Im Bilanzskandal bei Wirecard ist nun ein weiterer Akteur in den Fokus gerückt: Die Abschlussprüferaufsichtsstelle APAS, die die Arbeit von Wirtschaftsprüfern kontrolliert. Wie nun bekannt wurde, hat sie ein förmliches Berufsaufsichtsverfahren gegen Wirecards Abschlussprüfer EY eingeleitet. Darüber berichtete zunächst das „Handelsblatt“, die APAS hat diese Information auf Nachfrage von FINANCE bestätigt.
Demnach untersucht die APAS sämtliche Jahres- und Konzernabschlussprüfungen durch EY ab dem Jahr 2015 „auf die Einhaltung der gesetzlichen und berufsrechtlichen Vorgaben“. Der zeitliche Rahmen, in dem die APAS Prüfungen rückwirkend durchführen darf, ist auf fünf Jahre begrenzt.
Wie jetzt bekannt wurde, hat die Aufsicht schon im Oktober 2019 Vorermittlungen aufgenommen, nachdem die „Financial Times“ über Scheinumsätze bei Wirecard berichtet hatte. Anfang Mai – nach Veröffentlichung des Berichts durch die Sonderprüfer von KPMG – wurde das Vorermittlungsverfahren in ein förmliches Berufsaufsichtsverfahren überführt. Mitte Juni verweigerte EY Wirecard das Testat, weil keine ausreichenden Belege für 1,9 Milliarden Euro aufgefunden werden konnten. Kurz darauf meldete der Zahlungsdienstleister Insolvenz an.
Altmaier: „APAS hat sehr früh Schritte unternommen“
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU), dessen Ressort die Rechtsaufsicht über die APAS hat, lobt das Vorgehen der Prüferaufsicht: Bei der APAS seien keine Fehler zu erkennen. Sie habe „sehr früh und zu jedem Zeitpunkt die notwendigen und richtigen Schritte“ unternommen, zitiert ihn das „Handelsblatt“ aus einer Sondersitzung in der vergangenen Woche, wo er sich den Fragen der Abgeordneten zur Rolle der APAS im Fall Wirecard stellen musste.
Der Zeitung liegt zudem ein vertraulicher Bericht des Bundeswirtschaftsministeriums zur Arbeit der APAS im Fall Wirecard vor. Auch dieser enthält offenbar den Tenor, dass es an der Arbeit der APAS nichts zu beanstanden gebe. So heißt es darin etwa, dass die Aufdeckung von Rechnungslegungsfehlern ohnehin „Aufgabe der Bilanzkontrolle“ sei und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) sowie der Bafin obliege, zitiert das „Handelsblatt“. DPR und Bafin hätten die Pflicht, „der APAS Tatsachen zu übermitteln, die auf das Vorliegen einer Berufspflichtverletzung durch den Abschlussprüfer schließen lassen“.
Hätte die APAS EY schon früher untersuchen müssen?
Da es „keine Mitteilungen über Fehlerfeststellungen der originär für die Bilanzkontrolle zuständigen Stellen“ gegeben habe, habe die APAS zunächst keinen Anlass für Ermittlungen gegen EY gehabt, zitiert das „Handelsblatt“ weiter aus dem Papier. Das deutet darauf hin, dass die APAS EY vor Oktober 2019 nicht überprüft hat. Dabei stellt sich durchaus die Frage, warum die APAS die Arbeit von EY nicht schon wesentlich früher ins Visier genommen hat – immerhin gab es bereits seit Jahren Hinweise auf mögliche Bilanzungereimtheiten bei dem nun insolventen Dax-Konzern. Und sie ist keineswegs alleine auf die Hinweise seitens DPR oder Bafin angewiesen, um Ermittlungen einzuleiten.
Die APAS – damals noch unter dem Namen APAK – wurde 2005 gegründet, nachdem eine Reihe von Bilanzskandalen um die Jahrtausendwende das Vertrauen in den Kapitalmarkt und die Wirtschaftsprüfer erschüttert hatte. Die APAS kontrolliert die Arbeit der Wirtschaftsprüfer unter anderem bei Prüfungen von kapitalmarktorientierten Unternehmen. Anders als die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung DPR, die ebenfalls nach den damaligen Bilanzskandalen gegründet wurde, untersucht sie also nicht die Geschäftsberichte selbst, sondern das Vorgehen der Wirtschafsprüfer bei der Prüfung. Sie überprüft etwa den Aufbau eines internen Qualitätssicherungssystems der WP-Gesellschaft oder den Dokumentationsvorgang während der Prüfung. Ihre Sanktionsmöglichkeiten reichen von Rügen und Geldbußen bis hin zu einem Ausschluss vom Beruf.
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Wann reicht ein Anlass für eine APAS-Untersuchung?
Ähnlich wie die DPR wählt die APAS die zu prüfenden Gesellschaften nach verschiedenen Kriterien aus: Neben regelmäßigen Untersuchungen ohne besonderen Anlass gibt es auch anlassbezogene Prüfungen, bei denen die APAS bei „konkreten Anhaltspunkten für Berufspflichtverletzungen“ aktiv wird.
Diese können auf Bitten der DPR oder der Bafin erfolgen, aber auch, wenn die APAS anderweitig Anhaltspunkte sieht, etwa durch Medienberichterstattung oder durch Beschwerden von Externen, die sich bei der APAS melden. Ob solche Hinweise allerdings wirklich eine Prüfung begründen, liegt im Ermessensspielraum der Aufsicht.
Im aktuellen Fall waren die Berichte der „Financial Times“ aus dem Herbst 2019 und der Sonderprüfungsbericht von KPMG jeweils die Anlässe. Doch was ist mit den zahlreichen Medienberichten zu Wirecard in den vergangenen Jahren? Die „Financial Times“ berichtete immer wieder über mögliche Bilanzungereimtheiten, und auch einige Shortseller-Attacken schürten seit 2016 den Verdacht auf Bilanzmanipulation. Warum hatte die APAS solche Berichte nicht zum Anlass genommen, um sich die Arbeit von Wirecards Prüfer EY einmal genauer anzusehen?
Der DPR wird zu spätes Handeln vorgeworfen
Möglich – wenn auch angesichts der Formulierung im vertraulichen Papier eher unwahrscheinlich – ist auch, dass die APAS in den vergangenen Jahren doch eine Untersuchung bei EY angestoßen hat, dies aber nicht öffentlich gemacht hat. Die APAS veröffentlicht nicht namentlich, welche Gesellschaften geprüft wurden. Auch auf FINANCE-Anfrage wollte sie das nicht kommentieren. Sollte es eine Untersuchung gegeben haben, hat sie zumindest nicht dazu beigetragen, dass der Skandal früher ans Licht kommt.
Auch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung hatte die Bilanzen von Wirecard in den vergangenen Jahren entweder nicht untersucht oder zumindest keinen Fehler gefunden, der im Bundesanzeiger hätte veröffentlicht werden müssen. Dafür steht sie aktuell massiv in der Kritik, das Bundesjustizministerium hat sogar den Vertrag mit der „Bilanzpolizei“ gekündigt. Sowohl DPR als auch APAS wurden 2005 gegründet, um das Risiko für Bilanzskandale zu senken – nun müssen sich beide Fragen gefallen lassen, warum sie nicht schon früher zur Aufdeckung des Skandals beigetragen haben.
julia.schmitt[at]finance-magazin.de
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.