In die Zukunft gerichtete Aussagen sind immer schwierig. Großereignisse wie das Banken-Beben, die Corona-Pandemie oder der Krieg in der Ukraine lassen sich nur sehr schwer voraussagen. Trotzdem haben Prognosen auch immer ihren Charme. Einige FINANCE-Redakteurinnen und -Redakteure haben sich daher dazu durchgerungen, einige gewagtere Thesen für 2024 aufzustellen.
Die „Inconvenient Truth“ für M&A-Berater
M&A-Berater wollen es vermutlich nicht hören, aber: Derzeit deutet wenig darauf hin, dass sich der M&A-Markt im kommenden Jahr maßgeblich und nachhaltig erholen wird. Zwar berichten Marktteilnehmer – in üblicher Manier, wohlgemerkt – stets von einer vollen Pipeline für die kommenden Monate sowie von einer wieder besser werdenden Qualität des Dealflows. Doch egal, wie viele Juniors gerade in Research für potentielle Transaktionen versinken und egal, wie viele Pitches gerade vorbereitet werden: Zu Abschlüssen kommt es im Verhältnis dazu zurzeit zu selten.
Das zeigen auch die jüngst veröffentlichten League Tables des Datenanbieters LSEG, denen zufolge M&A-Transaktionen mit deutscher Beteiligung Stand Mitte Dezember um 29 Prozent im Vorjahresvergleich eingebrochen sind. Mit etwas mehr als 100 Milliarden US-Dollar Volumen ist das das schlechteste Year-to-date-Ergebnis seit 2011 – und das drittschlechteste Ergebnis seit dem Beginn der Auswertungen im Jahr 2000.
Ein Blick auf die Jahre nach der Finanzkrise zeigt außerdem: Bis sich der M&A-Markt volumentechnisch wieder nachhaltig erholt hatte, dauerte es rund drei Jahre. Die wirtschaftspolitischen Vorzeichen sind heute zwar andere als damals, und eine allwissende Glaskugel haben auch wir nicht. Doch behält die Geschichte recht, dürfte die M&A-Dürre 2024 sicherlich noch nicht vorbei sein. (olh)
Schwerer Stand 2024: Nachhaltige Finanzierung
Dem Sustainable-Finance-Markt steht im neuen Jahr die bisher größte Prüfung bevor. Der Enthusiasmus der ersten Jahre ist verflogen. Statt den „Low Hanging Fruits“ müssen sich Unternehmen jetzt mit tiefgreifenden Transformationsprozessen auseinandersetzen, um glaubhafte und ambitionierte ESG-Ziele zu setzen. Dazu kommt eine schwierige wirtschaftliche Lage, in der Neuinvestitionen vermehrt auf dem Prüfstand stehen. Als wäre das nicht genug, kommen neue Berichtspflichten und weiterhin bestehende regulatorische Unsicherheiten in den Aufgabenkatalog.
Auch der gesellschaftliche Konsens zu dem Thema gerät ins Wackeln. Während viele sich mit den Zielen von „Fridays for Future“ identifizieren konnten, schlägt sich etwa das Chaos um das Heizungsgesetz oder die Aktionen der Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ eher negativ auf das Gemüt der Bevölkerung. Es muss sich zeigen, ob der Rückenwind, den die Abschlusserklärung von COOP28 überraschenderweise gebracht hat, dabei hilft, das Momentum zu erhalten. (ako)
Aus den Next Six werden wieder die Next Seven
Am Ende des Jahres wird das zur Next Six zusammengeschrumpfte Verfolgerfeld der Big Four wieder zur Next Seven anwachsen. Der Grund: Mit DHPG steht der nächste Mitbewerber bereit, der die Grenze von 100 Millionen Euro Umsatz überschreiten will. Das ist die magische Grenze, um in die zweite deutsche WP-Liga aufzusteigen.
