Die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) hat ihre Schwerpunkte für das kommende Jahr festgelegt. Auf den ersten Blick wirkt das Vorgehen so wie immer – sechs neue Schwerpunkte, vier davon stammen von der Esma – wäre da nicht der Bilanzskandal um den Zahlungsdienstleister Wirecard.
Da der „Bilanzpolizei“ hierbei Versagen vorgeworfen wird – auch sie hatte nicht dazu beitragen, einen der größten Skandale der Nachkriegsgeschichte früher aufzudecken – wurde der Vertrag zwischen Bundesjustizministerium und DPR im Juni gekündigt. Das Jahr 2021 ist damit das vorerst letzte, in dem die DPR wie gewohnt tätig wird. Ganz auf die DPR will die Politik aber offenbar auch in Zukunft nicht verzichten.
Darf die DPR noch Anlassprüfungen machen?
Wie die DPR künftig aufgestellt sein könnte, geht aus dem Referentenentwurf eines „Gesetzes zur Stärkung der Finanzmarktintegrität“ (FISG) hervor, den Bundesfinanzminister Olaf Scholz Ende Oktober vorgelegt hat. Demnach soll die DPR künftig keine Anlassprüfungen mehr durchführen. Das sind Prüfungen, die auf einem konkreten Verdacht auf Bilanzierungsfehler beruhen. Diese Anlassprüfungen soll nun direkt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin übernehmen.
Hintergrund: Die DPR war unter anderem dafür kritisiert worden, dass sie bei der Prüfung von Wirecard nach Meinung einiger Marktbeobachter zu langsam vorgegangen war. Zudem hatte die DPR im Wesentlichen nur eine Person mit der Prüfung des komplexen Wirecard-Geflechts beauftragt. Künftig dürfte die DPR laut Entwurf nur noch Stichprobenprüfungen machen – ein starker Eingriff in die bisherige Arbeit der 2005 gegründeten Behörde, denn die meisten Fehler fand sie tatsächlich bei den Anlassprüfungen.
DPR nimmt Corona-Folgen ins Visier
Wie viel von diesem Entwurf tatsächlich in ein Gesetz überführt wird, klärt sich im Laufe der kommenden Wochen, noch sind Änderungen möglich. Bis Ende 2021 läuft der alte Vertrag mit der DPR zumindest noch – und solange müssen sich Unternehmen und CFOs auch mit den Prüfungsschwerpunkten auseinandersetzen. Es handelt sich dabei um jene Themen, auf die die DPR bei ihrer Prüfung einen besonderen Fokus legen wird.
Der erste Punkt betrifft das Thema „Darstellung des Abschlusses“. Dabei geht es unter anderem um die Darstellung von Coronavirus-Folgen im Abschluss oder die Annahmen zur Unternehmensfortführung – ein heikles Thema, denn gerade Unternehmen in Schieflage können schwer abschätzen, ob eine Fortführung gewährleistet ist, solange unklar ist, wie sich die Pandemie weiter auf die Wirtschaft auswirkt.
Auch sollten Unternehmen bei der Bilanzierung ganz besonders auf ihre Angaben zu Sensitivitäten von Buchwerten sowie die zugrunde liegenden Methoden, Annahmen und Schätzungen achten. Diskutiert wurde zuletzt auch die Frage, ob Unternehmen separate Kennzahlen entwickeln können, um beispielsweise Corona-Effekte aus der Gewinn- und Verlust-Rechnung zu bereinigen. Hier stellt die DPR nun klar, dass sie Kennzahlen wie ein Ebitda-C nicht für angemessen hält – über die Auswirkungen der Krise auf die Kennzahlen sollen die Unternehmen vielmehr im Lagebericht eingehen.
DPR verlangt detaillierte Impairment-Tests
Der zweite Punkt auf der Liste der DPR betrifft die Wertminderung von Vermögenswerten. Auch hier spielt Corona eine wichtige Rolle, denn die Pandemie gilt bei fast allen Unternehmen als „triggering event“, welches einen Impairment-Test begründet – und das je nach Entwicklung des Virus durchaus mehrmals im Jahr.
In ihren Impairment-Tests sollen die Unternehme mehrere mögliche Zukunftsszenarien berücksichtigen, etwa V-, U- oder L-Szenarien der Erholung des Geschäfts, so die DPR. Sie müssen transparent darstellen, wie die Annahmen im Vergleich zu vorherigen Tests verändert wurden und wie die erhöhte Unsicherheit berücksichtigt wurde – ein wesentlich höherer Aufwand als in den Vorjahren.
