt ihrer Teams zur Konkurrenz, käme EY für lange Zeit auch im Tagesgeschäft unter Druck. Neben den Schadensersatzklagen dürfte dies das zweite große Schreckensszenario für EY sein.

julia.schmitt[at]finance-magazin.de

Info

Die Folgen des Wirecard-Skandals für die gesamte Wirtschaftsprüferbranche sind noch nicht abzusehen. Mehr dazu finden Sie auf unserer Themenseite zu den Big Four.

Anlegerklagen, Imageschaden, Mandatsverluste und mehr: Für EY hat der Bilanzskandal schon jetzt negative Konsequenzen. Wieso haben die Prüfer die Ungereimtheiten nicht schon eher entdeckt? Dieser Frage sind wir auch in unserer FINANCE-Titelstory nachgegangen, die Sie als Abonnent von FINANCE+ hier nachlesen können.

Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.