Durch die Fusion mit sechs ehemaligen Standorten von RSM Deutschland (heute Nexia Deutschland) kommt die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft schon heute auf einen Umsatz von knapp 85 Millionen Euro. Wenn der auf den inhabergeführten Mittelstand spezialisierte Wirtschaftsprüfer nur etwas über dem Marktschnitt wächst, dürfte die 100 Millionen Euro Marke erreicht werden. Zur Not tut es auch der Zukauf eines kleineren Mitbewerbers. (fas)
Die nächste Zinswende wird kommen
Die Pläne der EZB zu prognostizieren, ist fast unmöglich. Wir probieren es einfach mal: Die Zentralbank wird ihren Leitzins von aktuell 4,5 Prozent im Jahresverlauf mehr als halbieren – und zudem ihr Anleihekaufprogramm wieder hochfahren. Noch ist es nicht zu jedem durchgedrungen, aber der Trend ist eindeutig: Die Inflation in der Eurozone ist seit Monaten deutlich auf dem Rückmarsch. Hatte sie im Herbst 2022 zeitweise noch bei über 10 Prozent gelegen, so purzelte die Teuerungsrate in dem gemeinsamen Währungsraum zuletzt auf knapp unter 3 Prozent – der niedrigste Stand seit über zwei Jahren.
Bei der EZB bringen sich daher die „Tauben“ bereits in Stellung: Frankreichs Notenbankchef Francois Villeroy de Galhau etwa sprach sich jüngst für eine erste Zinssenkung im Anschluss an die derzeitige Pause aus. Noch werden solche Forderungen als verfrüht abgetan. Doch sollte sich die Lage an der Preisfront weiter entspannen – und danach sieht es aus – werden gerade EZB-Direktoriumsmitglieder aus den hochverschuldeten Südländern die Zinssenkungsfantasien weiter anfachen.
Und wie es schnell es dann in die andere Richtung gehen kann, hat man im Anschluss an die Finanzkrise 2008/2009 gesehen. Damals dauerte es nur ein halbes Jahr, um den Leitzins von 4,25 auf 2 Prozent zu senken. Ähnlich wird es 2024 vonstattengehen. Viele Euroländer (und auch Unternehmen) ächzen unter riesigem Ausgabenbedarf und wackeliger Schuldentragfähigkeit, die sie ohne geldpolitische Hilfe nicht mehr werden stemmen können. Die EZB wird ihnen den Gefallen tun – der Wiedereinstieg in die Anleihekäufe ist dann auch nur noch ein „kleiner“ zusätzlicher Schritt. (phh)
Der Hype um ChatGPT wird wieder abflauen
2023 war das Jahr der generativen Künstlichen Intelligenz. Der Welt und Corporate Finance wurde eine völlig neue Dimension der KI aufgezeigt, die Anwendungsfälle scheinen unendlich. Der Wissensdurst unserer Leserschaft war in den vergangenen Monaten enorm, niemand will diesen Megatrend verpassen.
Aber die steile Entwicklung wird in diesem Jahr deutlich abebben. Es ist bei neuen Technologien meistens so, dass nach dem Hype-Cycle eine Ernüchterung eintritt. Man denke hier an Blockchain, der riesiges Potential nachgesagt wurde, die dann aber doch ein paar Jahre der Reife brauchte. Bei generativer KI zeigt sich mittlerweile ebenfalls: Der Teufel steckt im Detail. Zwar spuckt die KI unfassbar schnell gute Ergebnisse aus, doch diese sind zu oft nicht brauchbar in der tatsächlichen Arbeit. Eine Ungenauigkeit hier, ein großer Patzer da. Blindes Vertrauen ist schlicht nicht möglich.
CFOs und ihre Finanzabteilungen werden in den kommenden Monaten daher einige Frustmomente erleben, wenn die generative KI ein Eigenleben entwickelt und sich störrischer verhält, als man das möchte. Dennoch sollten Finanzteams weiterhin dranbleiben und nicht das Handtuch werfen. Der Megatrend bleibt, es wird nur einige Jahre dauern, das Potential voll zu nutzen. (jae)