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Treffen wird diese Regelung etliche deutsche Unternehmen, denn sie haben in den vergangenen Jahren durch viele M&A-Transaktionen einen teils immens hohen Goodwill angesammelt.
Der dritte Prüfungsschwerpunkt betrifft die Bilanzierung nach IFRS 9 und IFRS 7. IFRS 7 regelt die Darstellung von Finanzinstrumenten im Anhang – hier hat die DPR ihren Prüfungsschwerpunkt auf die Darstellung Liquiditätsrisiken gelegt, zum Beispiel wenn Unternehmen wegen Corona neue Schulden aufnehmen müssen oder Covenants gebrochen werden.
IFRS 9 regelt die Bilanzierung von Finanzinstrumenten und spielt vor allem bei Kreditinstituten eine wichtige Rolle. Gerade die Berechnung der erwarteten Kreditverluste dürfte angesichts der Corona-Unsicherheiten schwierig sein – ein Grund, warum die DPR hier genauer hinschaut. Unternehmen müssen genau über die zugrundeliegenden Annahmen sowie Sensitivitätsanalysen berichten.
DPR schaut sich Leasing nach IFRS 16 genau an
Punkt Nummer 4 betrifft die Bilanzierung der Leasingverhältnisse nach IFRS 16. Hier hatte das IASB Unternehmen Erleichterungen bei der Bilanzierung ermöglicht, da wegen Corona Mieten teilweise gestundet wurden oder ganz weggefallen sind. Wie die Unternehmen mit diesen Neuerungen umgegangen sind, will sich die Bilanzpolizei genauer ansehen.
Diese vier Punkte hat die Esma für kapitalmarktorientierte Unternehmen in Europa vorgegeben. Die restlichen zwei stammen von der DPR selbst und gelten für Unternehmen in Deutschland. Der fünfte Punkt betrifft Angaben über Beziehungen zu nahestehenden Unternehmen und Personen. So achtet die DPR verstärkt darauf, ob nahestehende Unternehmen und Personen transparent genannt sind und ob oberste beherrschende Unternehmen angegeben sind. Als Begründung für die Auswahl dieses Prüfungsschwerpunkts gab die DPR an, es habe zuletzt zahlreiche DPR-Fehlerfeststellungen und Hinweise zu diesem Thema gegeben.
Hat Grenke die Schwerpunktauswahl beeinflusst?
Das Thema ist ein Novum – in den Prüfungsschwerpunkten der vergangenen Jahre kam es nicht vor. Es drängt sich der Verdacht auf, dass der Prüfungsschwerpunkt mit den aktuellen Vorfällen bei Grenke zusammenhängen könnte, auch wenn sich die DPR zu konkreten Unternehmen nicht äußert.
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Der Shortseller Viceroy hatte zuletzt angebliche Ungereimtheiten bei dem Finanzdienstleister angeprangert und dabei insbesondere die Rolle des Gründers Wolfgang Grenke ins Visier genommen. Viceroy wirft dem Gründer aufgrund eines verschachtelten Beteiligungssystems rund um Grenke und seine Franchise-Unternehmen Interessenskonflikte vor. Die DPR hatte die Vorwürfe zum Anlass genommen, die Bilanzen von Grenke zu untersuchen.
Der sechste DPR-Prüfungsschwerpunkt nimmt schließlich den Konzernlagebericht in den Fokus: Die Bilanzpolizei schaut sich die Risikoberichterstattung unter Beachtung der Corona-Auswirkungen genau an. Insbesondere wirft sie einen Blick darauf, ob beispielsweise bestandsgefährdende Risiken oder Risiken mit Blick auf Finanzinstrumente wie Ausfall- und Liquiditätsrisiken vollständig und angemessen erfasst sind. Das Prozedere für das Jahr 2021 ist damit definiert. Wie es 2022 aussieht und in welchem Umfang die DPR dann noch eine Rolle spielt, werden die kommenden Monate zeigen.
Info
Die Bilanzierung nach IFRS ist komplex, Fehler passieren immer wieder. Bleiben Sie mit unserer Themenseite IFRS auf dem Laufenden, was es in der Rechnungslegung Neues gibt.
Julia Schmitt ist Redaktionsleiterin von FINANCE-Online und Moderatorin bei FINANCE-TV. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und Publizistik an der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz stieg sie 2014 bei F.A.Z. BUSINESS MEDIA ein. Sie betreut die Themenschwerpunkte Wirtschaftsprüfung und Bilanzierung und ist Trägerin des Karl Theodor Vogel Preises der Deutschen Fachpresse.